Obsessionen übernehmen den Bildraum – Die Filme von Eckhart Schmidt

Schwabinger Slacker- und Spinnerfilme, 80er-Jahre-Starkino und früher Mumblecore, Nichtganzpornos und digitale Filmgedichte: In den nächsten Wochen unternehmen wir einen Streifzug durch das unerschöpfliche Werk von Eckhart Schmidt.

Fast muss man mit einer Warnung beginnen: Wer die Welt von Eckhart Schmidt betritt, könnte in ihr ertrinken. Sein Filmschaffen widersetzt sich dem katalogisierenden Zugriff, der Einsortierung in gegebene filmhistorische Kategorien, und zwar gleich doppelt: in der kaum zu überblickenden Vielfalt seiner Filmografie und in jedem einzelnen Film für sich. Schmidt ist ein Autorenfilmer par excellence, aber zum Mainstream der Autorenfilmgeschichte, dem Neuen Deutschen Film (plus Folgen) steht kaum einer querer als er; er gilt (mit Recht) als einer von ganz wenigen B-Film-Maestros im deutschen Kino, und gleichzeitig verfilmt er Pavese, Wagner, E.T.A. Hoffmann. Seine Filme sind einerseits cinephile Echokammern, die von einer intimen Kenntnis insbesondere des klassischen Hollywood und der Neuen Wellen der 1960er Jahre zeugen; andererseits zelebriert Schmidt ein Kino der Oberfläche, einer visuell-tastenden Intention, nichts liegt ihm näher, als sich von einem schönen Gesicht ablenken, von einem hypnotischen Lichteffekt blenden zu lassen.

Also: eintauchen. Zwischen 1964 und 1970 entsteht das Frühwerk: zwei Kurzfilme, zwei Langfilme und ein Omnibusfilmsegment, Emergenzen aus jenem Schwabinger Mikrokosmos, dem zur gleichen Zeit auch Klaus Lemke und Rudolf Thome, May Spils und Werner Enke entstiegen; luftige, teils improvisiert anmutende Slacker- und Spinnerfilme, die freilich bereits von einem romantischen, erotomanen Extremismus – oder im Fall von Atlantis (1970): Terrorismus – zeugen.

Die Filme werden immer verrückter

Dann, nach gut zwölf Jahren Pause, acht Filme in sechs Jahren, gleich 1982 sein bekanntester, Der Fan mit Désirée Nosbusch, ein Skandal und ein internationaler Erfolg. Aufs Gesamtwerk bezogen ist das der Punkt, an dem Liebe und Tod, die beiden Haupttriebkräfte seines Kinos, endgültig ununterscheidbar werden. Danach Schlag auf Schlag: der ultimative Wien-Film (Das Gold der Liebe), der ultimative München-Film (Die Story), der ultimative Berlin-Film (Alpha City), und das sind erst vier von acht. In dieser Zeit dreht Schmidt mit Stars, er ist musikalisch und modisch am Puls der Zeit wie kaum ein anderer deutscher Regisseur. Aber statt sich auf seiner Masche auszuruhen, geht er stetig größere Risiken ein, die Filme werden immer verrückter, in Wie treu ist Nik? verwandelt sich eine Frau in ein Auto.

Danach dauert es wieder ein paar Jahre bis zum nächsten Spielfilm. In den 1990ern entstehen Literaturverfilmungen, eine B-Movie-Gangsterromanze (Broken Hearts, 1996), ab dem Ende des Jahrzehnts werden die Budgets kleiner, Schmidt wechselt als einer der ersten deutschen Filmemacher zur digitalen Technik, Sunset Motel ist, als einer seiner letzten im engeren Sinne narrativen Filme, ein bis heute nicht hinreichend gewürdigtes Kleinod nicht nur des deutschen, sondern auch – weil auf Englisch und on location in Los Angeles gedreht – des amerikanischen DV-Independentfilms. Vielleicht immer noch der beste Mumblecorefilm.

Die Erzählungen verschwinden

Danach verschwindet die Erzählung, die auch vorher oft einen schweren Stand hatte gegen die sinnlichen Triebkräfte des Schmidt’schen Kinos, fast komplett aus seinen Filmen, die erotischen, literarischen, cinephilen Obsessionen übernehmen den Bildraum als Ganzes, zum Beispiel im denkwürdigen First-Person-Serienkiller-Nichtganzporno Hollywood Fling: Diary of a Serial Killer (2010). Sein Künstlername Raoul Sternberg, der sich sonst zumeist mit dem Kamera- oder Schnittcredit begnügen muss, rückt hier für einmal ins Regiefach auf.

Wiederum ein paar Jahre später beginnt eine weitere (die vierte, fünfte, sechste?) Schaffensphase, die produktivste und wahnwitzigste überhaupt: 2017 erscheint eine BluRay-Box mit neun neuen Filmen: Der römische Zyklus, Teil 1. Teil 2 erscheint ein Jahr später und umfasst gar zwölf Filme, digitale Filmgedichte, zumeist in (kurzer) Featurelänge, gemeinsam realisiert mit einer Gruppe glamouröser junger Frauen, Diven aus einem Parallelkinokosmos. Inzwischen sind noch zwei weitere Boxen erhältlich, mit Venusfilmen und mit Stummfilmen. Als gäbe es zwei temporale Ökonomien des Filmemachens: eine, die nur für Schmidt gilt und eine, nach der sich alle anderen richten müssen.

Ein Werk, nicht auf komplettistisches Erschließen angelegt

Selbst wer das alles gesehen hat, hat erst an der Oberfläche gekratzt. Die Spiel- und Performance/Experimentalfilme sind nur eine Facette von Schmidts Werk. Seit 1980 sind Dutzende Dokumentarfilme fürs Fernsehen entstanden, über Regisseure, Schauspielerinnen und Schauspieler, aber auch über den Wu-Tang-Clan, über Los Angeles, außerdem Opernverfilmungen … Dann gibt es noch das publizistische und schriftstellerische Werk: in den 1970ern gründete Schmidt, im zeitweiligen nichtkinematografischen Exil, das Punkmagazin S!A!U!, in den 1980ern brachte er selbstverfasste Romanversionen seiner Erfolgsfilme heraus, seit den Nullerjahren diverse Prosa-, Lyrik- und Fotobände.

Man kann, wie eingangs erwähnt, immer tiefer eintauchen in die Welt des Eckhart Schmidt. Doch das Werk ist, auch das ist ein hochgradig sympathischer Zug, gar nicht auf ein komplettistisches Erschließen angelegt. Schon ein einziger Schmidt-Film – bei mir war das ein Screening von Alpha City im Jahr 2017 – kann den Blick auf die Welt und das Kino komplett ändern.

Zu den Texten:

Die Story (1984)

Broken Hearts (1996)

Atlantis - Ein Sommermärchen (1970)

Alpha City (1985)

Von Ulm in die weite Welt – Interview mit Eckhart Schmidt

Jet Generation (1968)

Loft (1985)

Die Küken kommen (1985)

Mein schönster Sommer (2017)

Blow-Up an der Isar - Eckhart Schmidts Frühwerk

Das Wunder (1985)

Der Fan (1982)

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