Menschen und Meereswesen – Festival Européen du Film Fantastique

Ein Moby Dick wird zum Supermodell, Ben Weatley schwört dem Hollywoodkino ab und ein kasachischer Rachethriller wird zum Fenster zur Welt. Unser dritter und letzter Bericht aus Strasbourg.

Auf Filmfestivals gehört es öfter mal zum guten Ton, den Festivaltrailer zu beklatschen. In Strasbourg läuft das allerdings etwas anders ab. Vor einigen Jahren war hier nämlich William Friedkin (RIP) Ehrengast und hat ein Interview aufgenommen, in dem er irgendwann eine kurze Klatschgeste vorführt. Der Strasbourger Festivaltrailer wird jedes Jahr neu produziert, der Friedkin-Moment wird seitdem an dessen Ende platziert. Das Publikum versucht dann,diesen einen Klatsch zeitlich genau abzupassen und zu übertönen. Je nachdem, wie gut das gelingt, applaudiert es sich selbst oder grämt sich. Irgendwann macht man automatisch selbst mit. Und nun zu den Filmen an meinem letzten Tag.

Vier Samen einer Pusteblume

Chao von Yasuhiro Aoki spielt in der chinesischen Metropole Shanghai, die hier gemeinsam von Menschen und Meereswesen bewohnt wird. Unser Held Stephan geht über Bord, wird von der Sirenenprinzessin ChaO gerettet und verspricht, sie zu heiraten, lieben und zu ehren. ChaO sieht zunächst zwar wie der jüngere Cousin von Moby Dick aus, wenn sie aber mal vertrauen gefasst hat, verwandelt sie sich in ein herkömmliches Supermodel. Angesichts der Zusammenfasssung mögen manche eventuell einen ernsthaften Diskussionsbeitrag zu sino-japanischen Beziehungen und dem Interspezies-Dialog zwischen Mensch und Fisch erwarten. Diese Erwartung muss enttäuscht werden. Alle anderen freuen sich über ein spielerisches, immens einfallsreiches, spektakulär eigenwillig animiertes, im besten Sinne halluzinantes Anime. Yasuhiro Aoki sollte man bis auf weiteres im Auge behalten.

Im vergangenen Jahr sorgte der dialogfreie Animationsfilm Flow für Furore, in dem eine Katze durch eine Naturkatastrophe gezwungen wird, sich eine neue Heimat zu suchen. In Planètes/ Dandelion’s Odyssey von Momoko Seto trifft dieses Schicksal vier Samen einer Pusteblume, die nach einem Meteoriteneinschlag auf der Erde durch die Welt irren, bevor sie in fruchtbarem Land wieder als Löwenzahn aufblühen können. Es ist eine narrativ simple Geschichte mit leicht pädagogischem Impetus, die über die kurze Laufzeit nett unterhält und visuell hübsch imaginiert ist. Neben herkömmlichen Animationen und CGI werden immer wieder Naturaufnahmen im Zeitraffer eingesetzt, was den Mix zwar nicht wahnsinnig innovativ, aber immer wieder mal überraschend ausfallen lässt.

Don’t question the story out loud

Ben Wheatley galt eine Zeit lang als die große Hoffnung der britischen Films, ist dann dem Hollywood-Ruf gefolgt und musste für Rebecca und Meg 2 einige Kritiker-Prügel einstecken. Sein neuer Film Bulk scheint wie eine dezidierte Absage an das Studiosystem und jegliche Publikumserwartung. Prominent besetzt mit dem Ehepaar Sam Riley und Alexandra Maria Lara, wirkt der Film so, als ob er nach einem Wochenend-Dreh in den eigenen vier Wänden entstanden wäre. Die Narration kann ich nur bedingt wiedergeben, es geht vage um die Stringtheorie, Haustüren, die als Portale in Parallelwelten dienen und dunkle Verschwörungen. “Don’t question the story out loud, it only undermines it” sagt Alexandra Maria Lara an einer Stelle, und den Rat sollten die Zuschauer wohl oder übel auch beherzigen. Ich war 90 Minuten lang einigermaßen verblüfft und gelangweilt, vom entspannten und generösen Gestus des Films dann aber doch relativ eingenommen.

Kasachstan als Filmnation ist eher ein blinder Fleck im internationalen Festivalbetrieb, aber in letzter Zeit rumort es hier vermehrt. 2022 gewann ausgerechnet der ausnehmend raue und drastische häusliche Gewalt-Shocker Happiness den Panorama-Publikumspreis auf der Berlinale. Mit Cadet und Steppenwolf hatten in den vergangenen Jahren zwei Genrefilme einen recht erfolgreichen Festival-Run. In Zhaza von Darkhan Tulegenov treffen wir nun auf Arslan, einen käuflichen Cop, der aus Versehen seine Tochter auf einer Feier für lokale Politiker vergewaltigen lässt. Statt seine Rolle dabei zu hinterfragen, entfesselt er einen Ein-Mann-Rachefeldzug gegen die korrupte Elite. Zhaza ist ein offensichtlich kostengünstig hergestellter Film mit Bezug auf ähnliche US-amerikanische Rachefilme. Er hat dabei aber eine ganz eigene raue Energie, spürbare Antennen für sozio-ökonomische Realitäten und kann so die Geschichte erfolgreich in einem hoffnungslos-durchkorrumpierten Niemandsland situieren. In den zahlreichen Nahkampfszenen gelingen ihm außerdem immer wieder hübsch inszenierte Highlights. Film ist bekanntlich immer ein Fenster zu Welt – könnte sein, dass wir künftig mehr von Kasachstan zu sehen bekommen.

Hier geht's zu Teil 1 und Teil 2 unseres Festivalberichts. 

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