Schreiben über Film (1): Girls Always Happy, Extended Sea & Classical Period

Kurzkritiken zu den Filmen Girls Always Happy von Yang Mingming, Extended Sea von Nesrine Khodr und Classical Period von Ted Fendt, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2018“ (Stiftung Universität Hildesheim).


Bestandsaufnahmen eines hysterisierten Alltags

„Wir alle brauchen Wärme; dafür müssen wir den selben Weg einschlagen.“ Aber Wu will nicht den Weg gehen, den alle anderen gehen. Will nicht offen sein. Nicht gegenüber ihrer Mutter, mit der sie die Wohnung, das Berufsfeld und manchmal auch ein Bett teilt. Nicht gegenüber ihrem Freund, der sie finanziell unterstützt und zu seinem Fernsehauftritt schleppen will. Und auch nicht gegenüber ihrem Opa, der im Supermarkt klaut, während sie seinen Geschenkgutschein einlösen.

In ihrem ersten Langspielfilm Girls Always Happy (Rou qing shi) porträtiert die in Peking geborene Regisseurin Yang Mingming eine Mutter-Tochter-Beziehung, die sich zwischen Heul-Wettstreit und gemeinsamer Kriegserklärung bewegt. Statische, unaufgeregte Kameraeinstellungen liefern Bestandsaufnahmen eines hysterisierten Alltags, der erdrückend und unbefriedigend sein kann. Manchmal muss man ihn einfach aushalten – auch als Zuschauerin. Und wenn der Bus nicht kommt, bleibt nichts anderes übrig, als dreimal den Weg hin und zurück zu gehen.

(Annegret Feistl)

Neun Kilometer bis Europa

Ein Schwimmbecken, dahinter ein schmaler Streifen Strand, dahinter das Meer, dann der Horizont, dann der Himmel. Die Videoinstallation Extended Sea (2017) der Libanesin Nesrine Khodr besteht aus einer Einstellung, die von zwei Beamern projiziert wird. In dem Schwimmbecken schwimmt eine Frau ihre Bahnen. Es ist die Künstlerin selbst. Die Zeit vergeht kaum merklich. Nur wenn man im Verlauf des zwölfstündigen Films den Raum verlässt und wieder betritt, sind die Änderungen des Lichts und der Tageszeiten wahrzunehmen.

Es sind Grenzen zu sehen. Es gibt den Strand, der das Schwimmbecken von den schäumenden Wellen des Meeres trennt. Und der Streifen zwischen Meer und Himmel ist die Lücke zwischen den Projektionen der beiden Beamer. Die Zuschauer, entspannt auf Sitzsäcken gelagert, werden Teil des Kunstwerks. Ihre Haltung erinnert an eigene Strandaufenthalte. Und während sie da liegen, schwimmt Nesrine Khodr immer wieder ins Sichtfeld hinein und wieder hinaus. Während der langen Aufzeichnung des Videos legte sie etwa neun Kilometer zurück. Das ist die Strecke vom Drehort am Strand von Beirut zur griechischen Insel Lesbos.

(Vincent Kresse)

Ein kollektiver Supercomputer

Das Seitenverhältnis von Ted Fendts Spielfilm Classical Period, der auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte, ist 4:3. Ein Format, das an eine Zeit erinnert, als Fernsehen noch cool war und eine prädigitale Gesellschaft gerade anfing, sich zu fragen, wie sie ihre Vergangenheit anhand der neuen technischen Möglichkeiten erzählen und konservieren könnte.

Um nichts anderes als diesen Umgang mit Geschichte und der Suche nach dem eigenen Platz darin geht es Cal, Evelyn, Sam, Chris und Michael, denen wir durch die Straßen und Buchhandlungen Philadelphias folgen. Gespräche sind es nicht, die diese Figuren miteinander führen. Stattdessen rezitieren sie Gedichte, tragen Monologe vor, verlieren sich in Anekdoten. Alles kreist um Dante und dessen Göttliche Komödie, deren Bezüge zur europäischen Kulturgeschichte die Clique als kollektiver, analoger Supercomputer zu entschlüsseln versucht. Als melancholische Liebeserklärung an Neugierde und Nerdigkeit zeigt Classical Period eine exklusive und zeichenhafte Welt, die sich nur manchmal lesen, aber stets auf merkwürdige Weise bewundern lässt.

(Anne Küper)

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