Schreiben über Film (1): "A Portuguesa" und "Bait"

Ein alter Fischer kämpft gegen die Tourismusindustrie, eine junge Adlige langweilt sich in den Bergen und zieht ein Wolfsjunges groß. Drei Kurzkritiken zu den Forumsfilmen von Mark Jenkin und Rita Azevedo Gomes, verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film auf der Berlinale“ (Stiftung Universität Hildesheim).


Der letzte Widerständige

Die Zigarette in Martin Wards Mundwinkel zuckt. „Piss off. You’re a bloody tourist.“ Schnitt auf das randvolle Bierglas auf dem Tresen. Schnitt auf die Besitzerin des Dorfpubs, die im Winter schließt und von den Einnahmen im Süden Wellnessurlaub macht. Schnitt auf die ausgerollten Fischernetze am Hafen. Schnitt auf Martins geballte Faust. Schnitt auf sein Gegenüber. „I’m investing in local industry.“ Schnitt auf Martin, seine Brauen ziehen sich zusammen. „Yeah. Tourist industry.“

In dem auf 16mm per Hand entwickelten Film Bait von Regisseur Mark Jenkin, der seine Weltpremiere auf der diesjährigen Berlinale feierte, prallen in einem Hafenort in Cornwall Fischereitradition und die Interessen der Tourismusbranche aufeinander. Martin und sein Bruder Steven haben ihr Elternhaus verkauft, in dem ein Pärchen jetzt Ferienzimmer mit maritimem Flair vermietet. Steven hat das geerbte Fischerboot zum Touri-Kahn umfunktioniert und hält sich durch Hafenrundfahrten über Wasser. Nur Martin bleibt resolut und sammelt das Geld für die gefangenen Barsche, die er in Plastiktüten an die Türklinken der Dorfbewohner hängt, in einer Blechbüchse. Er will sich davon ein neues Boot zum Fischen kaufen. Martin scheint der letzte Widerständige in einer Zeit zu sein, die ihn längst überholt hat. Auf Stevens Rundfahrtskahn kotzen Junggesellengruppen in aufblasbaren Phalluskostümen über die Reling. Der zahnbespangte Sohn des Vermieterpaares paddelt in Neoprenausrüstung durch die Wellen und sabotiert Martins Versuche, Hummer einzufangen.

In Bait montiert Jenkin Gesichtsausdrücke, Naturmotive, Objekte und kleinste Details furios aneinander. Auf das Bild eines verhängnisvoll laufenden Billardballs folgt der Vollmond am Himmel, eine am Pier schrammende Boje wird zum Indiz genereller Anspannung. In einem Kampf, den Martin allein kämpft, entladen sich Frust und gegenseitiges Unverständnis in dicht gereihten Bildern und Dialogen, die komisch, tragisch und vor allem überraschend sind.

Ausgehend von seinem 2012 aufgestellten „Silent Landscape Dancing Grain“-Manifests, in dem Jenkin 13 Regeln festhält, nach denen ein Film zu entwickeln sei, findet er für Bait eine eigene Bild- und Tonsprache, die auch auf bestehende Traditionen des Montagefilms referiert, vor allem aber einen neuen Weg eröffnet, Film selbst zu machen. Als der aus Cornwall stammende Regisseur nach der Premiere im Delphi-Filmpalast nach seinen Vorbildern gefragt wird, antwortet er, es seien die Fischer aus den Dörfern seiner Heimat.

(Nadja Sühnel)

Tangles and Knots

A costal English town where the fish are slow coming and the tourism is slowly growing. Who stays when the vacations are over and the summer gone with them? The boats and its nets, the town fisherman, Martin (Edward Rowe), his brother and nephew, Steven and Neil. The buildings, the town barkeeper, they are still there too; they are true fixtures of the town. But even they are changing with the tide – starting to offer boat tours for bachelor parties and close the bar down after the tourist season is over. “Dad would never have sold out,” Martin accuses Steven, as he picks up beer cans off his deck. And he believes it. Although Martin makes decisions to support his year-round community and its commerce, even he had to sell his house on the wharf to a posh family from the city.

Mark Jenkin’s film Bait, which had its world premiere at this year’s Berlinale International Film Festival, takes its time, capturing the summer in a small coastal town in Cornwall. In portraying the town, Jenkin also wanted to capture the townspeople: “the people who are usually in the background of the film, serving beer”, he says after the screening. Shot in black and white on 16mm film, Bait is itself a dying trade, showing the grit of the life of a fisherman. The grain of the film’s image scratches here and there on the surface. Using a method of editing that is reminiscent of Sergei Eisenstein, the characters and the town become a culmination of its parts. Simple in its soundtrack, Bait focuses on the strength of the images; by using foley sounds and synchronized dialogue, the portraits receive more weight. The characters seem real, not trained or affected; there is nothing about the film that feels overacted or dramatized.

On the outside, you can hear the wind, seagulls crowing and the water crashing against the edge of town. Martin takes a step inside his old home. Here you can hear a clock ticking and the radio, which informs the film of an apparent division between inside and outside, between the townies and the people who “summer.” The living room has even been “modernized” – with a nautical theme – for the home-away-from-home: ropes, buoys, fishing nets … The places and the objects in the film are all shared – there is no hiding in such a small cuff – but they are different in their respective portrayals. While one man catches a lobster, the other pairs it with melted butter and a white wine.

Every morning at first light, Martin walks down to the beach, entangles the fish from under the net, brings a fish to each of his neighbors, and sells the rest. Jenkin does the same, as he carefully and softly handles each of the characters and their conflicts. He shows the tangles and knots in their multiple perspectives as they bind the community together in their earnest effort to make a living.

(Margaret Lane Peterson)

Jede Haarlocke perfekt platziert

Ein Schlafzimmer in einem alten Schloss. Eine Wand in tiefem Blau, ein nussbrauner Holzboden, ein Tisch, auf dem ein Strauß mit leuchtenden, ockerfarbenen Blumen steht, und ein großes Himmelbett, dem eine junge Frau in weißem Nachtkleid und mit langen, roten Locken entsteigt..

Heirat, Kind, Umzug. Für die junge Frau des Grafen von Ketten heißt es mitmachen. Er, der sich für die Geburt des ersten gemeinsamen Sohnes nicht wirklich zu interessieren scheint, verlässt sie kurz nach Ankunft im etwas heruntergekommenen Schloss in Norditalien, um in den Krieg zu ziehen. Für elf Jahre wird er fort sein. Auch wenn sie von Sehnsucht nach der Heimat Portugal geplagt ist, versucht sie, der Langeweile in den Bergen mit künstlerischen Tätigkeiten entgegenzuwirken: Sie liest, singt, musiziert und zeichnet. Sie knüpft Verbindungen mit dem mitgereisten Dienstpersonal und zieht ein Wolfsjunges groß. Das wird ihr engster Begleiter und avanciert im Laufe des Films zum Symbolbild und Auslöser einer Kette unschöner Komplikationen.
Mit A Portuguesa, einer Verfilmung der Novelle Die Portugiesin von Robert Musil, zeigt Regisseurin Rita Azevedo Gomes bereits zum dritten Mal ihre Leidenschaft für klassische Literatur. Die Bilder, die sie für den Film produziert, sind nostalgisch, verträumt und arbeiten mit verschiedenen ästhetischen Kompositionsregeln. Jede Szene ähnelt einem Gemälde, alles ist hervorragend arrangiert und inszeniert, es gibt keinen Schmutz, keinen Dreck, selbst einzelne Haarlocken sind perfekt platziert, und auch die Landschaftsaufnahmen ähneln einem Kunstwerk. Eine verromantisierte Darstellung der Vergangenheit. Spätestens ab dem Moment, in dem vier weiße große Hasen zwischen den stickenden Frauen auf der Wiese herumhoppeln, aber natürlich niemals aus dem Bild heraus, wird das Interesse an Bildkomposition der Regisseurin deutlich, und es ist dem Film nicht abzusprechen, dies auf eine selten gesehene Art und Weise auf die Leinwand gebracht zu haben.
In einem farbenfroh gehaltenen Film, der viel mit Tiefenschärfe und langsamen Kamerafahrten arbeitet, sehen wir prunkvolle Kostüme mit Liebe zum Detail, aber auch so sauber, dass sie aussehen wie frisch für den Karnevalsumzug gekauft. Die Regieanweisungen sind den Darstellenden so deutlich anzusehen, dass es schwerfällt, der Geschichte zu folgen, ohne jede Einstellung auf ihre Symbolträchtigkeit hin zu untersuchen. Bei aller Bildgewalt überträgt sich die Tristesse des Lebens der Gräfin schnell auf das Publikum. Auch die Gesangseinlagen von Ingrid Caven, die in dunkler Robe mal auf dem Hof des Schlosses, mal im von Moos überwachsenen Garten steht und verträumt in die Ferne schaut, können die Langeweile aber nicht aufhalten.

(Sophie Hübner)

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