Schreiben über Film (3): „It’s just so civilised“

Drei kurze Kritiken aus dem Wettbewerb, dem Panorama und der Sektion Berlinale Series, zwei 100-Wörter-Texte über die Verti Music Hall und andere Festivaltraumata. Verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film: Berlinale 2023“ (Stiftung Universität Hildesheim).

Panorama Dokumente: Iron Butterflies

Iron Butterflies. Roman Liubyi benennt seinen Dokumentarfilm nach den schmetterlingsförmigen Bombenfragmenten, die in den Trümmern des Passagierflugzeuges MH17 steckten, das am 17. Juli 2014 auf seinem Weg von den Niederlanden nach Malaysia vom russischen Luftabwehrsystem BUK über der Ukraine abgeschossen wurden Die Schuldfrage ist schnell geklärt. Beweise – zusammengesetzt aus Bildern, Sprachaufnahmen und Zeug:innenberichten – zeigen eine Wahrheit, die der russische Staat bis heute verleugnet.

Zusammengebunden wird das heterogene Material von nachgestellten Szenen in Schwarz-Weiß. Sie zeigen durch Choreografie stilisierte Ereignisse, von denen es keine Videobeweise gibt: Angehörige, die verzweifelt nach ihren Liebsten suchen, und Soldat:innen, die in der Folge des Unglücks Zeug:innen zum Schweigen zwingen. Diese Szenen erinnern durch den Einsatz von Klaviermusik und die wiegenden Bewegungen der Darsteller:innen an einen Tanz. Dialoge sind nicht nötig, um den Schmerz und die Trauer, die die Tragödie und die russische Berichterstattung in der ukrainischen Bevölkerung hinterlassen haben, zu verstehen.

Die Kombination aus Found Footage, Aufnahmen aus dem Gerichtsprozess der Soldat:innen, die für den Angriff verantwortlich gemacht wurden, und den eindrucksvollen Reenactments in Schwarz-Weiß zeichnet ein Bild, das klarer kaum sein könnte: Die Menschen in der Ukraine leiden schon lange unter der repressiven Politik Russlands. Hilfe vonseiten der EU schien nie in Sicht. Es sind vor allem die nachgestellten Szenen, die dem Fall und seinen juristischen Implikationen eine persönliche Note geben. Sie erinnern an die 298 Menschen, die bei dem tragischen Unglück ihr Leben verloren haben.

Investigativ und zugleich emotional scheut sich der Film nicht, anzusprechen, was die Propaganda der russischen Regierung verschweigt. Der Umgang mit den verunglückten Menschen und ihren Hinterbliebenen bleibt dabei stets respektvoll. Sie werden gewürdigt, ohne ihr Leid zu sensationalisieren. Iron Butterflies handelt von Not, von Verzweiflung, von Wut. Es ist ein Aufruf zum Zusammenhalt an Europa, der in seiner Aktualität vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nur an Dringlichkeit gewinnt.

Luise Bald

 

Berlinale Series: Der Schwarm

Hier ist sie also: Die teuerste deutsche öffentlich-rechtliche Serienproduktion aller Zeiten. Die Umsetzung eines über tausend Seiten dicken Weltbestsellers. Auf der diesjährigen Berlinale läuft Der Schwarm / The Swarm (Regie: Barbara Eder, Luke Watson) im Series-Programm außer Konkurrenz. Das ist auch gut so, denn es ist, so viel sei vorweggenommen, eine Enttäuschung auf ganzer Linie.

Im Auftrag des ZDF und diverser internationaler Sender wurde unter Federführung des Produzenten Frank Doelger (Game of Thrones) der durchaus komplexe Stoff für das Fernsehen bearbeitet, der schon bei der Buchveröffentlichung vor fast 20 Jahren, noch lange bevor ein gelangweilter Drogeriemilliardär ein Genre namens Ökothriller für sich beanspruchte, gesellschaftliche Relevanz hatte. Denn die Meere der Welt, Wiege alles Lebens und mächtige Entität des globalen Klimagefüges, waren schon damals durch Jahrzehnte industrieller Übernutzung erkennbar geschunden.

Und so bildet die späte Rache der Natur an der Menschheit das zentrale Plotelement von Buch und Serie. Der Schwarm zeigt in bester Traumschiff-Tradition verschiedene pittoreske Landschaftsschauplätze: Von Peru über Kanada bis nach Norwegen und Frankreich beginnen bedrohliche Vorfälle die Menschen am und auf dem Meer zu treffen. Buckelwale schießen aus dem Wasser und zertrümmern ein vollbesetztes Tourist*innenboot. Mutierte Muschelpopulationen bewuchern in kürzester Zeit Schiffsrümpfe und legen das Ruder lahm. Als in Frankreich nach Kontakt mit einem Hummer Restaurantangestellte reihenweise zu sterben beginnen, tritt endlich die Wissenschaft auf den Plan. In parallelen Erzählsträngen präsentieren sich verschiedene Forschungsteams aus Meeresbiologie oder Medizin, die sich des Mysteriums annehmen. Geeint in ihrer kulminierten Bräsigkeit qualifizieren sich diejenigen, die die Identifikationsfiguren der Serie sein sollen, aber hauptsächlich durch ungläubiges Gaffen, herbeikonstruierte Liebesaffären und das Vorkauen jeder noch so kleinen Information für die Zuschauer*innen in absurd gestelzten Dialogen.

Der Autor der Buchvorlage, Frank Schätzing, verließ das sinkende Schiff, distanzierte sich von der Produktion und sagte der ZEIT noch weit vor der Premiere, die Serie sei „zusammengeschusterter Unsinn“ und „ohne aktuelle Relevanz“. In der Tat, der Schwarm versenkt jedes Potenzial, erzählerisch und bildlich auch nur ansatzweise mutig zu sein, will gleichzeitig aber zu viel: überproduzierte Effekte wie gesättigte Farben bei gleichzeitig billig aussehenden Greenscreen-Aufnahmen. Die durch ausschweifendes Marketing aufgebauschten Erwartungen erweisen sich gerade deshalb als ein Schuss vor den Bug.

Hendrik Felske

 

Wettbewerb: The Survival of Kindness

Eine Flucht aus dem Käfig durch die Wüste über Gebirge in eine Stadt – und ihre Umkehr. Der Kreis einer Geschichte schließt sich. Doch im Gegensatz zu klassischen Held*innenerzählungen, bei denen eine Figur eine Entwicklung durchmacht und am Ende dorthin zurückkehrt, von wo sie aufgebrochen ist, aber eben: reifer, geläutert, auf jeden Fall geformt, kommt BlackWoman (Mwajemi Hussein), die Heldin von The Survivals of Kindness (2023), genauso wieder am Startpunkt ihrer Reise an, wie sie ihn verlassen hat.

Der australische Regisseur und Drehbuchautor Rolf de Heer erzählt in seinem neuen Film die Geschichte einer Schwarzen Frau, die in einer dystopischen, von einem Virus befallenen Welt von einer Gruppe weißer Unterdrücker*innen, die allesamt Gasmasken tragen, in einen Käfig gesperrt und in einer Wüste mitsamt dem Käfig ausgesetzt wird. Nach ein paar Tagen gelingt ihr der Ausbruch, und sie begibt sich auf die Flucht. Im weiteren Verlauf begegnen ihr immer wieder Überlebende der Apokalypse, mit denen sie den ein oder anderen Handel eingeht, um sich selbst bessere Überlebenschancen zu sichern. So verbessert sich beispielsweise ihr Schuhwerk stetig.

Fälschlicherweise wird The Survival of Kindness vom Australian Classification Board (ACB) als „dialoglos“ bezeichnet. Tatsächlich reden die Figuren in einer Fantasiesprache, die keine Untertitel bekommt. Allerdings wird nicht klar, wer dieser Sprache überhaupt mächtig ist. So können sich die weißen Unterdrücker:innen stets problemlos miteinander unterhalten, während BlackWoman in der ersten Hälfte des Films nur durch Schreie, Grunzen oder Gestik kommuniziert, auch mit weißen Menschen, die keine Gasmasken tragen. Als BlackWoman jedoch beginnt, auch in klar verständlichen Sätzen zu kommunizieren, wird nicht erklärt, warum. Einzig die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin schafft es, diese eigentümliche dramaturgischen Entscheidungen immer wieder für die Handlung durchlässig zu machen. Viel öfter jedoch kann das Publikum nur erahnen, was es mit einer Szene auf sich hat, muss es doch stets im Nachhinein rekonstruieren, was zuvor womöglich gesprochen wurde. Unklar bleibt auch der Titel: Worin die „Nettigkeit“ liegt, die das Überleben garantieren soll, wird nicht verständlich.

Zwar gewinnen die Kostüme und prägnanten Kameraeinstellungen dem dystopischen Setting eine eigene Schönheit ab. Insgesamt ist de Heers Film jedoch auf frustrierende Weise irritierend. Am Ende bleibt es ein Rätsel, welchem Ziel BlackWomans Reise überhaupt gilt. Eine Reise, die die Zuseher*innen, praktisch taub, mit der Hauptfigur durchwandern, um am Ende wieder dort zu landen, wo die Geschichte einst ihren Anfang nahm: in einem Käfig in einer Wüste.

Noah Hensler

 

In der Verti Music Hall

Ich warte auf dem Mercedes Platz, während mir der Wind um die Ohren pfeift. Ein Festivalbesucher fragt verblüfft, ob dies die Schlange sei: „It’s just so civilised.“ Die Verti Music Hall ist unterteilt in Parkett und Loge – das Parkett hat eine Tribüne und eine flache Ebene mit Klappstühlen, auf die ich mich setze. Als der Film beginnt, merke ich, dass das die falsche Entscheidung war. Selbst bei der großen Leinwand kann ich die Untertitel kaum erkennen. Ich winde mich auf meinem Klappstuhl und stoße dabei öfters an meinen viel zu nahen Sitznachbarn, der dasselbe tut. Ich gebe auf, der Film ist sowieso auf Englisch.

Oona Philomena Wächter

 

Filme wie Trauma, wie Traum

Bärlin, Berlinale so cute and insane.

Screens, pitches, markets, cryptographic design.

Huge Kino, klein vino – alone, zusammen mit q and a.

Wer erinnert, was vergisst, is not deins oder meins.

Reconstructing, materializing, abounded fragments of life.

I’m competing mit Maschinen, immer gestimmt, summen, summend.

Kein Halt, nicht ehe es goes to an end.

Filme wie Trauma, wie Traum – als Werkzeug, als Zeug.

Zeug, staff, stuffed out.

With Dingen, wardrobes, personal, stars like carpets, moving up 2 the clouds.

Funkelnde lights, bright und erloschen.

Who speaks. Not yet, anymore, more, mehr Zeit.

Red carpet, silent green – Großes Kino müssen hin!

Mona Lühring

Foto Verti Music Hall Copyright Pedro Becerra

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