Schreiben über Film (2): Meine Mutter, ein Krieg und ich
Kommentare zu einer Spurensuche: Drei Rezensionen über den Film Meine Mutter, ein Krieg und ich (2014, Regie: Tamara Trampe, Johann Feindt; D 2014) aus der Sektion „Panorama Dokumente“, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2014“.

Spätestens wenn Regisseurin Tamara Trampe auf einem ukrainischen weißen Schneefeld steht und ihre Finger zu einem Victory-Zeichen reckt, wird klar, dass Meine Mutter, ein Krieg und ich ein lebensbejahender Film ist. „Ich hab dich auf dem Feld verloren“, kommt es lachend aus dem Off. Ihre Mutter Vera erzählt die Geschichte von Tamaras Geburt. „Du hattest schwarze Haare – ich habe dich nach einer grusinischen Schauspielerin benannt.“ Auf die Frage Trampes nach Ähnlichkeiten mit ihrem Vater, einem russischen Kommandeur, antwortet sie pragmatisch: „Du hast seine Augen, sein rundes Gesicht – er war ein hübscher Mann, aber zu alt für mich.“ Trampe fragt zurück: „Was hast du dir da bloß ausgesucht?“ Beide Frauen lachen. Der Kinosaal lacht mit.
Kurz nach dem Interview verstirbt Trampes Mutter. Ihre letzten Worte lauten: „Lass uns Feuer machen, dann wird den Soldaten nicht so kalt.“ Zwei Jahre später begibt sich Trampe mit einem kleinen Filmteam auf die Suche nach ihrer Geschichte ins russische Woronesh. Sie kehrt an den Ort ihrer Jugend zurück, in dem 1942, dem Jahr von Trampes Geburt, der Krieg wütete. Das Verhältnis zwischen Vera und dem verheirateten Kommandeur hielt nicht lange. Später verliebte Vera sich noch einmal, diesmal in einen deutschen Soldaten der Roten Armee, dem sie nach Kriegsende in seine Heimat folgte.
Trampes Suche nach der Liebe auf den Schlachtfeldern eines fürchterlichen Krieges führt sie an Orte und zu Menschen, die ihre Mutter einmal kannte oder gekannt haben könnte. Gerührt steht sie am Bahnhof von Woronesh und denkt daran, wie froh ihre Mutter wäre, sie hier zu wissen. Entschieden klopft sie an Türen von fernen Verwandten und Veras alten Freunden. Sie trifft auf eine ehemalige Frontsoldatin, die stolz ihre Orden zeigt. Auf eine ehemalige Krankenschwester, die ein sowjetisches Marschlied anstimmt. Auf Onkel Vanja, der immer noch von „Hitlerdeutschland“ redet. Es sind Menschen einer Generation, die im Kampf um ihre Heimat erwachsen geworden sind. Menschen, die noch im Alter stark erscheinen – aber auch sehr verletzlich. Es fällt ihnen schwer, sich zu erinnern. Das Marschlied wird mitten in der Zeile abgebrochen. Das russische Wort „Germania“ nur sehr schwerfällig in den Mund genommen. Und immer wieder zeigen die Erinnernden auf Fotografien, die ihnen helfen sollen, die Geschehnisse zu vergegenwärtigen.
Auch Trampe nutzt Fotografien, um zu erzählen. Die Abzüge sind abgegriffen und zerfurcht, an einigen Stellen sogar eingerissen. Die Schwierigkeit, Bilder zu konservieren, sich zu erinnern, wird hier über den Umgang mit den Fotos deutlich. Die Fotoschatulle wird zu einem magischen Ort – es scheint, als müssten die Erinnerungsbilder erst wieder herausgelegt und gut sortiert werden. Und das tun Trampe und Co-Regisseur Johann Feindt sehr sorgfältig und liebevoll: Sie montieren aktuelle Aufnahmen aus Woronesh und Orten in der Ukraine mit Filmaufnahmen aus den Zeiten des Krieges; sie unterlegen Bilder von nebelverhangenen Feldern mit Trampes Erzählungen über Familiennachmittage. Sie greifen den Rhythmus von fahrenden Zügen auf und stellen ihm schwarzweiße Momentaufnahmen entgegen. Es ist ihr Umgang mit den verschiedenen Erinnerungsbildern, der den Film so sehenswert macht.
Silvia Dudek

Tamara Trampe sitzt auf dem Rücksitz eines Wagens. Die Sonne scheint, aber es muss kalt sein, denn die Scheibe ist beschlagen. Sie wischt, bis man nach draußen blicken kann. Der Wagen passiert einen Panzer, der, zum Denkmal erhoben, im Kreisverkehr steht. Dann folgen historische Filmaufnahmen von anderen Panzern, die sich ihre Heroisierung noch verdienen müssen. Es sind Bilder von der sowjetischen Front im Zweiten Weltkrieg.
Tamara Trampe ist in diesem Krieg geboren worden. Ihre Mutter, damals Krankenschwester der Roten Armee, verliebte sich in einen russischen Offizier und wurde schwanger. Doch wer dieser Mann war, wie er aussah, das weiß Tamara nicht, und auch von ihrer Mutter erfährt sie nicht viel mehr, als dass er „kompakt“ und „etwas älter“ war. Kurz vor dem Tod ihrer Mutter filmt Tamara einige Gespräche mit ihr und begibt sich schließlich auf eine Reise in die Vergangenheit, in die Ukraine und nach Russland. In Zusammenarbeit mit Johann Feindt ist dabei die Dokumentation Meine Mutter, ein Krieg und ich entstanden.
Tamara besucht ihren Onkel Ivan, der als Einziger von den vielen Geschwistern der Mutter noch am Leben ist, und drei Frauen, die damals wie ihre Mutter an der Front waren. Sie möchte etwas über diese Zeit, über ihre Mutter, über ihre eigene Geschichte und auch darüber, wer ihr Vater war, erfahren. Dabei schafft sie es auf ihre ruhige, aber bestimmte Art, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, indem sie nicht einfach einen Fragenkatalog abhakt, sondern ihrem Gegenüber Zeit gibt zu erzählen. Die vom Alter gezeichneten Zeitzeugen schildern ihre Geschichten mit Trauer in den Augen, aber ohne jegliches Selbstmitleid und so offen, als gehörte man zur Familie. Der Zuschauer merkt schnell: Diese Menschen haben sehr viel erlebt. 73 Minuten lang übt man sich in respektvollem Zuhören.
Ärmliche Häuser, karge Landschaften, ein grauer Himmel und immer wieder Regen. In Verbindung mit den Familien-Porträts aus Trampes Kindheit, schwarzweiß und teils bis zur Unkenntlichkeit verblichen, fügen die von Johann Feindt eingefangenen Bilder sich zu einem düsteren und etwas bedrückenden Tableau zusammen. Einzig die herzlichen Gespräche mit Trampes Mutter Vera und die vielen kleinen, lebensbejahenden Anekdoten der Zeitzeugen hellen das Gesamtbild auf. Trotz der Tatsache, dass es sich hier um ihre eigene Vergangenheit handelt, bewahrt die Regisseurin in ihren Kommentaren die nötige Distanz und sorgt dafür, dass der Zuschauer, trotz der Privatheit der Gespräche, ein legitimer Gast bleibt. Am Ende fühlt es sich ein wenig an wie der Besuch bei den Großeltern: Man hat ihn wieder einmal zu lange aufgeschoben, aber im Nachhinein noch nie bereut.
Albert Knaub
„Die Erlebnisse sind angestaut“

Ukraine, Winter 1942: An vorderster Front des Kriegsgeschehens bringt eine junge Frau unbemerkt ihr Baby zur Welt. Auf schneebedecktem Feld entbindet sie selbst. Vater bekannt, aber leider vergeben. Sie bringt das Kind zu ihrer Familie, die keine Fragen stellt. Nach elf Monaten kehrt sie zurück an die Front, um als Krankenschwester die Versehrten zu versorgen. Später wird die Schützengraben-Geburt zur Anekdote auf Familienfesten. Die junge Mutter verlässt dann meistens den Raum.
Es ist nicht nur die unglaubliche Geschichte ihrer Herkunft, die Regisseurin Tamara Trampe in ihrem dokumentarischen Film Meine Mutter, ein Krieg und ich zu ergründen versucht. Sie porträtiert exemplarisch auch das Schicksal russischer Frauen, die im Zweiten Weltkrieg gedient haben. Ausgangspunkt ist ein gefilmtes Interview der Regisseurin mit ihrer 90-jährigen Mutter, das zwei Jahre vor deren Tod entstanden ist. Trampe stellt Fragen, über den Krieg, über den Vater, ob die Mutter ihn geliebt habe. Ihr Gegenüber schüttelt den Kopf. Antwortet lakonisch: Geliebt habe sie ihn nicht. Aber verehrt. Er sei schließlich ihr Vorgesetzter gewesen. Nach Kriegsende hat sie geheiratet, einen Deutschen, der bei der Roten Armee war. Diesmal ist es Liebe. Trampe wächst mit ihrem kleinen Bruder in Deutschland auf. Ihr Leben lang spricht die Mutter nur wenig über den Krieg.
Die Tochter sucht weiter nach Antworten. Zusammen mit Co-Regisseur und Kameramann Johann Feindt reist Trampe in die Ukraine. Sie besucht drei Veteraninnen, die sich zum Gespräch bereit erklärt haben. In Armeeuniformen gekleidet, schwer behängt mit Orden, öffnen sie die Türen ihrer winzigen Häuser voller Teppiche. Die wenigen auffindbaren Erinnerungen sind oft geprägt vom Stolz auf den Kriegsdienst. Das Gedächtnis stottert. „Ich bin 89“, sagt eine der Frauen, „ich vergesse meinen Namen.“ Die Verzweiflung darüber, der Vergänglichkeit hilflos gegenüberzustehen, zeigt sich gerade in ihren regungslosen Gesichtszügen. So sehr die Kamera auch versucht, in die Gedankenwelt der Frauen einzudringen, das Geschilderte bleibt für den Zuschauer fremd. Für das Erlebte gibt es keine Sprache und keine Bilder.
Die Wolken hängen tief auf dieser Spurensuche. Der Blick durch die Kamera ist getrübt vom Regenschleier: blinde Flecken an vielen Stellen. Die aus Kisten hervor gekramten Fotografien scheinen zuverlässige Zeugenschaft zu versprechen. Aber was, wenn man sich darauf selbst nicht mehr erkennen kann? Meine Mutter, ein Krieg und ich greift das Fragmentarische der Erinnerung formal auf. In einer Collage aus Interviews, alten Filmaufnahmen und Kindheitserinnerungen, gesprochen aus dem Off, versuchen Trampe und Feindt, aus den verfügbaren Einzelteilen ein Ganzes zu erschaffen. In Überblendungen montieren sie Eindrücke von Gegenwart und Vergangenheit, kontrastieren subjektive Wahrnehmungen mit vermeintlich objektiven Beobachtungen.
Nora Linnemann
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