Schreiben über Film (1): Love, Lies & Lots of Bleeding

Berlinale 2024: Love Lies Bleeding, Turn in the Wound, Intercepted, Mit einem Tiger schlafen und The Cats of Gokogu Shrine. Kurze Kritiken aus den Sektionen Berlinale Special und Forum, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film: Berlinale 2024“ (Stiftung Universität Hildesheim).

Berlinale Special: Love Lies Bleeding

New Mexico, 1989. In einer großen Halle trainieren schwitzende, muskelbepackte Männer und Frauen. Hier lernt die zurückhaltende Managerin des Fitnessstudios Lou (Kristen Stewart) die ehrgeizige Bodybuilderin Jackie (Katy O’Brian) kennen. Zwischen den beiden funkt es auf Anhieb. Was als sehr leidenschaftliche Romanze anfängt, wird schnell von Lous Familiendrama überschattet. Ihre Schwester Beth (Jena Malone) wird von Ehemann JJ (Dave Franco) seit jeher geschlagen und landet schließlich im Krankenhaus. Lou, die alles daransetzt, ihre Schwester zu beschützen, will JJ tot sehen. Nachdem ihr krimineller Vater Lou Sr. (Ed Harris) trotz seiner Versprechen untätig bleibt, nimmt Jackie das Ganze in die Hand.

Wie im klassischen Film noir geht es in Rose Glass’ Love Lies Bleeding um Leidenschaft – und die Kriminalität, die jener in die Quere kommt. Besonders der leidenschaftliche Part profitiert von der spürbaren Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen und entwickelt sich in schnellem Tempo und hitzigen Sexszenen. Das kriminelle Element zeigt sich dafür zunächst verhalten, in aufblitzenden, rotgefärbten Rückblicken. Um dann mit einem Schlag (im wahrsten Sinne des Wortes) Fahrt aufzunehmen.

Die Gewalt, die von da an zu einem zentralen Element des Films wird, ist nichts für schwache Nerven. Das liegt unter anderem auch an dem intensiven Sounddesign. Sei es das reißende Geräusch wachsender, pulsierender Muskeln oder das Bewegen einer Leiche mit herabhängendem Kiefer. Mit der blutigen Wende schreitet auch Jackies Bodybuilding-Transformation immer weiter fort und unterstreicht die Entwicklung einer neuen Weiblichkeit. Eine, die sich auf die eigene Muskelstärke verlässt und sich damit behauptet.

Sarah Reichert

Berlinale Special: Turn in the Wound

Die hohe Kunst und der Krieg. Filme, die diese Themen vereinen, versuchen sich oft in Kunstgriffen, um der Komplexität der Katastrophe gerecht zu werden und eine politische Stellungnahme zu entwickeln, die Raum für das eigene Weiterdenken lässt. Abel Ferraras Dokumentarfilm Turn in the Wound ist das totale Gegenprogramm. In nur 77 Minuten werden Handheld-Aufnahmen gezeigt, die Gesichter absuchen, während Geschichten erzählt werden. Keine ruhigen Kamerafahrten oder geplanten Stativaufnahmen, jede Szene scheint sich aus dem Moment zu ergeben.

Neben den Geschichten von ukrainischen Soldaten gibt es auch Anekdoten von Patti Smith. Der Film begleitet sie bei Proben und Auftritten, bei denen sie Gedichte und Lieder vorträgt oder die Verse französische Dichter performt. Dazu die Szenen des Kriegs in der Ukraine. Das irritiert, weil es vermessen scheint. Was soll die schöne Kunst angesichts dieser Zustände sagen, das nicht von der Gewalt realer Verhältnisse in den Schatten gestellt wird? Aber genau von diesem Dilemma handelt der Film.

Es wird kein sorgfältig recherchiertes Tableau an Fakten ausgebreitet, es werden keine formal ausgearbeiteten Interviewsequenzen gezeigt, keine Zusammenhänge hergestellt. Ferrara nimmt das Einfache sehr ernst und konzentriert sich auf die Frage, wie man als Mensch und Filmemacher diesen Krieg und seine Folgen begreifen kann. In der auffälligen Abwesenheit ausgefeilter Inszenierungsstrategien stoßen Smartphone-Videos auf Helmkamera-Material von Soldaten und auf die Interviewpassagen, all das wiederum auf die Aufnahmen von Patti Smith und ihrer Performance. Das bleibt sperrig und läuft nie wirklich rund. Aber da, wo sich die größtenteils parallelen Stränge überlagern, entfaltet der Film eine Wirkung, die mehr als die Summe ihrer Teile ist.

Stephan Gräfe

Forum: Intercepted

Im Saal des Delphi-Filmpalasts wird es dunkel; die Reihen sind voller Menschen. In die Dunkelheit hinein hört man Schluchzen. Über die Leinwand flimmern Bilder voller Zerstörung, Einsamkeit und Brutalität. Bilder aus Europa.

Der Dokumentarfilm Intercepted von Regisseurin Oksana Karpovych zeigt die zerstörte Ukraine. Zerbombte Wohnzimmer, Küchen und Brücken. Alltagsszenen vor dem Hintergrund einer dystopischen Kriegslandschaft. Unaufhörlich fängt die Kamera solche Orte ein, ob in Städten oder Dörfern. Meist harrt sie in einer Einstellung aus und observiert auf diese Weise die Umgebung.

Fast wie eine zweite Handlung legt sich die Audiospur über die Bildebene. Vom ukrainischen Geheimdienst abgefangene Telefonate russischer Soldaten mit ihren Angehörigen. Man will endlich wieder nach Hause, doch dafür müsse man alle Feinde töten. Zivilisten stellen Bedrohungen dar, und man erschießt sie. Einer beschreibt detailliert die Foltermethoden, die an Gefangenen angewandt werden. Nur manche fragen, wo denn eigentlich die nukleare Militärbasis sein soll, von der die Vorgesetzten ihnen erzählt haben.

In einigen Gesprächen wird die russische Propaganda klar abgebildet. Andere Soldaten erzählen, dass sie so abgestumpft sind, dass ihnen Töten nichts mehr bedeutet. Menschlichkeit findet sich hier kaum, doch so sehr sich das Bild einer brutalen Besatzung manifestiert, wird das Publikum auch mit einer anderen Wahrheit konfrontiert, als der Film einen kurzen Blick auf eine Gruppe russischer Kriegsgefangener wirft: Menschen mit leerem Blick.

Ulrike Zeuner

Forum: Mit einem Tiger schlafen

Maria Lassnig liegt im Bett, die Decke bis ans Kinn gezogen, über ihr wird gebetet. Die künstlerische Karriere liegt noch vor ihr, sie ist ein Kind. Anfänglich wird sie auch von einem verkörpert, doch dann folgt der Bruch. Plötzlich liegt dort die 46-jährige Schauspielerin Birgit Minichmayr, die Lassnig von diesem Moment an bis zum Totenbett über alle Lebensphasen hinweg spielen wird. An solchen gestalterischen Entscheidungen wird deutlich, dass dieses Porträt über die österreichische Künstlerin nahezu alle Konventionen des klassischen Biopics sprengt.

Die Experimentierfreude der Regisseurin Anja Salomonowitz zeigt sich auch, wenn dokumentarische Aufnahmen verarbeitet werden, Zeitzeugen als sie selbst auftreten und ihre Begegnungen mit der Künstlerin schildern oder Ameisen für Lassnig ein Bild nach Hause tragen. Die Entscheidung, die Biografie der Künstlerin fast ausschließlich chronologisch zu erzählen, gibt dabei die notwendige Orientierung und zeichnet von der Kindheit über das Kunststudium und Auslandstationen bis ins Alter alle wichtigen Episoden nach. Die Erzählung legt dabei, abseits von Lassnigs langem Kampf um Anerkennung im Kunstbetrieb und die Beziehung zu ihrer Mutter, den Fokus zu weiten Teilen auf ihre künstlerische Arbeit, die ohnehin mit allem verzahnt ist. Ein Atelier-Kammerspiel.

Die Begeisterung des Filmteams für die Künstlerin und ihr Werk wird in der Gestaltung durchweg deutlich. Immer wieder werden Lassnigs Werke ins Bild gesetzt. Ganz ohne Zooms, Halbtransparenz oder animierte Bewegungen. Das ist eine Stärke des Films, kann aber auch als eine Schwäche gedeutet werden, denn oft stellt sich der Verdacht ein, dass Mit einem Tiger schlafen auf keinen prägnanten Moment, kein Zitat und kein Werk verzichten wollte und dabei ein wenig die Atempausen aus dem Blick verliert, in denen mehr von Lassnigs Alltag hätte gezeigt werden können.

Stephan Gräfe

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Wie kann ein Film ein Leben von 94 Jahren in zwei Stunden darstellen? Wie kann er das Leben einer Künstlerin zeigen, ohne sich im Abklappern der verschiedenen Lebensstationen zu verlieren? Regisseurin Anja Salomonowitz hat es versucht. Sie verfilmt das Leben von Maria Lassnig, verbindet Spiel- und Dokumentarfilm und gestaltet einen Film, der nach einem der Gemälde der Künstlerin benannt ist: Mit einem Tiger schlafen.

Der Film zeigt Lassnig als unerschrockene Frau, die sich von den Widerständen ihrer Zeit nicht einschüchtern lässt. Ihr Credo lautet „I paint my feelings“. Trotzdem wird sie als Künstlerin nicht ernst genommen, erst am Ende ihres Lebens erhält sie die verdiente Anerkennung. Birgit Minichmayr verkörpert diese Protagonistin, und zwar in allen Lebensabschnitten. Anders als in den meisten Filmbiografien, in denen die Kindheit und das hohe Alter von jeweils anderen Schauspieler*innen dargestellt werden, wird Lassnig fast über den gesamten Film von derselben Frau gespielt. Ganz gleich ob Kind, Jugendliche, Erwachsene oder Seniorin: Die Künstlerin hat denselben Körper.

Die verschiedenen Lebensphasen werden nur durch Gestik, Mimik und Kleidung der Schauspielerin unterscheidbar. Was zuerst nach einer unglaubwürdigen Darstellung klingt, gibt dem Schauspiel überraschenden Freiraum, um Lassnig zum Leben zu erwecken. Dazu tragen neben Minichmayrs Darstellung vor allem die Kostüme von Tanja Hausner bei.

Salomonowitz verbildlicht das Innenleben der Protagonistin auch durch deren Kunstwerke, die immer wieder in den Film eingebunden werden. Auf der Leinwand sind abstrakte Gemälde mit starken Farben zu sehen; Lassnig liegt neben ihren Bildern und trägt weiße Kleidung mit roten Flecken. Als Kind wurde sie von ihrem Vater besucht, der ihr vorschlug, den Zirkus zu besuchen, um einen Tiger zu sehen. Der Film zeigt die Fahrt dorthin, aber nicht das Ankommen. Jahre später malt die Künstlerin das titelgebende Gemälde.

Zeynep Ipek

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„Ich will, dass sie mir das Gleiche zahlen wie Joseph Beuys.“

Maria Lassnig wird heute zu den bedeutendsten Malerinnen des 20. Jahrhunderts gezählt. Anja Salomonowitz zeichnet mit ihrem neuen Spielfilm ein komplexes Porträt der eigensinnigen Österreicherin, eine Biografie mit dokumentarischen und fantastischen Anteilen.

Anfang des 20. Jahrhunderts hat es eine Frau nicht leicht, in der männlich dominierten Kunstwelt Anerkennung zu finden. Schon gar nicht, wenn sie expressionistische Bilder malt. Maria Lassnig führt ein größtenteils einsames Leben, sie erlebt über lange Zeit Ablehnung, Frustration und Trauer. Durch das großartige Spiel von Birgit Minichmayr (Alle Anderen, 2009; Schachnovelle, 2021) überträgt sich aber auch der Charme einer humorvollen, leidenschaftlichen Künstlerin.

Die 46-jährige Minichmayr verkörpert Lassnig in allen Etappen eines langen Lebens. Das Mädchen, das mit ihrer Mutter (Johanna Orsini) lebt und Porträts von ihren Nachbarn malt. Die junge Künstlerin, die sich auf einer ihrer ersten Ausstellungen in den selbstbewussten Grafiker Arnulf Reiner (Oskar Haag) verliebt. Die alternde, dickköpfige Frau, die von ihrem Freund und Assistenten Hans-Werner Poschauko (Lukas Watzl) unterstützt wird und endlich eine angemessene Wertschätzung in der Kunstwelt erhält.

Mit einem Tiger schlafen ist sorgfältig gestaltet, die Hintergründe mal schmuddelig-weiß wie im Atelier, mal hochglanz-weiß wie in der Galerie. Der Film entzieht sich einer eindeutigen Genre-Zuordnung. Surreal erscheint er, wenn Ameisen in Not zu Hilfe eilen oder wenn ein Tiger durch den Raum stolziert und sich ins Bett gesellt. Aber wenn Figuren dann plötzlich in die Kamera schauen und sich als Zeitzeuginnen entpuppen, die aus der Vergangenheit mit Lassnig erzählen, dann erinnert die sorgfältig recherchierte Filmbiografie kurz an einen klassischen Dokumentarfilm.

Wer frühere Filme der österreichischen Regisseurin Anja Salomonowitz kennt (zum Beispiel Dieser Film ist ein Geschenk, 2021), wird sich über die hybride, nicht-lineare Erzählform nicht wundern. Bereits mit einem ihrer ersten Filme, Kurz davor ist es passiert, war sie 2008 auf der Berlinale vertreten, auch damals in der Sektion Forum. In diesem Jahr werden, ergänzend zu Maria Lassnigs Lebensgeschichte, einige Kurzfilme der Künstlerin aus den 1970er Jahren gezeigt, unter dem Titel „Encounter“ im Forum Special vom 19. bis 24. Februar.

Tilo Neuhaus

Forum: The Cats of Gokogu Shrine

In dem japanischen Dorf Ushimado gibt es ungewöhnlich viele Katzen rund um den örtlichen Schrein. Und der Dokumentarfilmer Kazuhiro Soda filmt sie. Beim Lesen der Ankündigung für den Film The Cats of Gogoku Shrine mag die Frage aufkommen, ob zwei Stunden Katzenvideos den Besuch wert sind. Sind sie, so viel darf vorweggenommen werden.

Kazuhiro Soda gestaltet seine mehrfach in die Sektion Forum eingeladenen Filme immer nach dem gleichen, selbstauferlegten Regelwerk. Sein Ansatz besteht darin, die Kamera ohne große Vorbereitung direkt draufzuhalten. Filmen als einfache, aber gründliche Beobachtung, ohne Budget, ohne Team, ohne Mission. Dass dies durchaus unterhaltsame und spannende Ergebnisse produzieren kann, beweist auch der aktuelle Berlinale-Beitrag.

Die Treppe zum Schrein, der kleine Garten drum herum, der ebenso kleine Parkplatz am Meeresufer davor, eine Häuserreihe im Dorf. Auf diese vermeintlichen Nebenschauplätze richtet sich die Aufmerksamkeit. Dort kommt die Kamera den Katzen näher. Jede von ihnen hat einen Namen, einen Charakter, ein individuelles Aussehen. Das Publikum lernt den Alltag der flauschigen Stars kennen und nebenbei auch einige der Menschen, die in der Nachbarschaft des Gogoku-Schreins wohnen.

Das tägliche Drama der Futtersuche, die Sorge um den Nachwuchs, das Beobachten der Dorfbewohner. Richtig, auch die Katzen scheinen aufmerksam Beobachtende zu sein. Immer wieder nimmt die Kamera ihre Perspektive ein, erfasst aber auch die Schönheit der Kirschblüten, die Weite des Meeres und die meist etwas glücklosen, aber aufrichtigen Versuche der Menschen, mit den Katzen zu kommunizieren.

Indes verstehen wir langsam das Dilemma der Dorfgemeinschaft. Klar, die Katzen sind liebenswert, es sind nur wirklich viele, und ihr Kot ist überall. Aber würde das Dorf nicht auch etwas ganz Besonderes verlieren, wenn alle Katzen sterilisiert würden? Die Diskussion dazu im Gemeinderat und anderswo verfolgt Kazuhiro Soda ausführlich, und hier fällt es das erste und einzige Mal etwas schwer, aufmerksam zu bleiben.

Der Filmemacher versteckt seine Sympathie mit den Katzen in Ushimado nicht. Mit den kurzweiligen, manchmal auch berührenden Aufnahmen, die er geschickt zu kleinen Episoden montiert, fällt es leicht, seine Perspektive zu übernehmen. Wer zum Ende des Films dann jede einzelne Katze ins Herz geschlossen hat, wird wohl auch den Regisseur in seiner offenen, humorvollen und vorsichtig beobachtenden Art ein wenig liebgewonnen haben.

Paris Scholtz

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