Out of Wörthersee: Nachruf auf Karl Spiehs

Auf den Spuren eines deutschen Exploitationkinos: Im Alter von 90 Jahren ist der österreichische Filmproduzent Karl Spiehs gestorben. Sein Leben lässt einen Blick auf die longue durée des deutschen Films zu.

Es ging etwas zu Ende, wenn auch recht leise: ein Stück deutscher und österreichischer Filmgeschichte. Nach Ludwig ‚Luggi‘ Waldleitner (gest. 1998) und Horst Wendlandt (gest. 2002), nach Franz Seitz Jr. (gest. 2006) und Artur Brauner (gest. 2019) starb Ende Januar einer der letzten großen Produzenten des deutschsprachigen Films.

Die Altbranche schlägt zurück

Karl Spiehs, 1931 in Niederösterreich geboren, markierte zusammen mit den genannten Herren eine Problemlage des deutschen Kinos, wie sie von den jungen Oberhausener Rebellen in den 1960er Jahren auf den Punkt gebracht wurde. Diese forderten, dass nicht Unterhaltung, sondern Konfrontation mit Geschichte, Gegenwart und einer möglichen Zukunft Deutschlands deutsche Filme kennzeichne. Sie wollten einen Neuanfang, keine Kontinuität mit ante 1945, wenn diese auch nur personeller Natur war, hin zu einem Bruch und dem, was hinter einen solchem liegen konnte. Zwar verkörperte kaum einer der neuen Produzenten Deutschlands resp. der Bundesrepublik diesen Neuanfang so wie Artur Brauner, nur machte der eben Filme, die die (auch hier) Männer des Jungen deutschen Films ablehnten, trotz des Versuchs einer möglichen Annährung vonseiten Brauners.

Erst in den 1970er Jahren verliefen die Fronten anders, gingen die neuen Regisseure auf jene Produzenten zu, die sie eigentlich unter dem bemerkenswerten Begriff der „Altbranche“ schmähten. Zuerst holte, so lautet die Hagiografie, Rainer Werner Fassbinder Brigitte Mira und Karlheinz Böhm an seine Sets, später dann Luggi Waldleitner und Horst Wendlandt. Dabei waren es diese Produzenten, die das bundesdeutsche Kino in all den Jahrzenten seit der Gründung der Bundesrepublik maßgeblich mitprägen sollten und das finanzierten, was man Genrekino nennt: den Heimat- und Schlagerfilm, die Edgar-Wallace- und Karl-May-Reihen, die Simmel-Verfilmungen und Schulmädchenreporte, bis hin zu den Komödien der 1980er Jahre, in denen sich die Stars aus Funk und Fernsehen weiterhin die Klinke in die Hand gaben, in unheilvoller Allianz, so zumindest die Filmkritik, mit den 1950er Jahren.

Karl Spiehs aber bediente mit seiner Filmproduktion noch eine ganz andere Nische des deutschen Films. Angefangen als Promoter, hier schon im Dienst des Schlagers unterwegs, führte sein Weg zur Wiener Stadthalle, die in den 1960er Jahren als Filmproduzent auftrat und Filme in die Kinos brachte, die heute mit dem Etikett der Dauerwerbesendung versehen werden müssten. Um neue Lieder und flotte Tanzmusik herum (im Zeichen eines deutschen Rock ’n’ Roll) wurden meist hanebüchene Geschichten gesponnen, die auf den ersten Blick wenig mit dem zu tun hatten, was in der zeitgenössischen Gegenwart Alltag bedeutete. Wenn die Filmpublizistik der 1960er Jahre (insb. Joe Hembus) von den schönen Stunden mit der unbewältigten Vergangenheit schrieb, so war sie hier zu finden, ein Sammelsurium an Tollen Tanten (1961) und noch Tolleren Nichten (1963), schönen Männern, die unvermittelt noch schönere Frauen ansangen. 1967 dann, Spiehs hatte zwei Jahre zuvor die eigenen Firma Intercontinental-Film gegründet, erwarb er die Hälfte der Anteile der Lisa Film, einer Produktionsfirma, die der Österreicher Paul Löwinger 1964 gestartet hatte, benannt nach seiner Frau Elisabeth.

Deutsche Exploitation

Die Lisa Film wurde nun eine Fabrik mit einem schnell laufenden Fließband, dessen Output die Kinos schwemmte. Die Filme, die nunmehr unter der maßgeblich Leitung Spiehs’ produziert wurden, fasste der Filmhistoriker Florian Widegger im Zusammenhang mit einer Rückschau des Film Archiv Austria unter dem Titel „Wörthersee & Exploitation“ zusammen. Entscheidend ist hier das Et-Zeichen, denn wenngleich beide Bereiche bedient wurden, so kamen sie sich doch selten bedrohlich nah. Ein deutsches Exploitationkino – es scheint unmöglich und doch durchaus vorstellbar. Vorstellbar, weil ab den 1960er Jahren in Europa mehrfach Filme gedreht wurden, die dem Label gerecht wurden, man denke etwa an die Arbeiten Jess Francos oder auch an die wenigen, aber expliziten Arbeiten Adrian Hovens. Unmöglich, weil der deutsche Film so etwas doch nicht macht, oder wenn doch, es nicht kann.

Spiehs und seine Regisseure bewiesen das Gegenteil. Einer der ersten Filme, die im Auftrag der Lisa Film 1967 produziert wurden, war eine Regiearbeit Rolf Olsens, einem weiteren zu Unrecht eher unbekannten Protagonisten des deutschen Kinos. Allein der Titel, Das Rasthaus der grausamen Puppen, weckt Erinnerungen an die Edgar-Wallace-Filme und lässt einen, so man den Film heute wiederentdeckt, recht überwältigt zurück (und dies liegt nicht nur an der die Peitsche schwingenden Ellen Schwiers). Eine Abfolge von Verbrechen, Gewalt und Kaltschnäuzigkeit, bei der man nicht umhinkommt, sich in einem Kommentar einen begeisterten Rainer Knepperges und einen raunenden Dominik Graf vorzustellen – oder gar einen Quentin Tarantino, der von einem VHS-Kellerfund in den Räumen seiner Videothek Video-Archives berichtet.

Spiehs (und mit ihm auch Olsen) gingen oft zurück zu Filmen, die das Label Kult verdienen und sich nicht selbst verliehen: Blutiger Freitag (1972, Rolf Olsen), Griechische Feigen (1977, Siggi Götz), Die Säge des Todes (1981, Jess Franco), Frankfurt Kaiserstraße (1981, Roger Fritz), Kalt wie Eis (1981, Carl Schenkel) und Der Joker (1987, Peter Patzak) gehören in diese Reihe. Küchenpsychologisch mag man diese Filme als Ausgleich für Tante Trude aus Buxtehude (1971), Drei Schwedinnen in Oberbayern (1977) und Ein dicker Hund (1982) fassen, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Filme das (bundes-)deutsche Kino auf ihnen eigene Art mitgeprägt haben – und das gilt für beide Seiten der Spiehs’chen Produktion.

Kellner auf Wasserskiern

Wenn dieser Text nun dazu auffordert, genau diese Filme wiederzuentdecken, wird ein Teil der Insider aufschreien (nicht nur die Fans der Supernasen) und der andere möglicherweise den Kopf schütteln. Vielleicht geht es daher um mehr, nämlich danach zu fragen, welche Rolle ein Produzent wie Spiehs nun tatsächlich für den deutschen Film gespielt hat, in seiner Verbindung zum Genrekino, auf nationaler wie internationaler Ebene, in Bezug auf die Möglichkeiten einer europäischen Exploitation und den Genealogien dieser Entwicklungen in der Mediengeschichte der Republik. Denn die andere Seite – den Wörthersee, an dem viele seiner betulichen Filme spielten, die ohne die obligatorische Szene des wasserskifahrenden Kellner mit vollem Tablett nicht auszukommen schienen – trug Spiehs in den 1990er Jahren ins Privatfernsehen. Dort, wo das Publikum Ende der 1980er Jahre die öffentlich-rechtliche Klinik im Glottertal/Schwarzwald verlassen musste, fand es Zuflucht in einem Hotel am besagten See, wo es von einem unverschämt gebräunten Mann mit Fönfrisur und markanten Schulterpolstern empfangen wurde.

Der Filmkritiker Christian Buß schrieb einmal in einer Kritik über den (durchaus misslungenen) Film Deutschland 09 (2009), dass der zeitgleich in die Kinos gekommene Film Männersache des (nennen wir ihn der Einfachheit halber) Komikers Mario Barth vielleicht mehr über Deutschland und seine Gegenwart aussage als all der Betroffenheitskitsch des Omnibusfilms im Fahrwasser des unerreichten Vorbilds Deutschland im Herbst (1978). Das gilt in besonderem Maße auch für die Filme von Karl Spiehs und der Lisa Film und ihre Verstrickungen mit den bundesdeutschen Alltäglichkeiten. Der Produzent starb im Alter von 90 Jahren. Seine Filme sind, im Gegensatz zu anderen Teilen des deutschen Films, recht leicht zu erwerben, um sich selbst ein Bild der Geschichte machen zu können.

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