Schreiben über Film (3): The Battle of Tabatô und Das merkwürdige Kätzchen
„Schreiben über Film“ – unter diesem Titel läuft ein Seminar, in dem Studierende der Universität Hildesheim zehn Tage lang Kritiken, Kommentare und Anmerkungen zu den Filmen des Berlinale-Programm verfassen. Aus dieser Produktion werden in den nächsten Tagen immer wieder einige Texte auf critic.de veröffentlicht – heute zu The Battle of Tabatô (A Batalha de Tabatô) und Das merkwürdige Kätzchen. Wir bedanken uns herzlich und freuen uns über kritische Rückmeldungen. (Stefanie Diekmann)
The Battle of Tabatô (A Batalha de Tabatô, 2013, Regie: João Viana; Forum)
Verantwortung für das Jetzt und die Zukunft

Umkämpft war Guinea-Bissau schon immer. Jahrhundertelang litten hier die Mandinka unter der portugiesischen Kolonialherrschaft; nach dem blutigen Unabhängigkeitskrieg folgte ein Putsch dem anderen, ein Präsidentenmord dem nächsten. Die Seelen der Alten sind vernarbt vom Krieg, die Geister der Jungen des ständigen Wechsels müde, der Kampf um Geschichte, Jetzt und Zukunft ist in seiner Allgegenwärtigkeit zermürbend. Jedes Mal aufs Neue musste die Moral der Armee gestärkt, der Gang zu den Waffen begonnen werden.
Die Schlacht von Tabatô ist eine besondere, ebenso sind es die Soldaten. Nicht Kupfer, nicht Stahl sind hier das Mittel des Krieges. Kein Projektil wird geschossen, kein Pulver verbraucht. Die Mandinka heben ihre Stimmen, ihre Hände. Zimbeln und Djembés feuern Salven aus Rhythmus und Melodie; Musik, Kultur, Erzählungen und Mythen treten an gegen das Trauma des Krieges, gegen die anhaltende Gewalt, die das Leben überlagert und den Frieden unmöglich macht.
Gut, dass es diesen Film gibt! The Battle of Tabatô erstaunt immer wieder mit ungewohnten Blickwinkeln, der Ruhe seiner Erzählhaltung, dem unendlichen Raum, mit dem er seine Figuren, seine Geschichte umgibt. Wie ein Mantra wird die Handlungsanweisung des Films wiederholt, der Appell springt unverhüllt von der Leinwand. Schon immer machen wir Kultur, schon immer Musik. Du machst den Krieg, wir aber brauchen dich für den Frieden. Keineswegs sind damit die ehemaligen Kolonialherren und deren Kinder gemeint. Adressaten des Aufrufs sind vielmehr die Menschen vor Ort. Sie werden zur Verantwortung für das Jetzt und die Zukunft gezogen.
Im Nachgespräch erläutert Regisseur João Viana etwas kryptisch die Entstehung von The Battle of Tabatô. Entschlüsselt werden kann in etwa, dass er mit seinem Team zu den Mandinka gefahren ist, dass diese das Drehbuch geschrieben und alle gemeinsam das Werk in Schwarzweiß und Rot gedreht haben. Aber Viana geht noch weiter: Folgt man seiner Erzählung, so hatte er selbst keinen Einfluss mehr auf den Film, hat die gesamte Autorschaft an die Mandinka abgetreten – und damit jegliche Kompetenz, jede Verantwortlichkeit. Das erste ist verständlich, unter Umständen gar nicht so schlecht; das zweite allerdings fatal.
Zu sehr ruht sich Viana, selbst Sohn portugiesischstämmiger Eltern, auf seinem angolanischen Geburtsort aus. Dass die Produktionsmittel in Europa sind und bleiben werden, wird völlig ausgeblendet. Und keineswegs hat sich mit diesem Film die Frage nach der Verantwortung der ehemaligen Kolonialisten für die Verhältnisse in Guinea-Bissau und die Zukunft des Landes erledigt. So bleibt die Reflexion des weiß-europäischen Standpunktes im Geflecht der Kolonialgeschichte auch diesmal aus.
Simon Schultz von Dratzig
Welcher Krieg?
Die Lebensphilosophie der Dorfbewohner von Tabatô lässt sich einfach zusammenfassen: Musik stiftet Frieden. Dennoch wählt Regisseur João Viana mehr als einen Umweg, um in seinem Film The Battle of Tabatô zuletzt zu dieser Aussage zu finden. Warum?
Wir begeben uns mit den Hauptpersonen auf die Reise. Im Mittelpunkt steht ein alter Mann, der eine Militärjacke über dem traditionellen, weiten Gewand trägt, stets einen Koffer mit seltsamen, zusammengebastelten Instrumenten bei sich hat und seine Tochter Fatu zur Hochzeit mit dem Musiker Idrissa begleiten soll. Zusammenhänge erschließen sich langsam, wenn überhaupt.
Obwohl anscheinend aus Europa angereist, ist der alte Mann in der afrikanischen Landschaft und Kultur mehr verwurzelt als seine Tochter. Den Trolley im Schlepptau, durchqueren die beiden das Bild von links nach rechts und wirken dabei wie Fremdkörper. Sie reden kaum. Die Anspannung ist spürbar. Die Mutter fehlt. Wir suchen angestrengt nach einer Erklärung und finden sie nicht. Wenigstens das schreckhafte Verhalten des alten Mannes erklärt sich schließlich: Er ist in Folge eines Krieges traumatisiert. Welches Krieges? Wir erfahren es nicht.
Unser Halbwissen über die afrikanische Geschichte macht es uns schwer, einen Zugang zu dem Themenkomplex zu finden, den João Viana in The Battle of Tabatô aufmacht. Zu oft scheint es, als reiche unser lückenhaftes Wissen nicht aus, um aus den Bruchstücken der Handlung ein stimmiges Ganzes zu formen. Die Vermutung, dass hier allegorisch über etwas reflektiert wird, das sich uns nicht erschließt, ruft ein gewisses Schuldbewusstsein hervor. Wüssten wir mehr über die afrikanische Kultur, könnten wir dem Film womöglich besser folgen.
Vollkommen unvermittelt rammt der Vater den weißen Geländewagen gegen einen Baum, Fatu ist tot. Oder ist sie es nicht? Idrissa befragt die Weisen des Rates, die Marabus, und Fatu tanzt entrückt im blutbefleckten Hochzeitskleid. Zuletzt liegt sie jedoch tot in Idrissas Armen. Erst vor Hintergrund dieses Opfers beginnt der Film sich zu formen. Das Schwarzweiß ist plötzlich blutrot getränkt. Der Vater lauscht an einem mit einem Metallstück verschweißten Wasserhahn, wir hören Bomben fallen. Ohne Worte wird klar: Fatu war das letzte Opfer eines längst vergangenen Krieges – eines zu viel. Es gilt, den Vater zu heilen. Idrissa nimmt sich der Aufgabe an, und der Vater kann sich von den Fesseln seines Traumas lösen.
„4500 years ago, while you were waging war, we invented agriculture.“ Dieser Satz, der als einer von mehreren in den Film einführte, wird am Ende wiederholt und entfaltet dabei eine ganz neue Bedeutung: keine Mahnung, keine Vorhaltung, sondern vielmehr ein Versprechen an eine bessere Zukunft.
Laura Tamoj
Anti-Psychologie mit Marabus

Da ist ein Mann mit Turban und Rollkoffer. Der Mann heißt Baio. Er ist auf dem Weg zu seiner schönen Tochter, der Universitätsprofessorin. Er ist zurückgekommen, denn Fatu wird heiraten. Die Einstellung zeigt den Mann, wie er zielstrebig über einen Platz läuft. Gleich wird er ihn hinter sich lassen. Mit aufrechter Haltung zieht er den ratternden Rollkoffer hinter sich her. Da blendet auf einmal alarmierend rotes Licht zwischen den schwarzweißen Bildern. Man hört einen Schuss. Der Mann knickt ein, stürzt zu Boden. Wenig später wird er aufstehen, nach dem Griff des Koffers packen und davongehen, als ob nichts geschehen sei.
Eine fremde Stimme spricht in der Eingangssequenz zu den schwarzweißen Aufnahmen: „The future is born out of the past.“ Dazwischen steht die Gegenwart, mit der sich die Figuren in The Battle of Tabatô arrangieren müssen. Wir befinden uns in Guinea-Bissau, im Jahr 2013, Fatu trägt Jeans und T-Shirt, sie benutzt MacBook und Smartphone, der Vater kleidet sich in traditionelle Gewänder. Ruhige Einstellungen begleiten die beiden auf dem Weg zur Hochzeit; aller Modernität zum Trotz braucht Fatu für die Eheschließung den väterlichen Segen. Ein weißes Kleid weht an einer Leine im Wind und bereitet motivisch auf das bevorstehende Fest vor.
Unterwegs auf einfachen Straßen flackern wieder die Bilder. Erst Schwarzweiß. Dann Rot. Dann wieder Schwarzweiß. Etwas passiert mit dem Vater. In einem zerbeulten Jeep färbt sich das weiße Kleid durch das Blut seiner Trägerin rot. Der Vater, plötzlich in Militäruniform, hockt neben der leblosen Tochter und leckt ihr Blut. Man wünscht sich an dieser Stelle, Fatu würde wieder aufstehen, einfach so, wie zuvor der auf dem Platz gestürzte Baio. Vielleicht war auch dieser Unfall nur ein (Alb-)Traum, eine surreale Spielerei?
Wenig später im Dorf erspähen die Kinder die drohenden Vögel, Marabus, und die weisen Männer deuten dies als Unheil. Der Verlobte, Indrissa, wird Fatu auf seinen Armen ins Dorf tragen. Der Krieg im Kopf des Vaters lässt Zukunft nicht zu, er hat ihm seine Tochter indirekt geopfert. Die Hochzeit wird zur Beerdigung, bei der alle Figuren ihre Fassung bewahren. Zum Schluss spielen alle Dorfbewohner auf den einfachen Musikinstrumenten. Die Klänge kommentieren das Geschehene. Die Musik treibt endlich Gefühle zum Vorschein, Entspannung auf die Gesichter. Eine letzte Einstellung zeigt den Vater. Er sagt: „I will pay“. Und aus ihm spricht nicht ein Mann, der seine Tochter getötet hat, sondern das Trauma der Vergangenheit.
Tabea Venrath
Das merkwürdige Kätzchen (2013, Regie: Ramon Zürcher; Forum)
Purer Alltag

Wem ist schon einmal aufgefallen, dass die kleinen Stückchen der Orangenschale immer mit der weißen Seite nach oben landen, wenn man sie zu Boden wirft? Wahrscheinlich niemandem. Und wenn doch, dann wurde dieser Alltagsbeobachtung wohl kaum mehr Beachtung geschenkt als den übrigen Einzelheiten des täglichen Lebens, die übergangen und übersehen werden. Ramon Zürcher gehört nicht zu denen, die solche Momente dem Vergessen überlassen. Mit nahezu fürsorglicher Hingabe schenkt er ihnen die Aufmerksamkeit, nach der sie begehren, entfaltet sie, lässt sie Gestalt annehmen. Im sowohl räumlich als auch sozial klar umgrenzten Rahmen des Abendessens einer erweiterten Familie sowie dessen Vorbereitung findet der Regisseur und Drehbuchautor den nötigen Spielraum, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der jedes Ereignis seine Daseinsberechtigung besitzt.
Der Zuschauer lernt die Familienmitglieder beinahe in Echtzeit kennen (und lieben). Dialoge, die, isoliert betrachtet, fast zu stilisiert erscheinen mögen, in diesem Film jedoch so organisch wirken, dass selbst Monologe glaubhaft werden. Dazu die Hintergründe der Charaktere, die sich durch die subtile Inszenierung erst nach und nach, dafür aber umso genauer erahnen lassen. Die Fragen, die der Film über seine Figuren aufwirft und nicht beantwortet. Weil das in diesem Fall die beste aller Antworten ist.
Eine Story sucht man hier vergebens, denn was dem Zuschauer in Das merkwürdige Kätzchen gezeigt wird, ist purer Alltag – in all seiner Wunderlichkeit und Kuriosität. So wie ein Wort nach der zum zwanzigsten Mal wiederholten Aussprache nicht mehr gewöhnlich klingt, erscheint das Geschehen im Film als Ansammlung von Merkwürdigkeiten, Details, Zufällen. Da schlingert ein Flaschenboden mal länger herum, als er soll, es wird über die Annäherung von fremden Füßen im Kino sinniert oder eine Bratwurst zum fettverschießenden Feind der Gäste erklärt. Alles Situationen, die wir kennen, und die uns fragen machen, warum wir nicht selbst schon unser eigenes Drehbuch geschrieben haben.
So wird der Zuschauer selbst zum Kätzchen, das durch die merkwürdige Welt der Menschen tapst und auf Entdeckungsreise geht. Diese Welt aus anderen Blickwinkeln wahrzunehmen, birgt Überraschungen und Momente voller Situationskomik; zugleich sollte man sich von der Vorstellung lösen, in all dem eine verborgene Absicht zu suchen. Die findet sich schon von allein, oder nicht. Eine Katze findet auch an etwas Gefallen, das sie nicht versteht.
Max Schäffer
Eine gar nicht merkwürdige Katze

Berlin, Sommer, Vogelgezwitscher, gelegentlich sind Autos und Krankenwagensirenen zu hören. Ein Junge spielt mit seinem Ball auf der Straße und wirft ihn versehentlich in das offene Fenster, direkt in die Küche einer typischen Berliner Altbauwohnung. In ihr hält sich eine Großfamilie auf. Die Mutter (Jenny Schily) bereitet etwas im Mixer zu, die kleine Tochter (Mia Kasalo) versucht, dies mit Geschrei zu übertönen. Um sie herum reges Treiben der anderen Familienmitglieder. Auch Besucher kommen nach und nach in die Wohnung.
Das merkwürdige Kätzchen der Familie ist eigentlich gar nicht merkwürdig. Und ein Kätzchen ist es auch nicht. Vielmehr handelt es sich um eine ausgewachsene Katze: eigentlich die Einzige, die nicht merkwürdig erscheint, denn dieser Film stellt viele cineastische Konventionen auf den Kopf. Das beginnt bereits mit den ersten Worten der Protagonisten. Der Regisseur und Drehbuchautor Ramon Zürcher hat sich für eine literarische, eher theatralische Sprache entschieden. Besonders deutlich ist das bei den Monologen der Figuren, die hier oft den Konjunktiv verwenden. In diesen Szenen verlässt die Kamera den Schauplatz der Wohnung und zeigt die Bilder zu den Erzählungen. Diese beschreiben meist pointierte skurrile Begegnungen und Situationen.
Die Dialoge sind kurz, oft beiläufig, leicht und witzig. Jeder scheint etwas mitteilen zu wollen. Manchmal hört das Gegenüber zu, manchmal scheinen sich die Kommentare oder Fragen einfach im Hin und Her der Szenerie zu verlieren. Zugleich ist die Atmosphäre innerhalb dieser Gemeinschaft über die kompletten siebzig Minuten merkwürdig angespannt. Als läge eine unterschwellige Aggressivität in der Luft, die vor allem von der Mutter ausgeht. Ramon Zürcher selbst beschreibt sie als die „Königin des Raumes“.
Im Rahmen eines Seminars der dffb (Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin) hat Ramon Zürcher unter der Aufgabenstellung, Kafkas Verwandlung zu adaptieren, diesen Debütfilm geschaffen. Mit seinem Kameramann Alexander Haßkerl hat er klare, sehr statische Einstellungen entwickelt: keine Schwenks, keine Dolly- oder Kranfahrten. Der Film wirkt dadurch fast wie ein Gemälde oder eine Bestandsaufnahme von Körpern und Objekten. Zürcher bezeichnet ihn nicht ohne Grund ein „audiovisuelles Kunstobjekt“: eine Flasche die scheinbar unaufhörlich in einem Topf kreiselt; die Wurst, aus der das Fett spritzt, oder der Korken, der die Glühlampe zerbricht. In nahezu liebevollen Makroeinstellungen ist selbst die Tür einer Waschmaschine oder ein zerbrochenes Blatt auf dem Fensterbrett ein anmutiger Anblick.
Franz Zimmermann
s
Kommentare zu „Schreiben über Film (3): The Battle of Tabatô und Das merkwürdige Kätzchen“
Carsten
zum Text von Laura Tamoj: Mich stört dieses "wir", welches du in deinem Text konstruierst und (d)einer undifferenzierten Vorstellung von "afrikanischer Geschichte und Kultur" gegenüberstellst. Meiner Meinung ist die Position eines Kritikers erst einmal die einer Einzelperson. Vor allem im Kontext dieses Filmes hat dieses unreflektierte "wir" (vs Afrika?) für mich persönlich einen unguten Beigeschmack von othering.