Schreiben über Film (5): "Zentralflughafen THF"

Das Leben in den Hangars zwischen Wandel und Stagnation: Ein Jahr lang hat Karim Aïnouz in der Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof gedreht. Drei Kurzkritiken zu Zentralflughafen THF, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2018“ (Stiftung Universität Hildesheim).

Nichtstun

Sie warten. Auf Anrufe. Auf Impfungen. Auf Essen. Auf die Anerkennung als Flüchtling. Sechs Wochen? Ibrahim Al Hussain, 20 Jahre alt, aus Syrien, Protagonist des Films Zentralflughafen THF wartet seit einem Jahr. Ort des Aufenthalts mit ungeklärter Perspektive: der Flughafen Tempelhof. Einst „Drehkreuz der Welt“, ist er heute Ausflugsziel, Friedhof für Militärflugzeuge, Notunterkunft für Geflüchtete. Die Außenanlage beeindruckt durch ihre schier unendliche Weite. Drinnen kann man von oben die winzigen, dicht an dicht gebauten Wohnkabinen betrachten, die mitten in die Abflughalle platziert wurden. Sie erinnern an die Zellen der US-amerikanischen Serie Orange is the New Black. Keine Türen, Stellwände ohne Decken, eine nie verstummende Geräuschkulisse.

Wie kann es funktionieren, hier zu leben? Mit dieser Frage im Gepäck und einer Filmcrew von drei Personen betritt Karim Aïnouz das Gelände. Neben Ibrahim stellt er den zweiten Protagonisten des Films vor: Qutaiba. Der kommt aus dem Irak und war dort als Arzt tätig. Hierzulande weiterhin in diesem Beruf arbeiten? Dank der deutschen Bürokratie undenkbar. Also weiter warten. Und den Berlinern hinter dem Zaun zusehen, die nach Tempelhof kommen, um zu grillen, zu joggen, ihre Freizeit zu vertrödeln. Nichtstun und Tempelhof passen gut zusammen. Sie bedeuten für verschiedene Personengruppen nur etwas völlig Unterschiedliches.

Die Kamera bleibt nicht unsichtbar. Es gibt Aufnahmen, in denen Geflüchtete direkt in die Linse schauen, sichtlich irritiert sind, zum Teil wenig Sympathie dafür zeigen, gefilmt zu werden, weshalb Regisseur Aïnouz im Nachgespräch schwört, dass er die Einwilligung jeder abgefilmten Person eingeholt habe, sie in seinem Film zeigen zu dürfen. Immer wieder sind Bilder von drinnen und von draußen hintereinander geschnitten, dazu läuft auch mal Wagner. Für den Film wurde ein komplettes Sound Design entworfen, das in der Postproduktion Eingang fand. Das stelle das Gefühl des Ortes heraus, so Aïnouz.

(Margarete Rosenbohm)

Beidseitig des Zauns

Nur ein Zaun trennt die Flüchtlinge von den Joggern auf dem Tempelhofer Feld, doch es liegen Welten dazwischen. Für seine Dokumentation Zentralflughafen THF hat der Regisseur Karim Aïnouz ein Jahr lang in der Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof gedreht, um das trostlose, oft perspektivlose Leben in den Hangars zu zeigen.

Erste Einstellung. Eine Gruppe Touristen wird durch die Räume des ehemaligen Zentralflughafens geführt. Wenig später genießen sie von der Dachterrasse den tollen Blick über das Flugfeld. Es ist Sommer, ganz Berlin scheint aufzublühen. Radfahrer, Jogger und Skater bevölkern zur warmen Jahreszeit das Gelände. Schnitt. Gleiches Gebäude, völlig andere Szenerie. Zu sehen ist ein trostloser Raum mit ein paar Holzbänken. Ein Flüchtling bekommt Informationen über Tempelhof – die Flüchtlingsunterkunft, nicht die Touristenattraktion.

In den Jahren 2016 und 2017 waren in den Hangars des stillgelegten Flughafens mehr als zweitausend Menschen untergebracht. Was eine Notunterkunft für wenige Wochen sein sollte, wurde für viele zu einem Zuhause für mehr als ein Jahr. Der Film kommt den Geflüchteten sehr nahe. Der 19 Jahre alte Ibrahim erzählt von seinen Hoffnungen, seiner Verunsicherung, seinem Heimweh und den Versuchen, sein Leben in dieser Wartesituation zu gestalten. Denn zwischen Impfterminen, Verpflegung und Amtsbesuchen liegt oft nur gähnende Leere. Zugleich schaut der Film auf das Draußen, das Tempelhofer Feld, und registriert, wie es sich mit den Jahreszeiten verändert.

So ist es der Flughafen selbst, der als Protagonist in diesem Film die grundverschiedenen Sehnsüchte von Geflüchteten, Touristen und Berlinern nebeneinanderstellt. Man teilt sich das gleiche Gelände, egal auf welcher Seite des Zauns man steht. Aus dieser Konstellation ergeben sich die komplexen Kontraste des Films: zwischen dem monumentalen Bauwerk und der bunten Freizeitfläche, die es umringt. Zwischen den schützenden Mechanismen der deutschen Bürokratie und der Freiheit, die sie auch den Geflüchteten nicht ermöglichen kann.

(Eric Voigt)

Ein Wimmelbild

Feldbetten und Menschen in umgestülpten Puppenhäusern. So sieht es aus, wenn Karim Aïnouz das erste Mal in seinem Dokumentarfilm die zweitausend Flüchtlinge in ihrer Unterkunft zeigt: den Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof. In Bereichen, die nach außen hin voneinander abgetrennt sind, aber keine Decke haben, machen sich Familien und Alleinstehende bereit für die Nacht. Sie verschwimmen dabei regelrecht zu einem Wimmelbild. Was hingegen gestochen scharf festgehalten wird, ist die Absurdität ihrer Unterbringung. Abschnitt für Abschnitt wird die Flutlichtanlage ausgeschaltet, bis alle von derselben Dunkelheit umgeben sind.

Über zwölf Monate begleitet Zentralflughafen THF einen Ort im Wandel. Den Wandel der Jahreszeiten und den Wandel der Menschen, die hier darauf warten, dass es weitergeht, während draußen erst Sommer, dann Winter an ihnen vorbeiziehen. Eine Stimme unter den Wartenden ist der Syrer Ibrahim, der auf Arabisch von seiner Heimat erzählt. Und, je länger sich sein Aufenthalt hinzieht, auch von der Angst, sie zu vergessen. „Meinen letzten Sommer in Syrien habe ich zu Hause verbracht“, sagt er. Jetzt, wo er in Deutschland ist, verlässt er die Hangar des Flughafens nur noch, um zu rauchen, mit Aussicht auf verwitternde Flugzeuge, auf denen bald Schnee liegen wird. Außerhalb seines Sichtfelds, nicht mal einen Kilometer entfernt, spielen Kinder auf dem Tempelhofer Feld. Teenager lachen, Erwachsene tanzen, Flüchtlinge harren aus. Alles vor der gleichen Kulisse.

Nach der Schließung des Zentralflughafens THF vor gerade einmal zehn Jahren stand die Frage im Raum, was auf dem Gelände geschehen sollte. Inzwischen ist aus dem militärischen Übungsgelände des Flughafens ein Park geworden, aus dem Flughafen selbst eine Flüchtlingsunterkunft. Um den Kontrast dieser Situation weiß Regisseur Aïnouz, der sich in Totalen mit der einen Seite und in Detailaufnahmen mit der anderen befasst. Unterlegt wird die Stagnation in der Unterkunft von einem nie abreißenden Geräuschteppich aus Stimmen, Lautsprecherdurchsagen und dem Lärm, den eigentlich nur ein Hangar machen kann, der noch in Betrieb ist.

(Johanna von Renteln)

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