Mehr Demokratie wagen – Schulmädchenreport und die Folgen
Jugendsünden, die etwas Jugendliches haben. Die in der Bundesrepublik der 1970er Jahre auf- und bald auch wieder verblühenden Reportfilme werden von Kritik und Forschung im Allgemeinen an den Katzentisch der Filmgeschichte verbannt. Und doch taugen sie zum biestigen Spiegel einer Gesellschaft, die ihrer eigenen Lockerheit noch nicht so recht traut.

Als 1970 der Film Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten (1970) in den Kinos startete, kam er nicht aus dem Nichts. Auf diverse Weise hatte sich diese Form des exploitativen Genrefilms, der mit aufklärerischem Gestus gerahmt ist, angedeutet – im Mondo (pseudoethnografischen Dokumentationen, die Sex und Gewalt aus aller Welt zeigten) oder Thrillern, die ihre gesellschaftliche Relevanz lautstark behaupteten (Filme wie Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn oder Heißes Pflaster Köln, beide 1967). Was wie aus dem Nichts kam, war das Millionenpublikum. Bis heute ist der erste Schulmädchen-Report hierzulande einer der meistbesuchten deutschen Kinofilme. Logischerweise folgten Fortsetzungen, bis 1980 waren es zwölf Stück. Außerdem folgten noch deutlich mehr Reporte zu artverwandten Themen. Gerade in der ersten Hälfte der 1970er wurden die Kinos mit Filmen wie Schüler-Report – Junge! Junge! Was die Mädchen alles von uns wollen! (1971), Frühreifen-Report (1973), Sex-Träume-Report (1973) oder Liebe zwischen Tür und Angel – Vertreterinnen-Report (1973) geradezu geflutet.
Nach dieser enormen Präsenz ebbte die Welle schnell wieder ab. Kaum etwas blieb von ihr zurück, außer schambesetzte Wiederholungen im Nachtprogramm der Privatsender. Gerade bei der Größe des Phänomens ist erstaunlich, wie sehr es inzwischen nur noch in kleinen Nischen stattfindet – wenn überhaupt. Dass spätere Stars wie Sascha Hehn und Konstantin Wecker in diversen Beiträgen mitgespielt hatten, wird gemeinhin unter Jugendsünde rubriziert. Vielleicht werden die Reporte insgesamt als Jugendsünde der jungen Bundesrepublik und ihrer Medienlandschaft abgeheftet, an die nicht mehr gedacht und die schon gar nicht ernst genommen werden soll.
Vulgär und schmuddelig

Was gegen sie spricht, ist offensichtlich. Die Aufklärungsarbeit ist in den meisten Beiträgen bestenfalls pseudowissenschaftlich und kaum verstellt ein Mittel, um nackte Haut zu zeigen. Nie legitimieren sie sich mit kunstvollen Geschichten oder Erzählweisen, statt Erotik gibt es oft nur Gehopse von Nackedeis. Kurz: Sie sind vulgär und schmuddelig. Aber schon im ersten Teil geschieht etwas Bemerkenswertes. In der Rahmenhandlung sitzt ein Elternrat über ein Mädchen zu Gericht, und ein Psychologe bringt mit Fallbeispielen zum Ausdruck, was „wir heute alles wissen“. Er erwirkt, dass das Mädchen nicht von der Schule fliegt, weil sie nichts Verdammungswürdiges tat. Nur offenbart sich auf den letzten Metern, dass alles ein abgekartetes Spiel war, dass der Psychologe seine eigenen Gründe hatte, für das Mädchen zu argumentieren. Überhaupt hatten die Abstimmenden nur für Freispruch gestimmt, weil sie nicht als unmodern gelten wollten. Von Beginn weg herrscht eine gewisse Doppelbödigkeit, man ringt mit der eigenen, nur vorgeschürzten Modernität und Lockerheit.
Geschichtlich waren die Reporte Teil einer Entwicklung, die bereits in den 1950er einsetzte, in den 1960ern Fahrt aufnahm und schließlich in der 1970er Jahren mit der Legalisierung der Pornographie endete. Die Grenzen dessen, worüber geredet werden, was (in Filmen) gezeigt werden konnte, verschoben sich zunehmend. Willy Brandts Regierungserklärung im Jahr 1969 sagte es emblematisch: „Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun.“ Irgendwo zwischen einem Kino, in dem alles zugeknöpft blieb – wobei Papas Kino nicht unbedingt prüde war, sondern seine enormen Schmierpotenziale lediglich verdeckter auslebte –, und einem Kino, in dem (fast) alles gezeigt werden konnte, bildeten die Reporte eine Zwischenstufe, die es nur zu einem bestimmten Zeitpunkt geben konnte, nicht davor, nicht danach.
Auch die Jungen müssen lernen

Eine Zwischenstufe, die sich mit aktuellen Themen zu legitimieren suchte, die darüber berichtete und das zeigte, was gerade brennend interessiert. Zu Beginn der Welle wurden die kurzen Geschichten, aus denen die Filme bestehen, von Straßeninterviews gerahmt oder von Erzählern und „neusten psychologischen Erkenntnissen“ begleitet, die die Fragestellung einordneten. Gerade in den ersten Schulmädchen-Reporten geht es darum, zwischen den Generationen zu vermitteln. Zu erklären, warum manche Wertvorstellungen der Elterngeneration überkommen sind und weshalb Sex nicht allzu schnell pathologisiert werden sollte. Wieso aber auch die Jungen noch einiges zu lernen hätten.
Immer wieder geht es um Schülerinnen, die ihren Lehrern die Köpfe verdrehen, deren Karrieren zerstören oder sie gleich in den Selbstmord treiben. Gerade die ersten beiden Fortsetzungen des Schulmädchen-Reports versuchten ihre jeweiligen Vorgänger immer noch mehr zu übertreffen. Kein Tabu, kein krasses Thema sollte ausgelassen werden, Augen sollten sich öffnen. Inzest, Mädchenhandel, Vergewaltigungen, Triebtäter oder Doktorspiele mit Lehrern oder 10-jährigen Cousins werden dargestellt und verhandelt. Grundsätzlich potenzierte der Aktualitätsansatz den reißerischen Gestus der Filme. Die Abgründe, die vor der eigenen Haustür lauerten – oder vielleicht schon im eigenen Heim – mussten immer tiefer gähnen. Schnell fand man sich in einer Sackgasse wieder, weshalb die Reporte zusehends die eigene Lockerheit betonten – bis sie am Ende oft nur Sketchparaden waren oder Lustspiele wie Der Ostfriesen-Report: „O mei, haben die Ostfriesen Riesen!“ (1973), Filme, die nur noch dem Namen nach Reporte waren.
Trotziges Lachen

Aber schon von Beginn weg hoben sich die Reporte vom ausgestellten Ernst der Oswalt-Kolle-Filme (beispielsweise Das Wunder der Liebe von 1968 oder Deine Frau, das unbekannte Wesen ein Jahr später) ab. Schon die Fragestellungen zeigten, dass es um Voyeurismus ging, der sich mehr und mehr in absurden Gefilden abspielte. Was treiben Hausfrauen, während ihre Männer auf Arbeit sind? Welche sexuellen Abenteuer erleben Vertreter? Die Antwort war von vorherein klar. Die brandaktuellen Themen wurden stets von Episoden begleitet, in denen die Enge der Bonner Republik aufbrach und neue Möglichkeiten ausgelebt wurden. Auf ganz basale Weise gehörten hier Sex und Ehe nicht mehr grundsätzlich zusammen.
Von der Kritik wurden die Reporte von Beginn an zerrissen und verachtet. Der Untergang des Abendlandes war in ihnen nur allzu leicht zu erkennen, wenn sie für bare Münze genommen wurden. Dabei lauerten hinter dem Aufklärungsgestus nicht selten grelle Satiren und bittere Grotesken. In welches Wespennest die Reports stachen, lässt sich vielleicht am besten mit diesem Ausschnitt aus einer Fernsehsendung skizzieren, in dem sich ein Sozialpsychologe Ende der 1960er in Anbetracht von Kommunen und der Möglichkeit von Gruppensex gleich einer inzestuösen Phantasmagorie hingibt, in der jeder mit jedem Sex hat. Sexualität offen verhandeln, Tabus infrage stellen: All das kann doch wohl keinen anderen Fluchtpunkt als Sodom und Gomorrha zu haben. Dieser Hysterie traten die Reporte mit einem trotzigen Lachen entgegen. Einer bornierten Gesellschaft, aber auch einer um Lässigkeit bemühten, hielten sie einen biestigen Spiegel vor.
Derbes im Gewand der Gaudi

Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten (1971) kann eben auch als eine feministische Brandschrift gelesen werden, die grotesk und geschmacklos aufzeigt, dass es nur Verlierer gibt, wenn Frauen nach der Eheschließung als Hausfrau in ihren Wohnungen weggesperrt werden. Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt (1971) besteht aus überdrehten Vorstellungen, wie sexuell machtvolle Frauen, potente Einwanderer, Lesben und Schwule, wie alles Unnormale die Welt der Männer bedroht. Aus Karikaturen, die diesen Wahn bis weit ins Abstruse überdehnen. Der Lehrmädchen-Report (1973) erklärt aus dem Off immer wieder, dass Mädchen in den 1970ern viel früher reif wären als in früheren Jahrzehnten, dass sie mehr Freiheiten hätten, von den Eltern aber nicht die richtigen Werte vermittelt bekommen würden. Die gezeigten Episoden verdeutlichen allerdings lediglich, dass das größte Problem Männer sind, die sich allein durch ihre Erregung dazu berechtigt sehen, über (junge) Frauen herzufallen.
Im Schüler-Report, einem der lockersten und verspieltesten Report-Filme, gibt es eine Episode, in der Kinder entdecken, dass ihr Vater ihnen den Gang in die Disco verbietet, weil er dort selbst jungen Frauen auflauert und sich diesen dort ungelenk aufdrängt. Es geht in den Reporten selten um feine gesellschaftliche Analysen, die soziologische und sexual-psychologische Wahrheiten vermitteln wollen, aber doch immer wieder um Unschönes und Derbes im Gewand einer bitteren Gaudi.
Das muss nicht immer schön sein

So zu verallgemeinern ist selbstredend unlauter. Die Filme sind schon jeder für sich grundlegend disparat, voller Stimmungs- und Qualitätsschwankungen, ein Panoptikum aus teutonischem Holzhammerhumor, spritzigen Frivolitäten, Ringen um Verständnis und Lässigkeit, völlig überzogenen und Porträts einer gesellschaftlichen Enge, die Fassbinderfilme im Vergleich entspannt wirken lässt. Auch zwischen den Filmen herrschten riesige Unterschiede. Ein Regisseur wie Ernst Hofbauer, der in der Frühphase für die meisten Reporte verantwortlich zeichnete, zeigte ein ironisches, bitterböses Interesse an den Themen seiner Filme, während der später dominierende Walter Boss lieber große Brüste hoppeln ließ.
Sichtlich waren die Regisseure und Autoren nie souverän. Auf die neuen, ungewohnten Möglichkeiten reagierten sie mit einer Form, die ihnen bekannt war, mit dem Altherrenwitz. Diese Unbeholfenheit muss nicht nur gegen die Filme sprechen, vielleicht sogar: im Gegenteil. Die Filme sind Jugendsünden, sie haben deshalb aber auch etwas Jugendliches. Sie probieren sich aus und nehmen uns dahin mit, wohin es sie verschlägt, was sie in sich und um sich finden – und das muss nicht immer schön sein.
Kaum einer der Filme ist ohne Fremdscham oder unangenehme Gefühle durchzustehen. Extremfälle wie der teilweise schwer erträgliche Frühreifen-Report (1973) sind zum Glück nicht in der Mehrheit – in diesem gibt es eine Episode, in der eine Mutter Angst hat, ihren neuen Mann zu verlieren, weshalb sie ihm etwas bieten möchte; sie stiftet ihn an, seine Stieftochter zu missbrauchen, die von einer, für einen Film wie diesen, viel zu jungen Schauspielerin gespielt wird. Aber auch so waren sie nie dafür gedacht, bei einem Glas Rotwein genossen zu werden. Sie sind eher Karneval, die Welt als Bild-Schlagzeile und Klowitz. Sie machen es einem nicht einfach, in ihnen findet sich aber Teile einer Gesellschaft, Teile von uns, die andere Filme sich nie getraut haben zu zeigen.
Hier geht's zu den anderen Filmen unseres Specials zum Deutschen Genrekino.
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