Mit Sonne im Herzen – Notizen aus Venedig (3)

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen: Guillermo Del Toro verhebt sich an seinem Traumprojekt, einer Frankenstein-Verfilmung. Ein Lichtblick im oft bedeutungsschwanger verlaberten Festivalprogramm ist hingegen Jim Jarmuschs neuester Streich.

Am dritten Tag stellt sich eine gewisse Festivalroutine ein, ich fühle mich angekommen, morgens strahlt die Sonne über der Lagunenstadt und ich fahre voller Vorfreude auf den Lido zum Pressescreening von Guillermo Del Toros Frankenstein (Wettbewerb). Die Idylle währt indes nur kurz.

Über die Jahre hat Guillermo Del Toro eine Frankenstein-Verfilmung immer wieder als sein absolutes Traumprojekt angepriesen. Irgendwann gab es dann einen kreativen und budgetären Blankoscheck von Netflix und man durfte gespannt sein, was der Mexikaner aus dem Stoff zaubert. Die Antwort lautet leider: nicht viel. Trotz manch kosmetischer (und völlig überflüssiger) Anpassungen im Plot hält er sich mehr oder weniger sklavisch an die Vorlage, ohne dieser ansatzweise neue oder interessante Facetten abzugewinnen. Er fügt hinzu (Endlosdialoge, Lauflänge), subtrahiert und reduziert jedoch nichts und verliert sich im Größenwahn. Dass in der Romanvorlage und 80 Prozent der Verfilmungen der Arzt und nicht die Kreatur das eigentliche Monster ist, dürfte mittlerweile zu jedem Vorschulkind durchgedrungen sein. Del Toro feiert diese Einsicht als eine völlig unbekannte Offenbarung. Oscar Isaac, kein schlechter Schauspieler, wirkt komplett fehlbesetzt und flüchtet sich in lautes, deklamatorisches Overacting, wohl um vom Mangel an Substanz abzulenken. Der Film macht es ihm nach und schleppt sich über zunehmend quälende 149 Minuten voller Schall und Wahn auf tönernen Füßen ans Ziel. Ja, hübsch anzuschauen ist das alles, die Ausstattungs- und Kostümabteilungen wurden sichtlich überstrapaziert und es gibt einige wunderbar makabere Scheußlichkeiten zu bestaunen. Beim nächsten Mal soll Del Toro aber bitte ein Produzent reinquatschen, mit Budget geizen und die künstlerische Vision zumindest ein bisschen kontrollieren. Bekanntlich soll man ja mit einer solchen sonst lieber zum Arzt gehen.

Gianfranco Rosis neueste Dokumentation Sotto le nuvole / Below the Clouds (Wettbewerb) fügt sich nahtlos in seine Filmographie ein: vage formuliertes Thema (hier: Welt und Menschen am Abgrund), geographisch begrenzt (Gebiete nahe des Vesuv-Vulkans), mit geschichtlicher Rückkopplung (Pompei) und aktuellen Bezügen (Krieg in der Ukraine, Flüchtlingssituation) angereichert und in monochrome Bilder und Ambient-Sounds gehüllt. Kann man machen, wenn einem der Sinn danach steht.

Mit Potsy Poncirolis Motor City gibt’s versierten Schabernack aus dem Labor der neuzeitlichen Genre-Experimente. Ein klassisches US-B-Movie aus der 70er-Mottenkiste um verratene Liebe und scheiternde Pläne, aufgemöbelt durch kompletten Verzicht auf Dialoge und Dauerbeschallung mit zeitgenössischen Pop-, Rock- und Discohits. Ob man hierin kompletten kreativen Bankrott ausmacht oder die nächste orgiastische Offenbarung erlebt, wird wohl an den eigenen Vorlieben liegen. Ich bin in dem Fall willig und billig zu haben. Nach Tagen voller bedeutungsschwangerer Dialoge und konstanter Überlängen waren diese 103 Minuten ohne Worte eine Wohltat.

Neben alternden, melancholischen Männern scheint das Scheitern an den Arbeitsmarktmechanismen das zweite große Thema des Festivals zu sein. Park Chan Wok versucht sich in seiner Farce No Other Choice (Wettbewerb) an einer Art Parasite-Update, in dem ein Familienvater seine Job-Konkurrenz über die Klinge springen lässt. Das ist in einzelnen Momenten durchaus amüsant, wirkt über die vollen 139 Minuten aber zäh wie Kaugummi, zumal Park nie die Tonalität moduliert. Die Thriller-Anleihen überzeugen nicht, weil er nie die Zügel straff zieht, als Farce verliert der Film sich zu sehr in Nebensächlichkeiten und lässt Tempo vermissen.

Jim Jarmuschs Father Mother Sister Brother (Wettbewerb) wurde angeblich von Cannes abgelehnt. Kann gut sein, dass sich Jarmusch eine Premiere an der Croisette gewünscht hätte, denn der Film wurde von Frankreich mitproduziert, eine Episode spielt in Paris und die große Francoise Labrune ist in einem Cameo zu sehen. Warum Fremaux den Film nicht haben wollte, erschließt sich mir nach der Sichtung nicht. Es ist eine intime, humanistische Versuchsanordnung über Familienbeziehungen in drei wunderbar austarierten Vignetten. Melancholisch, witzig und sie hat mich den Tag so beenden lassen, wie er angefangen hat: mit Sonne im Herzen.

To be continued…

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