Störungen im System: Duisburger Filmwoche 2019
In Duisburg werden vor allem Dokumentarfilme ausgewählt, bei denen die Machart die Attraktion ist. Gerade die zwei besten Beiträge wollen aber nicht so richtig in dieses Konzept passen.

In der steirischen Einöde zaubert der Nigerianer Clifford aus Schrott wieder fahrbare Autos. Die meiste Zeit ist er allein, doch manchmal kommen Interessierte in seine Werkstatt, um mit ihm knallharte, aber auch lässig und spielerisch geführte Verhandlungen zu führen. Deutscher Muttersprachler ist hier zwar keiner, weshalb die Gespräche immer recht reduziert sind und teilweise nur aus aneinandergereihten Wörtern bestehen. Trotzdem wird man dabei mitunter Zeuge rhetorischer Raffinesse.
Einmal umstreift ein mittelalter ungarischer Kunde namens Ferenc ein Auto und zählt dabei demonstrativ die rostigen Stellen. Clifford will sich aber nicht herunterhandeln lassen und versucht sein Gegenüber kumpelhaft-bestimmt mit einem Vergleich zu überzeugen: So wie „Franz“ als Mann in den besten Jahren schon ein paar graue Haare auf dem Kopf hat, kann er auch nicht erwarten, einen alten Gebrauchtwagen ohne Makel zu bekommen.
Sebastian Brameshuber bleibt in seinem neuen Film fast konsequent an der Wirkungsstätte seines Protagonisten. In einer Szene beobachtet Clifford mit einem Freund Paintballspieler, und so wie uns der entsprechende Gegenschuss verwehrt bleibt (beziehungsweise erst ganz zum Schluss präsentiert wird), besteht der Reiz des Films in seiner Konzentration auf einen Mikrokosmos, dem man nur schwer mit der beschaulichen Kulisse am Fuße des Erzberges zusammenbringt. Bewegungen eines nahen Bergs könnte zwar ein klassischer Porträtfilm sein, weicht aber dann doch immer wieder von seiner Hauptfigur zurück – etwa, wenn er die Legende eines Wassermanns einfließen lässt, der einst das Erz in die Steiermark brachte.
Etwas altmodisch und hermetisch

Während meines ersten Besuchs bei der Filmwoche Duisburg erscheint mir Bewegung eines nahen Berges als repräsentativ für das Festival, weil er das Offensichtliche umgeht und die Gestaltung in den Vordergrund dringt. Gezeigt werden hier überwiegend längere sowie ein paar kürzere Dokumentarfilme aus dem deutschsprachigen Raum – wobei man sich nicht immer sklavisch an diese beiden Vorgaben hält. Außergewöhnlich dabei ist, dass alles kompakt in nur einer Programmschiene untergebracht ist und der Debatte über den Film fast ebenso viel Zeit eingeräumt wird wie dem Film selbst. Nach jeder Vorführung geht man ein paar Meter weiter in eine spärlich beheizte kleine Halle vom katholischen Jugendbund, wo man zu Tee und Broten mit den Regisseuren diskutiert.
Ich fremdel zunächst etwas mit der besonnenen und ernsthaften Atmosphäre, die ein bisschen altmodisch und hermetisch wirkt. Das Festival hat den Ruf, streitlustig zu sein und das Publikum einzubeziehen, aber zumindest bei den Gesprächen, die ich mitbekommen habe, wirkt es, als wäre man ohnehin unter sich. Die Idee ist trotzdem schön, so als würde es nach jedem Film ein einstündiges Making-of geben, bei dem man etwas über Intentionen und Hintergründe erfährt. Dass es dabei nur bedingt um den Inhalt geht, hat auch damit zu tun, dass hier vor allem Filme ausgewählt werden, in denen auch die Machart eine Attraktion ist.
Sexshop-Besuche und Kirmes-Kitsch
Christiana Perschons Sie ist der andere Blick ist beispielsweise ganz von seinem strengen Konzept her gedacht. Sechs Wiener Künstlerinnen zwischen siebzig und achtzig Jahren werden darin nacheinander vorgestellt. Perschon übersetzt dabei die Idee des White Cubes in ein Studiosetting. Dass die Protagonistinnen dann oft auch noch weiß gekleidet sind, wirkt zwar ein wenig übergriffig, aber es ergibt durchaus Sinn, wie der Film alles zu eliminieren versucht, was vom Wesentlichen ablenkt, nämlich den Arbeiten oder genauer gesagt: wie die Künstlerinnen darüber sprechen.

Tatsächlich wirkt der strenge Formalismus weniger wie eine gewaltsame Einengung denn wie eine notwendige Struktur, um den Protagonistinnen den ihnen gebührenden Raum zu geben. Der Clou ist, dass kaum Archivmaterial eingesetzt wird und Kunst damit nicht als historisches Artefakt in Erscheinung tritt, sondern als etwas Dynamisches, das immer wieder neu zum Leben erweckt wird; etwa wenn Renate Bertlmann die von ihr gefertigten Latex-Nippel streichelt und dabei von ihrem besonderen Geruch erzählt oder Linda Christanell verschiedene trashige Fundstücke miteinander kombiniert und dadurch neue Bedeutungen schafft. Überhaupt sind Bertlmann und Christanell toll. Klug, witzig und vor Energie übersprudelnd erzählen sie von Sexshop-Besuchen und ihrer Liebe für Kirmes-Kitsch und offenbaren dabei, wie sehr ihre Praxis auch Resultat persönlicher Obsessionen ist.
Klarheit, Neugierde und Bescheidenheit
Auch Sabine Herpichs Ein Bild von Aleksander Gudalo versteht Kunst nicht als fertiges Produkt, sondern als Prozess. Dabei könnte ihr von Harun Farockis Ein Bild von Sarah Schuhmann (1978) inspirierter Film unterschiedlicher kaum sein. Dokumentiert wird darin, wie ein Gemälde entsteht; ein Bild, das verschiedene Version einer Figur in einem abstrakten, knallgrünen Setting mit einer geheimnisvoll leuchtenden Säule zeigt. Statt für eine herkömmliche Künstlerromantik oder die Absichten hinter dem Bild interessiert sich Herpich vor allem für ein von ihr präzise dokumentiertes Handwerk, das jedoch erst durch die ständige Reflexion zur Vollendung kommt.
Oft zeigt Herpich nur repräsentative Fragmente und Details, stellt Zwischenfragen, die einfach wirken, aber viel offenbaren, und blendet in Zwischentiteln die Dauer der einzelnen Arbeitsschritte ein. Auffällig ist Ein Bild von Aleksander Gudalo im Duisburger Programm, weil er frei von stilistischen Manierismen oder Moden des Festivalkinos ist. Und weil Klarheit, Neugierde und Bescheidenheit nur wenig Aufmerksamkeit erzeugen, sind Herpichs Filme leider sonst auch kaum auf Festivals zu sehen.

Ähnlich heraus sticht auch die grobe Ästhetik von Joachim Isenis mittellangem Fleischwochen. Der Regisseur zeigt darin Alltagsszenen vom Hof seiner Verwandtschaft. Den roten Faden bildet ein über die Jahre perfekt eingespielter Ablauf: Schweine werden geschlachtet, zu Koteletts zerteilt oder Würsten verarbeitet und schließlich für faire Preise an die Dorfbewohner verkauft. Wenn dazwischen die Frauen der Familie über die Zukunft des Hofs streiten, treten schließlich die Störungen in diesem System hervor. Obwohl die Oma mit über achtzig schon viel zu alt für die harte Arbeit ist, hält sie stur an den Gewohnheiten fest. Die durch ihren Zweitjob überlastete Tante möchte dagegen Schluss machen, weil sie die Anstrengung nicht mehr erträgt.
Fleischwochen zeigt vor allem eines: Private Landwirtschaft lohnt sich im industriellen Zeitalter nicht mehr, ja sie treibt sogar die Menschen auseinander, macht sie krank und kaputt. Jeder werkelt hier für sich allein, ruiniert nur weiter den ohnehin schon gezeichneten Körper. Dokumentarfilme über die eigene Familie gibt es momentan zwar wie Sand am Meer, aber hier wirkt alles im positiven Sinn zerstreuter, so als würde sich die immer wieder abenteuerlich entfesselte Kamera mehr von Instinkten als von dramaturgischen Überlegungen treiben lassen. Gerade plant Iseni seinen zweiten Film, der wieder von seiner Familie handeln soll. Man kann nur hoffen, dass er sich seine sehr eigene Herangehensweise bewahren kann.
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