Schönheit, ein zweischneidiges Schwert – Filme von Kozaburo Yoshimura
Düstere Holzhäuser in Kyoto und farbenprächtige Leuchtreklamen in Tokio. Tradition und Moderne bekämpfen und verbinden sich in Kozaburo Yoshimuras Filmen, in denen (Geschäfts-)Frauen zwischen Karriereethos und privaten Gefühlen wählen müssen.

“Sie ist so schön, warum haben sie sie nicht zur Geisha ausbilden lassen? Was für eine Verschwendung!” Das sagt in Kozaburo Yoshimuras Clothes of Deception (1951) eine Passantin über Taeko, eine junge Frau, die im Rotlichtviertel Kyotos lebt, aber eben nicht in der prostitutionsnahen Entertainmentbranche arbeitet, sondern einen Bürojob hat und von einem Leben im fernen Tokyo träumt.
Schönheit ist in vielen Filmen Yoshimuras ein zweischneidiges Schwert. Sie erfreut, einerseits, die Sinne, trägt Glück und - in Yoshimuras Kino ab 1956 - Farbe in den grauen, beengten Alltag. Andererseits ist sie stets auch eine Ware und, vor allem in traditionellen Gesellschaften, ein Mittel der Normierung und Unterdrückung. Auch ein goldener Käfig ist schön. Vor allem für die, die nicht selbst drin sitzen. Yoshimuras Kino ist eines, das die Augen nicht verschließt vor den Kosten der Schönheit; das deshalb aber noch lange nicht dazu bereit ist, selbst der Schönheit zu entsagen.
Kozaburo Yoshimura ist eine im westlichen Ausland nach wie vor weitgehend unbekannte Schlüsselfigur des japanischen Kinos. Gemeinsam mit, unter anderem, dem ein Jahr älteren Akira Kurosawa und den ein Jahr jüngeren Regisseuren Keisuke Kinoshita und Kaneto Shindo ist Yoshimura Teil einer Generation von Filmemachern, die die Goldene Ära des Japanischen Kinos in den 1950er Jahren entscheidend prägt. Tatsächlich ist Yoshimura in mancher Hinsicht ein prototypischer Filmemacher seiner Zeit. Seine Karriere begann in den späten 1920ern und endete − zumindest was die Arbeit fürs Kino betrifft − Mitte der 1970er. Was ziemlich genau auch die Lebensspanne des klassischen japanischen Kinos ist; der Zeitraum also, in dem das japanische Studiosystem in den 1930ern erstmals Form annimmt, in den 1950ern zu vollem Glanz aufblüht, in den 1960ern in eine schwere Krise gerät und in den 1970ern untergeht.
Kyoto's Back Alleys

Yoshimura wurde 1911 in einem kleinen Ort in der Shuga Präfektur geboren, die westlich von Kyoto gelegen ist. Die Familie war einigermaßen wohlhabend. Sein Vater war ein umtriebiger Journalist und Politiker und zeitweise Bürgermeister von Hiroshima, was zur Folge hatte, dass die Familie oft den Wohnort wechselte. Trotzdem bleibt Kyoto, wo Yoshimura den größten Teil seiner Jugend verbringt, ein wichtiger Referenzpunkt für ihn. Ein Erinnerungsbuch, das er nach dem Ende seiner Filmkarriere über seine Jugend schreibt, trägt den Namen “Kyoto's Back Alleys”. Tatsächlich spielen viele seiner besten Filme, siehe unten, ganz oder teilweise in Kyoto. Gedreht hat er sie allerdings fast alle in Tokyo. Das verweist bereits auf eine wichtige Unterscheidung. Denn während Tokyo das Zentrum des neuen, modernen Japans ist und auch der Ort, an dem die meisten Filme des klassischen japanischen Kinos entstehen, ist Kyoto, die ehemalige Hauptstadt, ein Ort, an dem ein sehr viel traditionellerer, im Feudalismus verwurzelter Lebensstil bis ins 20. Jahrhundert erhalten bleibt. Wobei die Filme Yoshimuras gerade zeigen, dass auch Kyoto sich auf die Dauer nicht vor der Moderne schützen kann.
In A Woman’s Uphill Slope (1960) gibt es zum Beispiel eine Szene, in der eines der düsteren, altmodischen Holzhäuser Kyotos von der Moderne regelrecht heimgesucht wird. Besichtigt wird es von Akie, einer jungen Frau, die in die Stadt zurückkehrt, um das Geschäft ihres Vaters, einen Süßwarenladen, zu übernehmen. Akie wird zunächst mit den morschen Texturen und knarrenden Dielen des alten Japans konfrontiert, außerdem mit Geistererscheinungen und Ratten − bevor ein rhythmisches Leuchten hinter einem Fenster sie fast magnetisch anzuziehen beginnt. Wenn wir mit ihr nach draußen schauen, blicken wir auf eine knallige Leuchtreklame; gleichzeitig gerät das filmische Bild selbst aus der Fassung, springt von der stabilen waagerechten in eine extravagante Hochkant-Perspektive. Die Moderne als spektakuläres Lichtereignis, das die klassische Mise-en-scene buchstäblich dezentriert. Der Konflikt zwischen Altem und Neuem ist bei Yoshimura in erster Linie eine Sache der Ästhetik und der sinnlichen Wahrnehmung. Gemeinsam mit Akie lässt sich der Film vom Farbenspiel der Leuchtreklame überwältigen, aus der Fassung bringen.
Ein Stil mehr als ein Genre

Aber zurück zu Yoshimuras Anfängen. Wie praktisch alle Regisseure seiner Generation lernt er das Filmemachen nicht auf einer Hochschule, sondern in direktem Kontakt mit der Praxis, als Angestellter einer Filmproduktionsfirma. Über einen Bekannten seiner Familie erhält er im Jahr 1929 einen Job bei Shochiku.
Shochiku ist das zweitälteste noch existierende japanisches Filmstudio und das einzige, das seit der Stummfilmzeit kontinuierlich eine zentrale Rolle in der japanischen Filmindustrie spielt. Shochiku war zunächst eine Theaterkette aus Kyoto, spezialisiert auf Kabuki-Vorführungen. Ab 1920 kommen auch die Filmproduktion und -distribution hinzu und die Firma zieht nach Tokyo um; auch auf dieser Ebene kehrt die Opposition zwischen dem traditionellen Kyoto (die Welt des Theaters) und dem modernen Tokyo (die Welt des Kinos) wieder. Wenn Shochiku oft als das konservativste japanische Filmstudio bezeichnet wird, dann hat das vermutlich auch mit dieser Entstehungsgeschichte zu tun. Shochiku denkt das Kino in einem gewissen Sinne von einer kulturellen Kontinuität her, die von den traditionellen Künsten und ihrem Erzählrepertoire bis zu den neuen Medien reicht; erstere bleiben, zumindest in der Phase des klassischen Kinos, ein wichtiges Reservoir.
In der japanischen Filmgeschichte nimmt das Studio auch deshalb eine wichtige Rolle ein, weil es, stärker als andere Studios, einen house style entwickelt, der die Entwicklung des gesamten japanischen Kinos über Jahrzehnte hinweg prägt. Dieser trug zuerst den Namen Kamata Style, ab 1946 dann Ofuna Style, jeweils benannt nach Studiokomplexen Shochikus.
Im Kamata oder Ofuna Style entsteht, grob gesagt, ein Kino, das private, oft innerfamiliäre Konflikte ins Zentrum stellt, geschickt zwischen melodramatischen und komischen Szenen hin und her wechselt und alltagsnah an der Lebensrealität seines Publikums entlang erzählt. Gleichzeitig allerdings sind die Filme dieses Stils zumeist reine Studioproduktionen, das Schauspiel ist stark stilisiert, die Figuren oft einem recht kleinen Arsenal an Stereotypen entnommen. In diesem Sinne verbinden sich in charakteristischer Manier realistische und antirealistische Elemente.
Dazu eine Nebenbemerkung: Ein in Europa bekannterer Begriff, der diese Art von Kino beschreibt, ist Shomingeki, ein Wort, das insbesondere in Verbindung mit den Filmen Yazujiro Ozus, einem der wichtigsten Shochiku-Regisseure, immer wieder auftaucht. Tatsächlich ist Shomingeki aber kein japanisches Wort, sondern eine Erfindung westlicher Filmkritiker. Die japanische Entsprechung wäre Shoshimin Eiga, wörtlich übersetzt “lower middle class films”. Der Ofuna Style ist aber ein bisschen etwas anderes, er ist eher ein Stil als ein Genre. Die Art von entschleunigtem Alltagsdrama, die Ozu kultiviert, ist nur eine mögliche Ausprägung davon. Yoshimuras deutlich melodramatischere und auch nicht ganz im selben Milieu angesiedelten Filme sind eine andere.
Erbschaftsverhältnisse

Yoshimura drehte bereits 1934 einen, soweit ich weiß, nicht überlieferten Comedy-Kurzfilm. Zum Langfilmregisseur avancierte er erst 1939, mit Ende 20. In jenem Jahr drehte er dafür gleich sechs Filme − was zeigt, wie schnell damals im Studiosystem gearbeitet wurde. Darunter Danryu / Warm Current, ein Krankenhausmelodram, das die Liebesirrungen einiger Ärzte, Krankenschwestern und Patienten erzählt. Der Film ist einerseits ein schönes Beispiel für den Ofuna Style: eine flüssig erzählte, glossy Studioproduktion, die behende zwischen dramatischen und sentimentalen Szenen hin und her wechselt. Andererseits etabliert der Film, durchaus erstaunlicherweise, bereits Motive, die in Yoshimuras späterem Werk wichtig werden. So geht es etwa um das Dilemma berufstätiger Frauen, zwischen Karriereethos und privaten Gefühlen wählen zu müssen. Die poetische Reife des noch jungen Regisseurs offenbart sich dabei weniger in der erzählerischen Gesamtkomposition als in psychologisch feinfühligen szenischen Details − etwa wenn eine eigensinnige Krankenschwester bei ihrem ersten Auftritt in arroganter Manier in einen Apfel beißt, anstatt gemeinsam mit ihren Kolleginnen Tischtennis zu spielen.
Ein derart hochklassiger und gerade in der Figurenzeichnung komplexer Film wirft die Frage auf: Wie hat Yoshimura das gelernt? Das führt zu einer Eigenheit der japanischen Filmindustrie. Bei Shochiku und den anderen großen Studios arbeiteten angehende Regisseure zunächst als Regieassistenten und waren zumeist einem einzigen etablierten Regisseur zugeteilt. Wie in Handwerksbetrieben sollte der Meister sein Wissen an den Lehrling weitergeben. So entwickelten sich ganze stilistische Schulen. Yoshimura war Assistent bei Yasujiro Shimazu, einem der wichtigsten japanischen Regisseure der 1930er Jahre; unter anderem gingen bei ihm auch Heinosuke Gosho, Shiro Toyoda und Keisuke Kinoshita in die Lehre.
Die Verbindungen, die auf diese Weise geknüpft werden, halten oft ein Leben lang. Die “Schüler” fühlen sich ihren “Lehrern” auch lange nach ihrer Beförderung zum Regisseur verpflichtet. Das ist etwas, was man aus anderen Filmindustrien so nicht kennt. Zumindest in der Tendenz sind in der japanischen Filmindustrie bis Ende der 1950er Jahre diese Lehrer-Schüler-Beziehungen, in denen vielleicht ein Stück Feudalismus konserviert ist, oft wichtiger als die vom Kapitalismus diktierten Konkurrenzverhältnisse, die zum Beispiel in Hollywood bereits dominieren.
Auf Stroh gebettet

In gewisser Weise war 1939 ein ungünstiger Zeitpunkt, um in Japan mit dem Regieführen anzufangen. Denn das war eben das Jahr, in dem das erste Goldene Zeitalter der japanischen Filmindustrie zu Ende ging.
In den 1930ern noch war Kino beim japanischen Publikum außerordentlich beliebt, insbesondere nach der Einführung des Tonfilms. Es entstand ein vielseitiges populäres Genre- und Starsystem, oft implizit an westlichen Modellen orientiert. Ab Mitte der 1930er und insbesondere mit Beginn des Pazifikkriegs 1947 aber wurde Japan mehr und mehr von einem totalitären Staat zu einer faschistischen Diktatur umgebaut. Ab 1940 schlägt das voll aufs Kino durch (wobei Propagandafilme bereits früher entstanden). In den letzten Kriegsjahren ist die Produktion quasi komplett verstaatlicht, die Studios werden entweder Zwangsfusionen unterworfen oder bewahren, wie Shochiku, nur pro forma ihre Unabhängigkeit.
Auch Yoshimura dreht zwischen 1940 und 1945 vorwiegend Propagandafilme. Gleich der erste ist eine veritable Großproduktion, die damals von der gleichgeschalteten nationalen Presse in höchsten Tönen gefeiert wurde: In The Story of Tank Commander Nishizumi (1940), der während des japanisch-chinesischen Krieges in der Mandschurei spielt, übernimmt ein junger Ken Uehara die Titel-, beziehungsweise Märtyrerrolle. Dass Yoshimura ein derart aufwändiges Projekt anvertraut wird, zeigt, dass er sich mit seinen ersten Filmen bereits eine respektable Stellung erarbeitet hatte. Die Kampfszenen sind in filmtechnischer Hinsicht durchaus eindrücklich gestaltet. Seine eigentliche Stärke, die Arbeit mit Frauenfiguren, kann Yoshimura hier hingegen kaum ausspielen. Die einzige Frau, die im Film auftaucht, ist eine imperialistische Fantasie: Eine schwangere Chinesin, die auf die Gnade der japanischen Invasorenarmee angewiesen ist. Alle Szenen mit ihr sind ganz vom paternalistischen männlichen Blick her gedacht; die gewissermaßen wie ein Tier auf Stroh gebettete Chinesin wird auch inszenatorisch ganz auf ihre Kreatürlichkeit reduziert.
Zivile Weiblichkeit. Hart erkämpftes Lächeln.

Nach dem Krieg hatten die Alliierten zunächst den Anspruch, das japanische Kino von faschistisch vorbelastetem Personal zu säubern. Nur wenige Jahre später wurde die Idee fallengelassen. Die meisten Regisseure und Produzenten, die die Nachkriegsindustrie aufbauten, hatten ihre Karriere vor oder während des Kriegs begonnen.
Auch Yoshimura fand bald wieder Anschluss. Sein zweiter Nachkriegsfilm, The Ball at the Anjo House (1947), auch wieder eine Shochiku-Produktion, zählt zu den wichtigsten japanischen Nachkriegsfilmen überhaupt, weil sich in ihm das Alte und das Neue besonders unversöhnlich gegenüberstehen: Eine vormals reiche und privilegierte Familie sieht sich nach dem Krieg gezwungen, sich von einem großen Teil ihrer Besitztümer zu trennen - vor allem von dem titelgebenden Haus, einer ausladenden Villa, die in ihrer feudalen Opulenz offensichtlich nicht ins moderne, demokratische Japan passt. Der Film selbst, das zeigt schon seine teils entfesselt-schwerelose Bildsprache an, ist zweifellos auf Seiten des Fortschritts. Und weiß doch, dass der notwendige Aufbruch einer ins Ungewisse ist. Hart erkämpft fühlt sich Setsuko Haras Lächeln in der umwerfenden Schlussszene an.
Ein junger Wilder ist Yoshimura 1947 nicht mehr. Ebenso wenig wie seine eingangs erwähnten fast gleichalten Kollegen Akira Kurosawa, Keisuke Kinoshita und Kaneto Shindo. Dennoch werden sie und einige andere zu einer Generation, die das Bild des modernen japanischen Kinos insbesondere auch im Westen eindrücklicher prägt als alle vor und nach ihr.

Zutiefst geprägt von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Katastrophe, in die der japanische Imperialismus das Land geführt hatte, sind sie eine Generation der Erneuerer, des demokratischen Aufbruchs in den zivilen Fortschritt und, ganz besonders in den ersten Jahren nach Kriegsende, in die dem idealistischen Humanismus verpflichtete Nachkriegsmoderne. Gleichzeitig sind sie eine Generation, die ihre ersten Schritte in der Filmindustrie bereits vor dem Krieg unternahm und damit ihre Wurzeln noch im alten Japan mit seinen quasifeudalistischen Strukturen und rigiden sozialen Normen hat. Reformer eher denn Revolutionäre, bereichern Yoshimura und seine Kollegen das Kino ihrer Zeit mit neuen Tonfällen, neuen Themen und durchaus auch Formexperimenten. Ohne die Grundfesten der japanischen Kinotradition − das Genre- und Studiosystem − in Frage zu stellen.
Ein paar Jahre nach dem Neustart des japanischen Kinos und seiner Karriere gründet Yoshimura gemeinsam mit Shindo, der die Drehbücher zu zahlreichen seiner Filme schreibt, die Kindai Eiga Kyōkai, englisch „Modern Film Association“, eine unabhängige Produktionsfirma. Die meisten Filme seiner produktivsten Phase in den 1950ern und 1960ern entstehen jedoch für das Studio Daiei.
Zur Spezialität Yoshimuras werden, insbesondere in dieser Phase seiner Karriere, Frauenporträts. Das imperiale Japan war ganz auf heroische Männlichkeitsideale und die Aufopferung des Einzelnen für die Nation zugeschnitten. Yoshimuras Nachkriegsfilme hingegen stehen auf der Seite des Individuums - und einer neuen, zivilen Weiblichkeit. Seine Heldinnen stehen dabei nie bloß pars pro toto für die “Neue Frau”; vielmehr bahnen sie sich stets eigensinnige Wege durch eine Gesellschaft im Umbruch. Vor allem drei Schauspielerinnen − die gerissene und pragmatische Machiko Kyō, die elegante und sinnliche, oft auch leicht melancholische Fujiko Yamamoto sowie die enigmatische und eigensinnige Ayako Wakao − werden zu Fixpunkten in seinem Schaffen, vielleicht gar zu drei einander ergänzenden Optionen weiblicher Subjektivität.

Die emotionale Intensität seiner Frauenporträts hat Yoshimura Vergleiche mit Kenji Mizoguchi eingebracht, einem Regisseur, dessen spätes Hauptwerk ebenfalls hauptsächlich bei Daiei entsteht; ein Projekt Mizoguchis, An Osaka Story (1957), übernimmt Yoshimura nach dessen Tod. In das bei dem älteren Regisseur dominante melodramatische Muster der “gefallenen Frau” passen Yoshimuras Protagonistinnen freilich selbst dann nicht, wenn sie sich gelegentlich dazu gezwungen sehen, ihren Lebensunterhalt im Rotlichtviertel zu verdienen: Yoshimuras Frauen sind keine Opfer, sondern Unternehmerinnen. Sie stellen die wohlschmeckendsten Süßwaren Kyotos her (A Woman’s Uphill Slope) oder farbenfrohe Kimonos (Undercurrent, 1956), leiten Schauspielschulen (The Ladder of Success, 1958) oder mondäne Nachtclubs (An Osaka Story). Die Probleme beginnen stets erst dann, wenn sie in der Liebe auf derselben Unabhängigkeit bestehen wie im Geschäftlichen. Denn die Männer haben allzu oft Mühe, mit den Frauen und den sich verändernden Zeiten Schritt zu halten.
Nicht zuletzt hat der Freiheitsdrang der Protagonistinnen Yoshimuras, wie eingangs angedeutet, stets eine ästhetische Seite. Wie die Frauen in seinen Filmen sich ein selbstbestimmtes Leben und das Recht auf neue Erfahrungen erkämpfen, so erarbeitet sich Yoshimuras Kino Schritt für Schritt neue Ausdrucksdimensionen. Undercurrent etwa ist nicht nur sein erster Farbfilm, sondern gleichzeitig ein Film über das Verlangen nach Farbe − über das Verlangen einer Frau nach neuen, anderen Farben und vielleicht auch nach Schönheit zu ihren eigenen Bedingungen.
Die Big Five der 1950er

Es ist nicht nur die allgemeine gesellschaftliche Aufbruchsstimmung, die es Yoshimura ermöglicht, in Schnelle eine beachtliche Anzahl größerer und kleinerer Meisterwerke zu drehen. Was hinzukommen muss und in der Tat ab den späten 1940ern hinzukommt, ist die passende filmindustrielle Infrastruktur.
Das klassische japanische Kino ist ein Studiokino; im Filmstudio – dem physischen Gelände wie der Firma – laufen alle Fäden von der Finanzierung, der Arbeit am Film, der Postproduktion und Distribution zusammen. Das ist zwar in allen größeren Filmländern während der klassischen Phase des Kinos, also bis ungefähr in die 1960er Jahre, der Fall. Dennoch ist in mancher Hinsicht das klassische japanische Kino noch mehr ein Studiokino als, zum Beispiel, das deutsche oder das italienische. Die meisten europäischen Produktionsfirmen waren auch in der klassischen Ära vergleichsweise kurzlebig; Produktion und Distribution blieben zudem vorwiegend strikt voneinander getrennt: Nur etwas überzeichnend, könnte man sagen, dass Kino in Europa immer ein mittelständiges Geschäftsmodell geblieben ist. Die japanische Filmindustrie hingegen wird seit ihren Anfängen von einer recht kleinen Anzahl großer, langlebiger Firmen dominiert, die später in noch größeren Medienkonglomeraten aufgingen. In dieser Hinsicht ist Japan vermutlich nur mit den USA zu vergleichen.
Tatsächlich spricht man, wie bei Hollywood, auch beim japanischen Kino oft von den sogenannten „Big Five“: fünf großen Studios, die die Produktion dominieren. In Japan formieren sich diese kompletten „Big Five“ aber erst in der Nachkriegszeit. Dann kommen zu den drei große Firmen der 1930er − Nikkatsu, Shochiku und Toho – noch Daiei und Toei hinzu. Sowie, in manchen Zählarten, als sechstes das weitaus weniger langlebige Shintoho.
Wie im amerikanischen Kino, so fungierten auch im japanischen die Studios als eine Art Wegweiser fürs Publikum, indem sie eigene Haus-Stile etablierten und sich auf bestimmte Genres spezialisierten. Shochiku drehte, wie erwähnt, vorwiegend alltagsnahe Melodramen und Komödien, Toho Fantasy- und Monsterfilme sowie Krimis mit internationalem Flair, Nikkatsu poppige, an westlichen Vorbildern orientierte Actionfilme, Toei traditionellere, oft in der Vergangenheit angesiedelte Samurai- und Yakuzafilme und so weiter.
Dieses System bot handwerklich versierten Regisseuren wie Yoshimura jede Menge Arbeit. Bis Ende der 1960er blieb es zumindest in seinen Grundzügen einigermaßen stabil. Allerdings tauchte bereits Ende der 1950er Jahre eine neue Generation von Regisseuren auf, die zunehmend weniger Lust hatten, sich seinen Beschränkungen unterzuordnen. Da das Studiosystem in Japan, wie vorher erwähnt, auch auf persönlichen Beziehungen zwischen Regisseuren und Assistenten fußte, waren die entstehenden Konflikte oft auch persönlicher Natur. Die Ablehnung des Studiosystems war sozusagen auch ein Vatermord.
Tödliche Klimax

“Mein Hass auf das japanische Kino umfasst absolut alles an ihm” - Radikaler als Nagisa Oshima, von dem dieses Zitat stammt, kann man sich nicht von der Tradition lossagen. Das alte Kino niederbrennen und ein neues zu errichten: Nichts weniger hatte sich der Vorreiter der japanischen Neuen Welle, die in den 1960er Jahren die Leinwände eroberte, auf die Fahne geschrieben. Von Oshima und anderen selbsternannten Revoluzzern wurde auch Yoshimura als Vertreter des alten Regimes abgelehnt, obwohl er selbst sich keineswegs auf die Seiten der Traditionalisten schlug.
Am weitesten vor in Richtung Kinomoderne wagt er sich in A Night to Remember (1962). Der Film ist eine Art Antwort auf Resnais’ Hiroshima mon amour (1959). Wie dieser besteht er hauptsächlich aus einer Reihe von Gesprächsszenen zwischen einem Mann und einer Frau, die mehrere Nächte in Hiroshima gemeinsam verbringen. Eine Schlüsselszene des Films läuft auf eine doppelte, gleichzeitig sexuelle und tödliche Klimax zu. Zunächst sehen wir, wie der Mann sich der Frau immer aggressiver aufdrängt; freilich verfehlen sich die Blicke und auch das Begehren der beiden durchweg. Dann separiert sich die Frau, umgibt sich mit Dunkelheit - und wenn sie den Mann wieder zu sich holt, öffnet sie ihre Bluse und schließt gleichzeitig die Augen. Sein Blick trifft auf die Narben zwischen ihren Brüsten, die sie als eine Überlebende des Atombombenabwurfs kennzeichnen. Es folgt ein erlösender Flashback, der die verdrängten Bilder aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, die der Film bis dahin dialogisch umkreist, wiederkehren lässt. Auch dem zentralen Trauma der jüngeren japanischen Geschichte nähert sich Yoshimura über ein sinnlich-erotisches Wahrnehmungsdispositiv.
A Night to Remember entsteht gegen Ende der produktivsten Phase in Yoshimuras Karriere. 1963 erleidet er eine Hirnblutung, von der er sich nie ganz erholt, nach drei Jahren Pause dreht er ab 1966 zwar wieder eine Reihe von Filmen; an seine alten Erfolge kann er jedoch nicht mehr anschließen. Das klassische Kino, das ihn groß gemacht und das er anders herum auch entscheidend mitgeprägt hatte, gerät von verschiedenen Seiten unter Druck. Vor allem ab den 1970er Jahren wird die kommerzielle Produktion, die aufgrund von Zuschauerschwund und Studiopleiten in eine schwere Krise geraten war, fast komplett von Softpornos und rabiaten Actionfilmen dominiert. Besonders beliebt ist die Mischung aus beidem und genau daran versucht sich auch Yoshimura in seinem vorletzten Film. Rica 3: Juvenile’s Lullaby (1973) ist die zweite Fortsetzung eines Women-in-Prison-Films und damit ein Beitrag zu einem der quintessentiellen Subgenres des Exploitationfilms seiner Zeit.

Rica 3 gehört sicher nicht zu den Höhepunkten des Genres. Yoshimura scheint sich wenig für den Stoff zu interessieren, die Actionszenen sind hingeschludert und eine von fern an Mizoguchi erinnernde Nebenhandlung um ein in die Fänge von Menschenhändlern geratenes Mädchen versandet in lauer Sentimentalität. Zu großer Form läuft der Film nur kurz gegen Ende auf, wenn in einer selbstreflexiven Volte das Set eines von einem zynischen Regieschmierling inszenierten Sexfilms in seine Einzelteile zerlegt wird. Rica 3 ist ein Film, der sich offensichtlich von ganzem Herzen selbst verachtet.
Zeit, die Leinwand anderen zu überlassen. Yoshimura verlässt den Regiestuhl und verbringt die folgenden zweieinhalb Jahrzehnte bis zu seinem Tod im Jahr 2000 unter anderem damit, eine Reihe von Erinnerungsbüchern zu schreiben, über ein Leben im Zeichen des Kinos und über ein Kino, das das Leben in immer neuen Facetten zu fassen bekommt.
Der Essay basiert in Teilen auf Texten des Autors für die Kinos Filmpodium (Zürich) und Stadtkino (Basel), sowie auf einem Vortrag im Filmpodium vom 4.9.2025.
Die Filmreihe "Kozaburo Yoshimura: Die Kosten der Schönheit" läuft noch bis zum 20.09. in Zürich. Außerdem laufen River of the Night und Clothes of Deception im Rahmen der "Nippon Naked Nights" in Basel.
Kommentare zu „Schönheit, ein zweischneidiges Schwert – Filme von Kozaburo Yoshimura“
Es gibt bisher noch keine Kommentare.