Schreiben über Film (2): Hedi Schneider steckt fest
Drei Rezensionen über den Film Hedi Schneider steckt fest (2015, Regie: Sonja Heiss), verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2015“ (Stiftung Universität Hildesheim)
Hedi Schneider hat Monster unterm Bett
Sonja Heiss erzählt in Hedi Schneider steckt fest mit Einfühlungsvermögen und Witz die Geschichte einer Familie, die mit der psychischen Krankheit der Mutter zu kämpfen hat.

Wenn Hedi Schneider im Aufzug stecken bleibt, dann bestellt sie Burger und Pommes. Beim Sicherheitsdienst, durch die Sprechanlage, um die Wartezeit zu überbrücken. Sie ist eine fröhliche Person, die vergnügt durch die Stadt radelt oder begeistert mit ihrem Sohn Finn Indianer spielt. Doch nicht nur der Tod ihrer Großtante nimmt sie mehr mit, als sie gedacht hätte. Auch der Suizidversuch eines Kollegen setzt ihr zu. Und auf einmal steckt Hedi in ihrem eigenen Leben fest.
Hedi hat Angst. Angst vor Verlust, Angst vor dem Tod, Angst vor sich selbst. Angst vor der Angst, diagnostiziert einer der Therapeuten, die sie aufsucht. „Alles ist taub“, sagt sie einmal zu ihrem Mann Uli, der sich alle Mühe gibt, mit der neuen Situation und der neuen Hedi umzugehen. Die Depressionen stellen die Beziehung der beiden auf die Probe. Die Fassade ihres Wohnhaues wird erneuert, das Zusammenleben bröckelt. Auf der Suche nach einem Lichtblick schneidet Ulli ein Loch in die Bauplane des Gerüstes vor dem Fenster.
Regisseurin Sonja Heiss gelingt ein Film, der die psychische Krankheit mit Ernst, aber auch mit Witz und Ironie behandelt. Die Regisseurin fordert die Zuschauer heraus, lässt sie immer Betrachter von außen sein und zieht sie doch emotional nah an die Figuren heran. Laura Tonke überzeugt durch eine facettenreiche Darstellung der Hauptfigur, Hans Löw durch die des überforderten Ehemannes; Leander Nitsche überrascht in der Rolle des kleinen Finn, der die Veränderung seiner Mutter nicht verstehen will und kann. Energisch versucht er, die Monster wegzusaugen, die Hedi so sehr verändert haben. Doch mit den Monstern unterm Bett ist es wie mit Staubflusen. Man kann zwar versuchen, sie zum Verschwinden zu bringen, aber ganz kommt man nicht gegen sie an.
Johanna Hanke
Ständig Angst vor Monstern
In Hedi Schneider steckt fest lacht der Zuschauer nicht über eine psychisch Kranke, sondern über den Umgang mit ihr.

„Wir haben eine Epidemie“, sagt Hedi Schneider scherzhaft zu ihrem Mann Uli, die Plastikspritze vom Spielen mit dem Sohn noch in der Hand. Wenig später liegt sie nach Luft ringend auf dem Küchenboden, und Uli ruft den Krankenwagen. In das Leben der fröhlichen, kindlich wirkenden Familie ist plötzlich das Unheimliche eingetreten. Hedi ist im Aufzug stecken geblieben, ein Kollege hat versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen. Was die Panikattacken auslöst, bleibt offen, fest steht aber: Hedi Schneider ist nicht mehr dieselbe, kann nicht allein sein, liegt apathisch auf dem Sofa, traut sich nicht hinaus.
Der Film von Sonja Heiss zeigt den Umgang mit dieser psychischen Erkrankung auf amüsante und dennoch differenzierte Weise. „Wenn es mir schlecht geht, dusche ich kalt“, rät Hedis Mutter, und kurz darauf: „Du musst etwas essen.“ Als Ehemann Uli versucht, seinen geplanten Arbeitsaufenthalt in Afrika zu verschieben, behauptet er, seine Frau habe Krebs. Der Missbrauch von Psychopharmaka wird zunächst augenzwinkernd thematisiert, wenn Hedi sich an den Beruhigungsmitteln berauscht wie an Partydrogen. Eine Verharmlosung kann man dem Film dennoch nicht vorwerfen, denn sehr bald wird klar, dass sie damit eine Abhängigkeit riskiert.
Der schnelle Wechsel zwischen Tragik und Komik gelingt mit großer Präzision, ohne dass lustige Momente ins Alberne oder ernste ins Pathetische rutschen. Das ist vor allem ein Verdienst der Schauspieler. Stärker noch als Hauptdarstellerin Laura Tonke ist Hans Löw in der Rolle des Uli, der zwischen liebender Sorge, dem Versuch zu helfen, Überforderung und Ablehnung agiert. Auf die Frage ihres Sohns Finn, was denn mit Mama los sei, erklärt er, Hedi habe ständig Angst vor Monstern. Woraufhin Finn versucht, die Monster mit dem Staubsauger einzufangen.
Marcella Melien
Mama hat jetzt ständig Angst vor Monstern
Hedi Schneider steckt fest lautet der programmatische Titel von Sonja Heiss’ zweitem Spielfilm, vorgestellt im Forum der diesjährigen Berlinale. Er verhandelt die Frage, wie viel Ich-Krise eine Paarbeziehung aushalten kann – und möchte.

Hedi ist einer dieser Menschen, die nie richtig zur Ruhe kommen. Ihr Leben ist so geordnet wie die Strähnen ihres verwuschelten Dutts, nicht einmal ein Fahrstuhl, der stecken bleibt, kann sie zum Innehalten zwingen. Der Sterilität ihres Großraumbüros trotzt sie mit unbekümmertem Witz: eine Frau, die so leicht nicht zu irritieren ist, auch nicht durch ihren Chef, der sie immer wieder einmal durch die Glasscheibe beobachtet.
Bei all dieser Wuseligkeit übersieht man fast, dass das Thema Tod zu Beginn des Films mehrfach beiläufig auftaucht: in Gestalt einer verstorbenen Großtante, eines getöteten Kuscheltiers, eines suizidalen Kollegen. Schließlich gelangt Hedi in einer Panikattacke zu der Überzeugung, nun selbst sterben zu müssen. Da ist auf einmal Schluss mit lustig. Ihr wird eine Angststörung diagnostiziert. Dabei mag man im unangestrengten Zusammenleben der Familie keinen Mangel erkennen: Auf die Kinderspielchen mit Sohn Finn (Leander Nitsche) folgen nette Sexspielchen mit dem Ehemann (Hans Löw); nachts wird in Löffelstellung geschlafen. Was ist es also, das Hedi in die Depression treibt?
Die Regisseurin Sonja Heiss lässt diese Frage offen. Der Blick auf Hedis Krise bleibt einer von außen: der Blick des Ehemannes, der sich als Therapeut versucht, der Blick der Mutter, in deren Generation solche Befindlichkeiten kein Thema sein dürfen. „Wenn es mir schlecht geht, dann geh ich kalt duschen.“ Fernab einer umständlichen Psychologisierung verlegt der Film den Fokus auf die Angehörigen und ihren Umgang mit der Situation. Darf Uli jetzt nicht mehr auf Partys gehen?
Laura Tonke spielt Hedi Schneider so, dass man sich fragt, ob diese Figur überhaupt anders zu besetzen wäre. Sie schafft das Porträt einer freundlichen Stadtneurotikerin, die den Draht zu sich selbst durch progressive Muskelrelaxation wiederzuerlangen versucht. In diesen und anderen Szenen gelingt eine offene Annäherung: Hedis Schwanken zwischen aktionistischen Einfällen und panischer Gelähmtheit wird weder trivialisiert noch zu ernst genommen. Die verschiedenen Tonlagen paraphrasiert eine Filmmusik, die auch aus Baulärm eine Melodie zu entwickeln weiß.
Ann-Kristin Tlusty
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