Schreiben über Film (2): "Grass"
Gespräche in Schwarzweiß: Hong Sangsoos Grass ist ein Film, der vor allem von seiner Kameraarbeit und seinem Understatement lebt. Drei Kritiken, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2018“ (Stiftung Universität Hildesheim).
Ein langer Monolog über die Liebe

Ein Bild in Schwarzweiß: ein MacBook, dahinter eine junge Frau an einem Cafétisch. Sie sitzt, lauscht und tippt, spinnt die Gespräche weiter, die an den benachbarten Tischen geführt werden. Ihre Gedanken sind laut zu hören, während ihr Gesicht stumm und konzentriert auf den Bildschirm gerichtet ist. Das leise Klacken der Tastatur mischt sich mit Wagners „Lohengrin“. Der Cafébesitzer ist ein Klassikfan und, wie die Figuren mehrfach erzählen, ein guter Mensch. Im Film allerdings ist er nie zu sehen.
An einem Nebentisch: Ein junges Paar, sie beschimpft ihn, er ist geknickt, sie blickt ihn unsicher an, er geht eine rauchen. Schwenk auf einen alten Schauspieler und eine gute Freundin, er am Ende seiner Karriere und sie fast zu schüchtern, um sich seiner penetranten Bitten um Freundschaftsdienste zu erwehren. Noch einen Tisch weiter wiederum ein Schauspieler, der sich als Autor neu erfinden möchte und dafür auf die Unterstützung einer jungen Frau, ebenfalls Autorin, angewiesen ist. Diese Paare sprechen viel und wissen fast nichts voneinander. Mann sein heißt in diesem Café-Kosmos, eine gescheiterte berufliche Laufbahn zu verarbeiten und viel zu rauchen. Frau sein heißt hier häufig zuhören, auch ziemlich viel zu rauchen und sich zu viel von seinem Gegenüber gefallen lassen zu müssen.
Über Hong Sang-soos Filme wird gesagt, sie seien Liebesfilme. Und in Grass wird ein langer Monolog über die Liebe geführt. Die junge Autorin vom Anfang trifft ihren Bruder und dessen neue Freundin in einem anderen Café; einer der wenigen Momente, in denen sich der Film von seinem Hauptschauplatz entfernt. Sie befragt, ziemlich forsch, die Freundin nach deren Gefühlen, nach Heiratsplänen, danach, was sie überhaupt an dem Bruder finde. Zunehmend genervt von den vagen Antworten, holt sie schließlich zu einem Rundumschlag aus. Die Liebe sei schlicht irrelevant. Worum es eigentlich gehe, sei, einander zu kennen, absolute Ehrlichkeit.
Beim Einrichten in den nicht ganz idealen Verhältnissen hilft den Figuren der Alkohol. Sie trinken Soju, einen sehr süßen und sehr hochprozentigen koreanischen Schnaps. Er wird in das Café geschmuggelt und dann doch ganz offen getrunken, denn wie gesagt: Der Wirt ist ein guter Mensch, und Soju ein gutes Getränk, um ein bisschen zu schwelgen und zu vergessen.
(Adele Dittrich)
Schreibübungen oder: Vom Leben mit den Toten

Eine junge Frau sitzt in einem Café einem jungen Mann gegenüber. Zunächst unterhalten sie sich über Belanglosigkeiten: Wie es dem anderen geht, wie die Arbeit läuft. Nach und nach wandelt sich das Gespräch. Eine gemeinsame Freundin hat Selbstmord begangen. Die junge Frau gibt dem Mann die Schuld daran, brüllt ihn an. Der Blick der Kamera bleibt auf seinem Gesicht, scheint an seinen Reaktionen mehr interessiert als an ihren Ausbrüchen.
Ein Mann mittleren Alters sitzt einer Frau gegenüber, die etwas jünger scheint. Er erzählt von seinem Selbstmordversuch, davon, dass es ihm nun besser gehe, er aber keine Wohnung habe. Auf Nachfrage erzählt sie von dem Haus, in dem sie zusammen mit einer anderen Frau wohnt. Er fragt, ob er nicht einziehen könne, in das dritte Zimmer, das doch frei sei. Sie verneint.
Unangenehme Gespräche zwischen schwierigen Menschen. Männer, die das Nein der Frauen nicht akzeptieren, die insistieren. Auffällig viele der Personen, die das Café betreten, sind Schauspieler oder Schriftsteller, oder sie schreiben, obwohl sie eigentlich Schauspieler sind. Untermalt werden die Gespräche von Musikstücken von europäischen Komponisten wie Wagner, Offenbach, Schubert. Die Lautstärke ist dabei immer wieder so hoch, dass die Gespräche kaum zu verstehen sind.
Schwarzweiß-Bilder zeigen Figuren, die von tragischen Schicksalen erzählen, vom Umgang mit dem Selbstmord einer nahestehenden Person, von Schuldgefühlen, von Schuldzuweisungen, vom Weiterleben, vom Leben mit den Toten. Alleine mit ihrem MacBook an einem Tisch in der Ecke des Cafés sitzt eine Frau, beobachtet das Geschehen, tippt, lauscht. Ihre Stimme ist zu hören, wenn sie die Gespräche der Personen und die Personen selbst kommentiert und bewertet, bevor sie sich selbst zum Gespräch begibt und zu einer Rede über die Liebe ansetzt.
(Leonie Ewers)
Verknüpfung verworrener Situationen

Ein Café in Seoul, im Hintergrund klassische europäische Musik. Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber, vor ihnen stehen eine Tasse und ein Glas. Die Frau erzählt, dass sie nach Europa verreisen will. Er fragt, wohin genau. Sie antwortet nur vage. Gut sehe er aus, sagt sie. Er schaut betreten weg. Dann fragt sie ihn, ob er sich nicht schuldig fühlt, verantwortlich für den Tod einer gemeinsamen Freundin. Wie könne er nur glücklich sein, nach dem, was passiert ist. Er steht auf und verlässt das Café.
Am Nachbartisch sitzt eine junge Frau vor ihrem MacBook und schreibt das Gespräch mit. An manchen Stellen ergänzt sie den Dialog und spinnt die Geschichte weiter. Welche Beziehung haben die beiden zueinander? Warum macht die Frau den Mann für den Tod der anderen verantwortlich? Die beiden sind nicht die Einzigen, die von der jungen Areum im Café belauscht werden. Es tauchen weitere Personen auf, darunter der Mann, der nach seinem Selbstmordversuch eine Wohnung sucht, das Paar, das heiraten will, der Schauspieler, der an einem Drehbuch schreibt, die Frau, die den Tod ihres Freundes nicht verkraftet. Die Schreibende bleibt keine stille Beobachterin, sondern interagiert mit den von ihr observierten Personen.
Geschickt verknüpft Regisseur Hong Sang-soo verworrene Situationen, die in dem Café zusammenlaufen. Durch den Bildaufbau und die Kamerabewegung gleichen sich die Einstellungen auch visuell. Männer und Frauen sitzen sich frontal gegenüber, die Kamera filmt sie im Profil. Nach einigen Minuten zoomt sie auf eine der beiden Personen und schwenkt ohne Eile zwischen den Gesprächspartnern hin und her. Die Schwarzweiß-Bilder des Films und die Gegenüberstellung von Frauen und Männern stehen im Kontrast zu der jungen Frau mit ihrem Laptop, die sehr bestimmt die Flirtversuche eines berühmten Schauspielers ignoriert.
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