Nabelschauwelten – Deutsche Beziehungskomödien 1989–2001

Vielleicht weiß die deutsche Beziehungskomödie der 1990er Jahre von ihrer Zeit etwas, woran wir uns nicht mehr erinnern. Eine vom Filmkollektiv Frankfurt kuratierte Reihe widmete sich der Hochphase dieses Genres.

Manchmal kann ein ehemals sehr erfolgreicher, noch nicht mal 30 Jahre alter Film so in Vergessenheit geraten, dass sich ein Wiedersehen wie ein filmarchäologischer Event anfühlt. Sharon von Wietersheims Workaholic habe ich 1996 als 13-Jähriger zum Kinostart gesehen, doch wirkten die Bilder nun bei der Wiedersichtung an einem kühlen Frankfurter Augustnachmittag neu, ungesehen, außerirdisch: Zu Eurodance-Klängen, jenem mythischen Gebräu der Zeit aus operatischem Hi-NRG-Gesang, Klavierloops und 140 bpm, vögelt des Nachts ein Paar inmitten der flutlichtbeschienenen, mehrstufigen Wasserfontänen des neoklassizistischen Wittelsbacherbrunnens am Münchner Lenbachplatz. „Wenn uns jemand sieht, gibt das einen Skandal“, sagt sie. „Stimmt, schließlich ist Gauguin schon seit 100 Jahren tot“, erwidert er.

Eigensinnige Sonderwege

In seiner Verbindung von hyperaktivem „Red-Bull-Sex“ (Carolin Weidner), obszön alltäglichem Inlandsflug-Jetset und der sich erregt selbst aufputschenden Sprache von Start-ups (im Grunde nichts weiter als die Dotcom-Version wenig glamouröser Unternehmensberatung) wirkt Workaholic wie eine verspätete Antwort des deutschen Kinos auf die US-Komödien der Reaganomics-Ära, mit deren Tempo und ambivalenter Spätkapitalismus-Euphorie der Film mühelos mithalten kann. Christiane Paul, Tobias Moretti und Ralf Bauer bewegen sich darin in einem durch Technologie und Popkultur verzauberten München voll mit Trenchcoat-Businessmen auf Rollerblades und Müllmännern, die am Handy hängen (1996, als Workaholic gedreht wurde, war auch das Jahr, in dem Telefonieren in Deutschland weitflächig portabel wurde). Althergebrachte Schnurtelefone haben hier die Form von Hotdogs, Lego-Konstruktionen und hochhackigen Schuhen, und die kregle Eigenoptimierung macht auch vor der richtigen Aussprache von Vokalen nicht halt: „Ihr A ist noch zu dumpf.“ Vielleicht weiß die deutsche Populärkomödie der 1990er Jahre von ihrer Zeit etwas, woran wir uns nicht mehr erinnern, wovon die Filme, die stattdessen im Gedächtnis verblieben sind, nichts erzählen.

Die von Carolin Weidner und Felix Mende für das Filmkollektiv Frankfurt kuratierte Reihe „Deutsche Beziehungskomödien 1989–2001“ widmete sich Ende August in einer exzellenten, nahezu komplett analogen Auswahl von zehn Spielfilmen, zwei Kurzarbeiten und anderthalb Dutzend Trailern der Hochphase dieses Genres und ließ die Retrospektive dabei folgerichtig in die an die 1990er grenzenden Jahrzehnte ausfransen, suchte nach Anfangs- und Endpunkten, in denen die Welle noch keine feste Form gefunden hatte oder nach neuen Anknüpfungspunkten suchte. Dabei orientierte sich die Reihe weniger an den erfolgreichen und prägenden Filmen der Zeit (der längst kanonisierte Männer von Doris Dörrie, 1985 Vorläufer und mit 5,2 Millionen Zuschauern kommerzielle Messlatte, fehlte beispielsweise), sondern wählte den Blick auf Kontraste und eigensinnige Sonderwege.

Starsystem zwischen Bavaria und Babelsberg

Auch dies war ein Beginn unter anderen: 1989 drehte Dominik Graf, eher bekannt für seine bundesdeutschen Policiers und Auslotungen der Genre-Möglichkeiten in Fernsehformaten, Tiger, Löwe, Panther – ein Film über eine Handvoll Paare in ihren späten 20ern, der sich bisweilen in seiner Komödienform noch eher unwohl zu fühlen scheint und die emsig behauptete und vorgelebte Beziehungsfreiheit immer wieder zurückbinden muss an aufreibende Arbeitsverhältnisse und die kaum überwundene Abhängigkeit vom selbstzufrieden verteidigten Innerlichkeitspalaver der 68er-Elterngeneration. Darin ist Tiger, Löwe, Panther aus heutiger Sicht ein faszinierend flüssiges Übergangswerk zwischen den Dekaden, papiernes Selbstfindungsdrama und frei aufatmen wollendes Lustspiel zugleich.

Wenig festgefügt ist auch das Figurenrepertoire des Films, der sich in seiner riesigen Besetzung fast zu verlieren scheint, die wie eine schauspielerische Gesellenprüfung für die kommende Welle wirkt: Graf und die für Drehbuch sowie Casting zuständige Sherry Hormann lassen dabei eine subkulturelle Ikone wie Beatrice Manowski (auf halbem Weg zwischen Nekromantik (1987) und Manta, Manta (1991)) neben späteren Leinwandstars der 1990er Jahre wie Martina Gedeck oder Peter Lohmeyer spielen.

Die Beziehungskomödienwelle erzeugte dann für eine Dekade ein schauspielorientiertes Kino, geradezu ein kleineres Starsystem zwischen Bavaria und Babelsberg, wie es in dieser Breite für den deutschen Mainstreamfilm nie wieder vergleichbar zentral sein sollte. Das bekannteste Gesicht dieser Zeit war Katja Riemann, eine Schauspielerin, die in der zeitgenössischen Filmkritik so abschätzig behandelt wurde wie niemand sonst, deren so nuanciertes wie auratisches Schauspiel aber aus heutiger Sicht den anfänglichen Reiz dieser Welle auch durch die abgegriffensten und stromlinienförmigsten Stoffe trägt. Zu sehen war sie im Rahmen der Retrospektive in Katja von Garniers meisterlichem Abgeschminkt! (1993), noch so einem Erfolgsfilm der frühen 1990er Jahre, der heute nur noch selten gezeigt wird und auf Heimmedien und Streamingportalen nicht mehr greifbar scheint. Von Garniers Hochschularbeit entstand ursprünglich als Übungsfilm, um eine neue Digitalschnitttechnologie auszuprobieren, bekam aber trotz mittellanger Spielzeit eine breitflächige Kinoauswertung. Als verdichtete Miniatur über das Wochenende zweier Freundinnen, formvollendet slick inszeniert, spielte der Film so ironisch distanziert wie lustvoll überzeugt die abgekapselten Nabelschauwelten der deutschen Komödie durch, bevor diese zum vielfach kopierten Klischee wurden.

Screwball-hafte Wendigkeit

Thomas Heinze, einem anderen populären Komödiendarsteller, widmete sich die Reihe gleich in einem Doppelprogramm: Sönke Wortmanns Allein unter Frauen (1991), back to back gesehen mit Die wahre Geschichte von Männern und Frauen (1992) von Robert van Ackeren, zeigt, wie sich Anfang der 1990er Jahre mit derselben Prämisse (Heinze zieht in beiden Filme in eine Frauen-WG) eine erfolgreiche Regiekarriere beginnen und eine beenden ließ. Am unangestrengten, leichten Ton von Allein unter Frauen, der geradezu Screwball-haften Wendigkeit des Drehbuchs von Philipp Weinges (der 1995 mit Japaner sind die besseren Liebhaber selber eine populäre Thomas-Heinze-Komödie drehte) merkt man sofort, warum Wortmann zu Beginn der Dekade als junge Hoffnung galt, wohin die deutsche Komödie aufbrechen wollte. Was sie dabei zurücklassen sollte, musste van Ackeren erfahren, dessen Film, eine der letzten genuinen Produktionen des einstmals prestigeträchtigen Filmverlags der Autoren, als eher schwerfälliger, bürgerlich-süffisanter Liebesreigen seinerzeit katastrophal durchfiel.

Abschließend gerahmt wurde die Retrospektive durch Thema Nr. 1 (2001), einen späten, idiosynkratischen Vertreter der deutschen Beziehungskomödie: eine auf Mini-DV betont räudig gedrehte Variation auf The Women (1939), die von den zeitgenössischen Inszenierungsmethoden der Dogma-95-Bewegung inspiriert scheint, deren bemühte Askese aber lustvoll überbietet. Der Film blieb leider die einzige Regiearbeit von Maria Bachmann und stellte als größere Constantin-Produktion den erfolglosen, kaum wahrgenommenen Versuch dar, den Look von Mainstreamkomödien zu verändern. Exemplarisch steht der Film damit auch für die Endphase der Welle, die geprägt war von eigensinnigeren Spielarten und zunehmenden finanziellen Misserfolgen.

Wechsel der Form, Wechsel der Stoffe

Bei einem Gespräch während der Retrospektive bot Dominik Graf eine verlockende Erklärung an, wieso die Beziehungskomödienwelle am Ende der Dekade auch kommerziell abflaute: Tom Tykwers Lola rennt (1998) markierte den Reboot eines nach Ernsthaftigkeit und internationaler Geltung strebenden Autorenkinos aus dem Geiste des Neuen Deutschen Films, das die folgenden Jahre dominieren sollte. Doch scheint mir diese Lesart etwas zu kurz zu greifen, einen alten Antagonismus zu bemühen, der publizistisch seit jeher dem deutschen Film aufgebürdet wird. Wechselte nicht eher um die Jahrtausendwende die Kinokomödie mal wieder ihre Form und ihre Stoffe? Gibt es tatsächlich einen Bruch zwischen Der bewegte Mann (1994) oder Frauen sind was Wunderbares“ (1994) und späteren Coming-of-Age-Produktionen wie Harte Jungs (2000) und Mädchen, Mädchen (2001), die zu Beginn der Nullerjahre das deutsche Kino mindestens ebenso stark prägten wie Tykwers Arthouse-Produktionsschmiede X Filme?

Auch wenn beispielsweise Katja von Garnier und Sharon von Wietersheim mittlerweile längst in anderen Bereichen Filme drehen (zuletzt zeitgenössische Pferdemädchenfilme, eines der momentan interessantesten Biotope für Genre-Arbeit), so ist die deutsche Komödienproduktion weiterhin von Kontinuität geprägt: Zwischen den eher ortlosen und zeitenthobenen Regiearbeiten von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer (die seitdem eine eigene Komödientradition von erfolgserprobten Schauspielern, die ins Regiefach wechseln, begründeten, siehe Florian David Fitz und Karoline Herfurth) und den Gesellschaftsprozesse durchspielenden und begradigenden Social-Engineering-Komödien von Bora Dagtekin sowie, mal wieder, Sönke Wortmann besteht die deutsche Kinokomödie auch heute aus zahlreichen mal kleineren, mal größeren Wellen und Solitären, die, so ungebrochen sie weiterhin von der Filmkritik vernachlässigt oder belächelt werden, bei zukünftigen Retrospektiven für erstaunliche Wiederentdeckungen sorgen werden.

Hier geht's zur Website des Filmkollektiv Frankfurt.

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