Rumänen sind keine Dänen

Eastern Promises - Cannes Tagebuch, achte Folge

Aurora

Mit Cristi Puius dunkler Komödie The Death of Mr. Lazarescu hatte der Boom des rumänischen Kinos im Jahr 2005 angefangen, als der Film den Preis der Reihe „Un Certain Regard“ gewonnen hatte. Zwei Jahre später gab es dann die Goldene Palme für Vier Monate, Drei Wochen, Zwei Tage, und seitdem ist rumänisches Kino nicht nur gut, sondern überaus in Mode.

Gleich dreimal kamen in diesem Jahr hochspannende Filme aus Rumänien. Das Interessanteste an ihnen: Sie sehen meist nicht so aus, wie man sich einen rumänischen Film vorstellt: Es gibt keine Zigeuner, kein plakatives Elend, keinen Dreck und Müll in den Ecken, keine Irren und noch nicht einmal von Ceausescu Traumatisierte. Oder jedenfalls nur relativ wenige.

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Noch am ehesten „rumänisch“ mutet Aurora an, der neue Film von Cristi Puiu. Will man den dreistündigen, sich in aller Ruhe entfaltenden Film in einem Satz beschreiben, hieße dieser: Zeit des Zorns (Shekarchi) in Bukarest. Ähnlich wie in Rafi Pitts' Berlinale-Film verfolgt man einen Mann dabei, wie er zunächst einfach lebt und dann – aus hier völlig unerfindlichen Gründen – Menschen erschießt, mit denen er kaum etwas zu tun hat. So scheint es zumindest. Der Film spielt in Bukarest, entwirft ein Stadtpanorama, aber keine Short Cuts, eher Long Cuts. Zu Beginn sehen wir Schlamm und Regen, hässliche Menschen und Elend. Doch es wird offener, geheimnisvoller, immer rätselhafter und es gibt in der letzten der drei Stunden eine Phase, in der sich eine atemberaubende Szene an die nächste reiht.

„Die Großmutter sollte nackt sein.“ – am Anfang steht ein absurdes Gespräch zwischen zwei Eltern über diesen Satz der Tochter: In Grimms-Märchen Rotkäppchen hat die Tochter argumentiert, könne es nicht stimmen, dass die Großmutter angezogen aus dem Bauch des Wolfs befreit werde, denn der hatte ja ihre Kleider an. „Stimmt“, sagt der Vater.

Wir begleiten ihn nun durch sein Leben: Arbeitslosigkeit, Einkauf im Billigsupermarkt. Kaum ein Wort wird gesprochen. Ein Mensch, den man nicht mag. Man erkennt seinen Menschenhass. Man denkt an Der Fremde, sieht, wie er übt, um sich zu erschießen. Der beste Moment ist der Besuch der Hauptfigur in einer Nobelboutique. Er fragt nach einer Frau, die dort gearbeitet hat, wird immer zudringlicher, beleidigt die Angestellten, und jeden Moment glaubt man, die Spannung werde gleich explodieren und in ein Blutbad münden. Doch nichts dergleichen passiert.

Die Kamera zeigt das alles neutral und distanziert, manchmal aus Nebenräumen, der Zuschauer ist gezwungen, sich in aller Ruhe mit der Figur auseinanderzusetzen, und ein gewisser Sadismus des Regisseurs ist unübersehbar.

Aurora – der Titel heißt „Morgenröte“, ist aber angeblich gedacht als Kontrapunkt zu Murnaus Sunrise, also als Kälte gegen Wärme, Ende gegen Anfang – zeigt Menschen unter Druck. Die Hauptfigur bleibt in ihrem Verhalten wie ihren Motiven bis zum Ende unverständlich, ja völlig ungreifbar.

Der Film kommt dann aber irgendwie doch nie ganz auf den Punkt, bleibt in der Schwebe, entschließt sich trotz komischer Momente nie zur Komödie aber auch nicht dazu, die Brutalität wirklich brutal zu zeigen. Man kann sich viel denken, muss das aber auch, denn der Film hilft einem nicht dabei, belohnt die Geduld des Zuschauers nie. Zugleich raunt er ziemlich, trägt seine Bedeutsamkeit etwas zu offensiv vor sich her: Natürlich können wir jetzt „Gewalt in der Gesellschaft“ sagen, „Postkommunismus“, und „Securitate“ und „Kafka“ . Und dann macht das alles einen Sinn, ist wichtig, und wir müssen ein bisschen in uns gehen. Wir können aber auch sagen „typischer Festivalfilm“ oder einfacher: „arty farty“.

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Bobby Paunescu, seinerzeit Produzent des Mr. Lazarescu und nun von Aurora, gab bekannt, dass er einen neuen Weltvertrieb gegründet hat: „Madragora International“ heißt die Firma. Der erste Film der Firma ist The Autobiography of Nicolae Ceausescu von Andrei Ujica, der in Cannes Premiere hatte, und auf den wir gleich noch zu sprechen kommen, auch Paunescus eigener Film, Francesca (lief 2009 in Venedig) kommt dort heraus. „Madragora International“ sitzt in Paris, Geschäftsführer wird Ronald Chammah, der nicht nur ein bekannter Fan des rumänischen Kinos ist, sondern auch der Ehemann von Isabelle Huppert.

Die Nachricht ist interessant, denn der Einfluss der Weltvertriebe auf das Film-Geschehen wird immer noch unterschätzt, und die Szene braucht dringend Konkurrenz.

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Im Gegensatz zu Aurora wirkt Radu Munteans Tuesday, After Christmas teilweise wie ein französischer Film. Was unbedingt als Kompliment gemeint ist, denn was hier passiert, könnte auch uns passieren, steht uns nahe, und ist jedermann (zumindest aus dem Freundes- und Bekanntenkreis) bekannt: Grob gesagt geht es um einen Mann in der Krise: Der erfolgreiche Banker Paul hat eine Affäre mit seiner deutlich jüngeren Zahnärztin. Aber er ist auch verheiratet, und hat eine Tochter. Das ist, wenn man so will, schon alles. Der Film zeigt in langen, souverän aus einer Einstellung improvisierten Szenen, was in den Wochen vor Weihnachten passiert. Eine der stärksten Szenen ist jene, als es, weil es sich einmal nicht vermeiden lässt, zur Begegnung der beiden Frauen kommt. Die Ehefrau weiß von nichts, wir aber, und wir sehen, was in dem Mann und seiner Geliebten passiert.

Was will uns das sagen? Es sind die Zufälle, die entscheiden.

Großartig gelingt es dem Film, in aller Beiläufigkeit und Offenheit, Alltag und Lebensroutine und das Dasein der Mittelklasse einzufangen. Tuesday, After Christmas zeigt normale Yuppies in Rumänien, illustriert, wie aus Ausreden kleine Haarrisse entstehen, das Verdrängte wiederkehrt, wie Betrug, und Verletzungen eine Eigendynamik entfalten, es geht um die Politik der Liebe und des Liebesverrats. Aber wer genau verrät hier eigentlich wen? Dabei ist all dies auch nicht unbedingt ein Plädoyer für Ehrlichkeit: Denn im Prinzip reagiert die Ehefrau in ihrer Verletzung sehr unreif, und macht kaputt, was womöglich gar nicht kaputt war.

Die entscheidende Differenz ist der Konflikt zwischen Intimität und Leidenschaft. Das Private ist hier nichts direkt Politisches, Ehe und Fremdgehen erscheinen hier nicht als Spiegel der Gesellschaft, sondern als etwas Universales. Wie gesagt: Dies könnte auch ein französischer Film sein.

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Noch ein Drei-Stunden-Film aus Rumänien: The Autobiography of Nicolae Ceausescu von Andrei Ucija macht nichts, als über die ganze Zeit Ausschnitte aus Propagandafilmen über Ceausescu zu montieren. Es entsteht der Bewusstseinsstrom der Diktatur, vor allem der Staatsbesuche: De Gaulle, Dubcek, Mao, Queen Elizabeth, Jimmy Carter und Richard Nixon. Das ist gerade in der ständigen Wiederholung der Gesten faszinierend.

 

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