Mike Hodges: Von akkuratem Minimalismus bis zu grellbuntem Camp
Mit dem Namen Mike Hodges verbindet man hauptsächlich den Welterfolg Get Carter. Doch der britische Regisseur weist darüber hinaus eine abwechslungsreiche und äußerst entdeckenswerte Filmografie auf.

„With a film as assured and acclaimed as Get Carter there is only one place to go – down.“ Mark Adams bringt das Problem in der Einleitung seines Hodges-Kompendiums auf den Punkt. Wer ein Kinodebüt wie Get Carter (1971) hinlegt, der hat die Messlatte für die weitere Laufbahn ziemlich hoch gelegt. Anfangs noch zwiespältig aufgenommen, hat sich Get Carter, vielleicht das britische Analogon zu John Boormans Point Blank und Jean-Pierre Melvilles Der eiskalte Engel (Le Samouraï, beide 1967), bald zum Kritiker- und Cineastenliebling gemausert. Der nüchtern-schnörkellose und dennoch – vor allem aus heutiger Sicht – extrem stylische Gangsterfilm gilt als eine der markantesten Wegmarken des Genres. Der Einfluss von Get Carter findet sich auch heute noch in vielen Gangster- und Revengefilmen, wenngleich nicht selten in Form postmoderner Uneigentlichkeit der Marke Tarantino.
Get Carter mag das einzige von Hodges’ Werken sein, das im Kanon angekommen ist, mitnichten aber seine einzige filmische Leistung. In den folgenden 30 Jahren erarbeitete sich der Brite einen eigenen Kinokosmos, mit Filmen unterschiedlichster Couleur: Eine intelligent-satirische (Malta sehen und sterben / Pulp, 1972) und eine infantile Blödel-Komödie (Morons from Outer Space, 1985), Science Fiction (Der Killer im Kopf / The Terminal Man, 1974) und High-Budget-Trash (Flash Gordon, 1980) finden darin ebenso ihren Platz wie ein übernatürlicher Mysterythriller (Black Rainbow – Schwarzer Regenbogen, 1989) und ein Neo-Noir Drama (Der Croupier, 1998).
Dass Hodges heute als Filmemacher insgesamt eher weniger bekannt ist, mag der Uneinheitlichkeit seiner Werke bzw. jenem scheinbaren Mangel an auktorialer Kontinuität geschuldet sein, den schon diese Genrevielfalt vermuten lässt. Es gibt keinen durchgehenden Hodges-Stil, der es ermöglichen würde, stets denselben Schöpfer hinter den diversen Filmstoffen zu erkennen. Ebenso gibt es auch kein zentrales Motiv oder Thema, das sich konstant durch sein Werk schlängelt – zumindest nicht auf den ersten Blick.
Der Einzelne gegen ein korruptes Dickicht

Auf abstrakterer Ebene lassen sich dann aber durchaus einige Schwerpunkte ausmachen. Was bereits in seinen frühen Fernsehfilmen Rumour (1970) und The Manipulators (1971) angelegt ist, schwebt auch immer wieder über den Geschichten der Kinofilme, so unterschiedlich sie jeweils auch situiert und gestaltet sind: Der Einzelne sieht sich ominösen, letztlich unhintergehbaren Mächten gegenübergestellt, ob als Spielball oder Einzelkämpfer – oder beides zugleich. Diese Mächte verorten sich stets irgendwo im korrupten Dickicht aus organisierter Kriminalität, Politik und Großkonzernen. Solch ein gesellschaftskritischer, geradezu pessimistischer Grundton, der sich entsprechend in der visuellen Umsetzung niederschlägt, rückt Hodges zu Beginn seiner Karriere in die Nähe des New Hollywood, setzt sich aber bis zu seinem letzten Film Dead Simple (I’ll Sleep When I’m Dead, 2003) fort. Auch auf welterklärerische Instanzen wie die Wissenschaft und insbesondere – dem Übermaß seiner eigenen katholischen Erziehung geschuldet – die Kirche hat es Hodges in seinen Filmen gerne abgesehen. Der ärztliche Eingriff in die Natur des Menschen in The Terminal Man kann nur im Desaster enden, und Repräsentanten des Religiösen treten etwa in Black Rainbow als geldgieriger Scharlatan oder in Pulp als Killer auf.
Filmkunst statt Kunstfilm

Auch inszenatorisch lassen sich durchaus einige Elemente festhalten, auf die Hodges diskontinuierlich zurückgreift. Die Hauptfiguren aus Get Carter und Pulp sind nicht nur durch Darsteller Michael Caine verbunden, sondern auch durch ihre ganz ähnliche Ausstrahlung zwischen souveräner Coolness und Egoismus – obwohl die eine ein abgebrühter Hitman, die andere ein harmloser Romanautor ist. Gut 30 Jahre später werden zwei solche Rollen in Croupier und Dead Simple von Clive Owen verkörpert – dessen Figuren den einstmals von Caine gespielten bemerkenswert nahe stehen. Dass die Bücher der jeweiligen Schriftstellerfiguren dabei keineswegs hochgeistig-abstrakte Kunstwerke sind, ist sicherlich kein Zufall, sondern vielleicht eine selbstreflexive Anspielung des Regisseurs. Nicht wenige seiner Filme sind zwar große Filmkunst im Sinne handwerklicher Akkuratesse und dramaturgischer Ausgereiftheit, und selbst in Fernsehfilmen wie Rumour setzt Hodges gerne mal auf ungewöhnliche Verfahren à la Claude Chabrol. Doch reine, aufs Formale fokussierte Kunstfilme wollen sie nie sein, bleiben vielmehr stets der Narration verpflichtet und entfalten sich in bewährten Genrerahmen.
Bildgewalt aus einer anderen Zeit

Allerdings muss man als Zuschauer in Filmen von Hodges durchaus mit Ambivalenzen umgehen. Nicht jede Szene fügt sich lückenlos in den Erzählfluss ein, manches bleibt in seiner Bedeutung vage und unbestimmt, manchmal auch die Gesamterzählung eines Films selbst. Ob es sich beispielsweise bei den Geschehnissen in Black Rainbow – in dem eine junge Frau (Rosanna Arquette) Geld damit verdient, als Medium mit den Toten zu kommunizieren – tatsächlich um Übernatürliches handelt, diese Entscheidung überlässt Hodges getrost dem Zuschauer selbst. Auf die an sich schon unbequeme und befremdlich wirkende Anfangsszene in The Terminal Man – in der die Hintergrundgeschichte des Protagonisten Harry Benson (George Segal), der im Folgenden einem hirninvasiven Verfahren unterzogen werden soll, erläutert wird, um die Figur dem Zuschauer näher zu bringen – hätte Hodges am liebsten verzichtet. Sie schien ihm noch zu mundgerecht serviert. Aber hier wie auch anderswo (insbesondere bei Auf den Schwingen des Todes / A Prayer for the Dying, 1987) musste sich Hodges der Entscheidungsgewalt der Produzenten beugen.
Besonders exemplarisch an The Terminal Man, einem in der Filmgeschichte sträflich vernachlässigten Werk, zeichnet sich auch eine weitere zentrale Qualität von Hodges’ Kino ab: lange, ausladende Einstellungen, die Detailfreude und Virtuosität der extrem durchstrukturierten Bildkompositionen adäquat vermitteln. Wie Hodges selbst festhält, verlangen seine Filme dem Publikum eine Aufmerksamkeitsspanne ab, die nicht mehr mit den modernen, beschleunigten Sehgewohnheiten einhergeht. Terrence Malick ließ sich nach der Sichtung von The Terminal Man zum Verfassen eines schwelgerischen Briefs hinreißen, in dem er Hodges’ eindrucksvolle Bildsprache würdigt. Auch narrativ nimmt sich Hodges gerne viel Zeit. So dauert die Operationssequenz in The Terminal Man, in der Harry ein Computerchip zur Gedankenmanipulation ins Gehirn eingesetzt wird, fast ein Drittel der Gesamtlaufzeit des Films.
Disco in the Sky

Dass Hodges aber auch ganz anders kann und sich selbst für gnadenlosen Camp nicht zu schade ist, zeigt er mit den Auftragsarbeiten Flash Gordon und Morons from Outer Space. Besonders ersterer erweist sich geradezu als Vorreiter des schnelllebigen artifiziellen Oberflächenspektakels, das die filmische Postmoderne der 1980er Jahre charakterisiert. Wenn man dem Autor Steven Paul Davies Glauben schenken darf, war die Verfilmung des Comics ursprünglich das Wunschprojekt von George Lucas, der jedoch keine Rechte daran erwerben konnte und sich stattdessen einem ähnlichen Projekt namens Star Wars widmete. Für Hodges bedeutete Flash Gordon die völlig neue Herausforderung, mit bombastischen Special-Effects-Kino umgehen zu müssen. Was er letztlich daraus gemacht hat, ist nicht weniger als ein weiterer Kultfilm geworden, der selbst noch in aktuellen Produktionen wie Ted (2012) ehrfürchtige Huldigung erfährt. Als „disco in the sky“ bezeichnete die Filmkritikerin Pauline Kael seinerzeit die abgedrehte Spaceopera, und Hodges erklärt stolz, mit Flash Gordon die erste wirkliche Comicverfilmung geschaffen zu haben – also nicht lediglich die filmische Adaption eines Comics, sondern vielmehr einen tatsächlichen Comic in bewegten Bildern.
Ein abgeschlossenes Œuvre?

Um die Jahrtausendwende hat sich Hodges wieder dem ernsten und düsteren Thriller zugewendet und konnte mit Croupier nochmals einen großen Erfolg an der Kinokasse verbuchen. Dead Simple, sein bislang letzter Film, ist deutlich an sein Debüt Get Carter angelehnt, wobei der Plot, in dem ein Hitman versucht, den Tod seines Bruders zu rächen, nur die offensichtlichste Parallele ist. Zwar steht mit der Verfilmung von Thomas Manns Mario und der Zauberer ein Wunschprojekt von Hodges eigentlich noch aus. Bedenkt man aber ein weiteres Charakteristikum seiner Werke, nämlich das Wiederaufgreifen prägnanter Elemente der Eingangsszene am Ende eines Films, so lässt sich Dead Simple als sinniger Abschluss eines Kino-Œuvres lesen, das 1971 mit einer Kamerabewegung in Richtung des von Michael Caine verkörperten Gangsters beginnt und 2003 mit dem Verschwinden im Bildhorizont des von Clive Owen dargestellten Ex-Gangsters eine auch in der einzelnen Einstellung schlüssige Klammer erhält. Das was sich innerhalb dieser Klammer befindet, verspricht eine lohnenswerte cineastische (Wieder-)Entdeckungstour.
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