Momente totaler Gegenwärtigkeit – Werkschau Thomas Arslan

Thomas Arslans Filme fühlen sich im Freien wohler als in geschlossenen Räumen und schreiben ihrem Publikum keine Blicke vor. Das Berliner Arsenal widmet dem hochgradig originellen Werk des Regisseurs in diesem Sommer eine Retrospektive.

„In Bewegung“ heißt die Filmreihe, die das Berliner Kino Arsenal ab dem 15. Juni 2024 dem Werk Thomas Arslans widmet. Es liegt nahe, den Titel nicht nur auf die zahlreichen Bewegungen in Arslans Filmen zu beziehen, sondern auch auf die Bewegung, die sein Werk als Ganzes darstellt. Verglichen mit den Arbeiten seiner einstigen dffb-Kommiliton:innen Angela Schanelec und Christian Petzold, mit denen gemeinsam Arslan, so will es die jüngere Filmgeschichtskanonisierung, den Kern der Berliner Schule bildet, scheint sein Schaffen schwerer fassbar, weniger in sich selbst ruhend.

Ein paar Linien sind durchaus zu erkennen: hin zur Abstraktion, zur Reduktion, zu autonomen Wahrnehmungsbildern. Die ersten beiden Langfilme, Mach die Musik leiser (1994) und Geschwister – Kardeşler (1997) sind noch stark in der Konkretion verankert. Zwei Variationen übers Jungsein: einmal deutsche, Metal hörende Jugendliche in Essen, der Stadt, in der Arslan vorwiegend aufwuchs, einmal deutsch-türkische, Hip-Hop hörende Jugendliche in Berlin, der Stadt, in der er ab den späten 1980er Jahren Film studierte und bis heute lebt. Jeder (und auch: jede? Vielleicht nicht ganz so sehr …), der in den Neunzigern in Deutschland jung war, sollte sich zumindest irgendwie in mindestens einem dieser beiden Filme wiederfinden.

Danach wird es filigraner, stilisierter. Bereits in Dealer (1999) arbeitet Arslan erstmals mit Elementen des Genrekinos, die später, in den Gangsterfilmen Im Schatten (2010) und Verbrannte Erde (2024) sowie dem Western Gold (2013), forciert werden. Wobei Genre bei Arslan, anders als bei Petzold, weniger ein narrativer Modus der Welterschließung ist als ein Werkzeug der poetischen, oder direkter: audiovisuellen Verdichtung. Handlungsmuster werden kanalisiert, Freiheitsgrade der Kommunikation beschnitten, um die Bilder freizugeben für Momente der totalen, fast subjektlosen Gegenwärtigkeit.

Im Schatten ist auch der erste Film, bei dem Reinhold Vorschneider Michael Wiesweg als Arslans Kameramann ablöst. Es mag eine arg grobe Vereinfachung sein, aber vielleicht kann man doch sagen, dass die von Wiesweg fotografierten Filme stärker vom Schnitt beziehungsweise vom Querschnitt (durch ein Milieu, eine Stadt, einen Tag …) her gedacht sind – siehe zum Beispiel die brillante Verdichtungsmontage in Der schöne Tag (2001), aber auch die vielspurige Familienaufstellung in Ferien (2007); und die von Vorschneider fotografierten stärker von der Kamera und insbesondere von der Bewegung her, oft unterfüttert oder auch entmaterialisiert von Drone-artigen Soundscapes.

Im ultraminimalistischen Vater-und-Sohn-in-Nordnorwegen-Stück Helle Nächte (2017) gibt es dann kaum noch mehr etwas anderes als die Immanenz der Bewegung, die zugleich eine Entfremdung von der Welt ist. Arslans Filme fühlen sich stets im Freien, auf der Straße, wohler als in geschlossenen Räumen. Helle Nächte nun ist mehr denn je Outdoorkino – und kippt doch am Ende in ein intimes Kammerspiel vor weitem Horizont.

Aber das ist natürlich nur eine mögliche Lesart – die Filme Arslans schreiben ihrem Publikum keine Blicke vor. Eine begleitende Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein ermöglicht es nun außerdem, dieses hochgradig originelle und weiterhin zukunftsoffene Werk breiter, vielseitiger zu kontextualisieren.

Hier und hier geht's zum Programm der Reihe (15.6.-4.8.2024).

Und hier zur begleitenden Ausstellung (8.6.-4.8.2024) im Neuen Berliner Kunstverein.

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Kommentare zu „Momente totaler Gegenwärtigkeit – Werkschau Thomas Arslan“


Tom Pisa

Fein,dass Thomas Arslan hier gewürdigt wird.
Ein seltener Regisseur, der seine -ähnlich Schanelec- künstlerische Freiheit nie verkauft hat und sicher auch darum herausragende Filme auf die Leinwand bringt.






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