Seht Euch diesen Körper an! – Karacho 2025
Unverhofftes Slow Cinema mit Plastikmonstern, eine der besten Kinodefinitionen von Liebe und eine Sexteufelin aus der Pfütze: Drei Erlebnisberichte vom Actionfilmfestival Karacho im Nürnberger Komm-Kino.
Muckimann in voller Pracht

Der italienische Peplum gehört zu den Filmgenres, die ich mir nur im Kino ansehe, obwohl ich das Genre sehr mag. Für mich brauchen diese mythologischen Muskelmännerfilme die Leinwand und das einlullende Dunkel des Kinosaals, am besten schaut man sie – wie wir beim diesjährigen Karacho im Nürnberger Kommkino – nach einem schweren fränkischen Mittagessen im kollektiven Nachmittagstief. Sie verlangen für mich nach dem Kino, nach einem Raumsetting, das ihre Abenteuer so naturgemäß wie wohlwollend größer erscheinen lässt als sie es auf dem Papier sind; und sie brauchen ein Publikum, das sich gemeinsam mit ihnen über jeden noch so drollig naiven Regie- und Drehbucheinfall, über jedes noch so billig aussehendes Plastikmonster freut. Vielleicht ist der Peplum der legitime Erbe des Jahrmarktskinos, eines Kinos diesseits von Wahrscheinlichkeit und Wahrheitssuche. Gemeinsam genossener Quatsch. Eine Pause von jeder Relevanz, die sich das Kino seitdem auf die Fahne schrieb. Sandalenfilme sagt man manchmal auch zu diesen Abenteuerfilmen, die in Italien zwischen 1957 und 1964 populär waren, bevor ihnen der Italowestern, Euro-Spy und Horrorfilm den Rang abliefen. Sandalenfilm suggeriert Mainstreammonumentalität wie bei Spartacus (1960) und Co. Damit haben diese in aller Regel niedrig budgetierten Filmchen wenig am Hut.
Ein Film wie Sansone contro i pirati ist nur mit Ach und Krach, nur mit gutem Willen des Publikums, spektakulär. Zu offensichtlich der Geldmangel, auch der Mangel an Meisterschaft in den Gewerken Kamera, Schnitt und Musik. Statt einer epischen Keilerei gibt’s nur eine Handvoll unmotiviert zu Boden gehende Statisten, statt Parcours durch aufwendig gestaltete Studiosets häufig nur Gelatsche durch glanz- und trostlose Landstriche. Und doch ist Tanio Boccias Samson-Variation auf seine ganz eigene Weise zauberhaft, für mich und andere im Saal eine unvorhersehbare Seherfahrung; er ist schlicht längst nicht so generisch wie sein B- bis C-Status innerhalb des Genres vermuten ließe. An der Geschichte liegt das nicht. Die ist ebenso schnell erzählt wie uninspiriert: Der starke Samson angelt eines Morgens statt Fischen die schöne Amanda aus dem Wasser. Sie konnte als einzige dem grausamen Piratenkapitän Murad entkommen, der ein spanisches Boot kenterte; viele Frauen befinden sich noch in seiner Gewalt. Samson bricht mit seinen Gefährten zu ihrer Rettung auf. Dass sie über das Böse siegen, ist von vornherein ausgemachte Sache. Spannung kommt nicht auf. Der Zauber von Sansone contro i pirati liegt jenseits einer Story, deren „Highlights“ in zügig abgehandelten Handgemengen und der einen oder anderen Muskelprobe für Samson bestehen. Der Zauber besteht in der Art und Weise, wie der Film erzählt, wie verschroben er um die dargebotenen Körper kreist.
Ähnlich dem relaxten Erotikkino Joe D’Amatos – ein Säulenheiliger des Nürnberger Off-Festival-Kosmos – wird in Boccias Sansone contro i pirati irrsinnig viel von A nach B gegangen. Unverhofft sehen wir so etwas wie die James-Benning-Variante eines Peplum, eine Bewegungsstudie um ihrer selbst willen: Das Scopebild steht statisch und gibt einen Waldweg preis. Überaus gemächlich ziehen Figuren von links nach rechts hindurch. Die Einstellung bleibt auch noch ein bisschen stehen, nachdem die Staffage im Off verschwunden ist. Es dauert, so die Reaktion im Saal, quälend lang und hat keinerlei handlungstreibende Funktion. So einen Einschub von Slow Cinema gibt’s nicht nur ein oder zweimal, sondern zigfach zu bestaunen. Sicher wollte man damit schlicht „Strecke machen“, kostengünstig auf eine abendfüllende Laufzeit kommen. Und doch sind es diejenigen Szenen, die uns am meisten begeistern. Man kann dem Film dabei zusehen, wie er an seine Grenzen kommt – und die Grenzen unseres Immersionswillens auslotet.
In anderen Passagen herrscht Stillstand. Auffällig immer dann, wenn er uns seinen 21-jährigen Jüng-/Schönling Kirk Morris und damit seinen Muckimann in voller Pracht präsentiert (ich kannte bislang eher altgediente Bodybuilder im Genre). Viel häufiger als in Aktion begriffen, steht er einfach statuenhaft da. Sein öliger Oberkörper gleicht einem Keil. Die Auftritte sind wie das Durchblättern eines Pin-Up-Kalenders inszeniert. Sie schreien uns „Seht euch diesen Körper an!“ entgegen. Unsubtil (homo-)erotischer Camp, bei dem erstaunt, dass er noch nicht von der Pop- und Undergroundkultur geadelt wurde wie etwa die Filme Maria Montez` und Mae Wests. Ein Kino zwischen kommerzieller Konventionalität und rührend querstrebender Subjektivität.
Tilman Schumacher
Schamlos vordergründig

Robert Zemeckis‘ Romancing The Stone ist die Art von Film, bei der es heutzutage mit schöner Verlässlichkeit heißt, Hollywood würde sie nicht mehr hinbekommen (oder wenn es, wie zuletzt bei Jungle Cruise und The Lost City, doch versucht wird, dann lediglich auf hoffnungslos epigonale, retronostalgisch aufgewärmte Weise): spitzzüngige romantische Komödie und attraktionssatte Abenteuerschau zugleich. Ein Film, der weiß, wie er seinem Hauptcast, Kathleen Turner und Michael Douglas, entgegenarbeiten muss, damit, wenn das Licht im Kinosaal wieder angeht, nicht nur die Fahrt den Wasserfall hinab und der Schwung mit einer Liane über den Abgrund in Erinnerung bleiben, sondern auch ein Lächeln, ausgetauschte Blicke, der Kopf des einen, der ins Wasser taucht, um zwischen den Schenkeln der anderen wieder hochzukommen. „Die sind aus Italien“, sagt die Schriftstellerin von Abenteuerromanzen im Dschungel von Kolumbien über ihre hochhackigen Schuhe. „Nun sind sie praktisch“, entgegnet der Schmuggler exotischer Vögel, als er mit einer Machete die Stilettos abschneidet.
Romancing The Stone ist ein Film aus einer Zeit, als Hollywood ein funktionierendes System war, das Leinwandstars schaffen konnte, deren Popularität und Charme, Ausstrahlung und körperliche Präsenz von einem Projekt zum nächsten tragen sollten. Es war 1984 auch die Big-Budget-Gesellenprüfung von Regisseur Zemeckis, der bis dato unter Kolleg*innen zwar als ein technisches Wunderkind galt, mit der handwerklichen Rasanz und dem „Mad“- Magazin-Humor seiner ersten beiden Filme, I Wanna Hold Your Hand und Used Cars, aber noch kaum zahlfreudiges Publikum gefunden hatte. Auch wenn das Drehbuch von Diane Thomas bereits in den späten 70er-Jahren geschrieben wurde, lässt Zemeckis in seiner Inszenierung keinen Zweifel daran, dass er zwischenzeitlich seine Lektion aus dem Erfolg von Raiders Of The Lost Ark gelernt und erkannt hatte, wie das amerikanische Blockbusterkino der restlichen Dekade aussehen würde: hoch kinetisch, einfallsreich, leichtfüßig schauwertig, selbstironisch aus dem Genre-Repertoire vergangener Dekaden schürfend.
Zemeckis‘ Filme wurden später noch kunstvoller und spektakulärer, seit dem dritten Back To The Future und Forrest Gump sind sie bis heute auch offener sentimental. Aber sie waren vielleicht nie wieder auf so ausbalancierte Weise zugleich slick und elegant, vulgär und gewitzt. Bei vielerlei Erlebnissen und Wagnissen jemandes beste Zeit bleiben: Damit hat Romancing The Stone auf eine schamlos vordergründige Weise auch eine der besten Definitionen geliefert, was Liebe sein kann.
Kamil Moll
Sanft streichelt sie die Lanze

Das Hauptmonster, Grendel, ist schon tot, als Beowulf die Höhle betritt. Beowulf selbst, als nackter Derwisch von Balken zu Balken springend, hat es getötet. Aber solange Grendels Mutter lebt, weiß Beowulf, wird die Welt keinen Frieden finden. Also macht er sich auf im Finsteren der Nacht, tritt durch eine lockende Felsspalte - und findet sich wieder in einem Reich, in dem sein Blutdurst, sein aggressives oldschool-phallisches Heldentum nichts mehr zählen.
Die Lustgrotte, die er betritt, besteht aus golden leuchtendem, immateriell weichem, die Dunkelheit nicht vertreibendem sondern akzentuierendem Licht, das Ohr wie mit einer Plüschfeder umschmeichelnden Klangereignissen (Musik: Alan Silvestri) und sonst gar nichts. Wobei, doch, da ist noch das Wasser, eine sanft schimmernde, nicht wirklich feuchte, eher gallertartig geschmeidige Oberfläche, aus der sich bald die Mutter materialisiert. Die trägt weniger die Züge Angela Jolies als eine animierte Angela-Jolie-Fetischmaske, marmorglatt ist die Haut ihres bald in voller Pracht das Bild einnehmenden Körpers, teils überzogen von einer nichts verhüllenden Goldschicht. Beowulf selbst trägt auch nicht mehr als einen Lendenschurz und lässt sich im Nu einwickeln von der Sexteufelin aus der Pfütze, dessen ganzes Wesen Verlockung und Versprechung ist; aus dessen Rücken jedoch ein spitzer Schweif wächst, als Verkörperung einer toxischen Feminität, die mit dem mythischen, vorzeitlichen Heldentum Beowulfs kurzen Prozess macht. Sanft streichelt sie über seine Lanze, bis sie in ihren Fingern in glibbriges Gelee zerschmilzt. Wenn er nach der Vereinigung mit der Mutter die Höhle wieder verlässt, ist seine Unschuld, seine kreatürliche Vitalität dahin; mit der Umarmung der Frau tritt die Lüge in die Welt und Beowulf wird vom mythischen zum historischen Held.
Gesehen habe ich diese vielleicht wahnwitzigsten, porösesten, pornösesten paar Minuten, die der digitale 3D-Boom der Nullerjahre hervorgebracht hat, am Vorabend des Karacho; beim Warm-Up im kleinen Kreis wird Robert Zemeckis’ Beowulf kredenzt. Ich bin schon da ein bisschen angeschlagen, tags darauf dann ziemlich hinüber, verpasse im Anschluss krankheitsbedingt einen Großteil des Festivals; und bin selbst zwei Wochen später noch nicht wieder richtig auf dem Dampfer. Bereue ich es deshalb, die Muttergrotte betreten zu haben? Selbstverständlich, und da bin ich mit Sicherheit ganz bei Beowulf: keine Sekunde lang.
Lukas Foerster








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