Mückenstiche und Geklatsche – Notizen aus Venedig (5)

The Rock kämpft sich im A24-Gewand in Richtung Oscar-Nominierung, Kathryn Bigelow nagelt einen gnadenlos in den Kinositz und François Ozon demonstriert, dass man sich auf vollendetes Handwerk nicht immer verlassen kann.

Was einem niemand über Venedig sagt: Man gibt in der Stadt ein perfektes Opfer für Mücken ab. Ich erinnere mich nicht, wann ich zum letzten Mal so mit Stichen übersät war. Klar, es herrscht hier ein eher feuchtes, schwüles Klima vor, man hätte also vielleicht selbst draufkommen können. Hilft einem vor Ort dann aber auch nicht weiter. Da es mein erstes Mal in der Stadt ist, hatte ich mich für zwei Tage aus dem Festivaltrubel ausgeklinkt und ein klassisches Sightseeing-Programm absolviert. Für ein paar Filme blieb dennoch Zeit.

Eines der nervigsten Phänomene in der Festivalberichterstattung der letzten Jahre sind zweifellos die Meldungen über endlose standing ovations. Diese sagen nie etwas über die Qualität des Films aus und das Publikum macht sich aus dem minutenlangen Klatschen oft einfach einen Spaß. Aktueller Applaus-Rekordhalter in Venedig: The Smashing Machine (Wettbewerb) von Benny Safdie mit Dwayne „The Rock“ Johnson. Sogar Tränenbäche sollen nach der Premiere geflossen sein. Da ich den Film nur in der Pressevorführung gesehen habe, blieb mir dieses traurige Spektakel dankenswerterweise erspart.

Die Erzählung des Films basiert auf wahren Ereignissen (!), The Rock ist kaum wiederzuerkennen (!!) und der inszenatorische Ansatz ist ganz frisch und neu (!!!). Zu letzterem kann ich nur sagen: Wer’s glaubt. The Smashing Machine ist in erster Linie einfach ein stinknormales Sportdrama über Aufstieg und Fall eines Freestyle-Wrestlers. Um sich von tausenden ähnlicher Exemplare abzuheben, zieht Safdie das Teil mit Dokudrama- und Cinéma-Verité-Elementen auf, damit’s authentischer und tiefgründiger rüberkommt, man dreht ja schließlich für A24. Leider beraubt er damit den Film jeglicher Dynamik, die Sportszenen setzt er komplett in den Sand und Klischees vermeidet er trotzdem nicht. The Rock spielt ordentlich (und wird natürlich direkt als Oscar-Kandidat gehandelt), aber die ganze Unternehmung ist witzlos und komplett langweilig. Insofern stehen die Chancen für einen Oscar tatsächlich nicht schlecht!

Kathryn Bigelows A House of Dynamite (Wettbewerb) mag vieles sein, langweilig ist er nicht. In drei Episoden erzählt die Regisseurin von einer drohenden internationalen Krise, nagelt die Zuschauer von der ersten Sekunde gnadenlos in ihre Sitze und jagt ihnen einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken. Dabei ist es ein Film, in dem der globale Ausnahmezustand vor allem in Büros und Hinterräumen verhandelt wird. So etwas ist leicht in den Sand zu setzen, Bigelow macht daraus jedoch eine unglaublich intensive, fast schon sadistische Übung in Sachen Angstlust. Man starrt 112 Minuten gebannt auf den Bildschirm und wird danach ohne Zuversicht wieder in die Welt entlassen. Ein ziemliches Meisterstück und der beste von Netflix produzierte Film im diesjährigen Venedig-Line-up.

Wer mich kennt, weiß, dass ich seit Jahren von den Dächern pfeife, was für ein unterschätzter Regisseur Francois Ozon ist. Für mich ist der Mann einer der letzten versierten Handwerker des Kinos. Er kann Qualitätsdrama, Komödie, Thriller, Gesellschaftspanorama. In seinen Filmen sitzt alles, ist alles durchdacht, gut geschrieben, sieht gut aus. Ozon ist einer dieser Regisseure, bei denen man sich immer darauf verlassen kann, dass man in guten Händen ist, selbst wenn sie mal nicht in Topform sind. Seine Camus-Verfilmung The Stranger/L’étranger (Wettbewerb), war daher auch einer meiner meisterwarteten Titel beim hiesigen Festival. Und folglich meine größte Enttäuschung. Camus’ Existentialismus-Klassiker über einen Mann, der ohne sichtlichen Grund einen Mord begeht, hätte wahrscheinlich einen weniger wohltemperierten Regisseur gebraucht. Ozon hält sich sklavisch an die Vorlage, bebildert diese zwar angemessen, aber es gelingt ihm zu keinem Zeitpunkt, einen eigenen oder filmisch zwingenden Zugang zu dem Stoff zu entwickeln. Einige eher kosmetische Zugeständnisse an postkoloniale Diskurse wirken gleichzeitig zögerlich, aufgesetzt und unnötig. Ozon ist zu routiniert, als dass der Film komplett uninteressant wäre. Unterm Strich kommt aber viel weniger dabei heraus, als man erwarten konnte.

To be continued…

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