Lustvolle Selbstzersetzung – Die schwulen Sexfilme von Hisayasu Satô

In der japanischen Erotikfilmindustrie werden heterosexuelle und schwule Produktionen nicht selten vom selben Team gedreht. Im Nischenprogramm des Regisseurs Hisayasu Satô geht es um gefährliche Lust, süßen Schmerz und barbarischen Sex, der den abgestumpften Großstädtern wieder das Fühlen lehrt.

 

 

My impression of the current Japanese society is that the youth needs to hurt itself in order to exist. There is a real, valid search for pain. I believe there are certain individuals who ... while trying to express their feelingscan only do so through violence.“

Hisayasu Satô


 

Kaum hat der Stricher nach getaner Arbeit das Zimmer verlassen, gleitet der Blick des stoischen Privatdetektivs Yamada (Naoto Yoshimoto) auf ein Foto aus der Studienzeit, das ihn mit seinem Football-Kollegen Ishikawa (Takeshi Itô) zeigt. Yamada erinnert sich daran, wie sein Kumpel im Trainingsraum eine Peitsche auf seinen nackten, gefesselten Körper prügelt, wie er ihn mit harten Stößen fickt und ihn währenddessen mit einem Seil würgt, bis das Gesicht purpurn anläuft. In Hunter’s Sense of Touch (1995) tauchen diese Bilder immer wieder auf. Und obwohl sich dieselben Rituale mit anderen Männern in der Gegenwart fortsetzen, lassen sie dabei doch die Intensität von damals vermissen. Als Yamada schließlich einem Serienmörder nachspürt, bei dem es sich um Ishikawa handeln könnte, beginnt er nach ihm zu suchen. Nicht etwa, weil er den Fall lösen will, sondern um seine unerfüllte Begierde zu stillen – obwohl oder gerade weil es ihm vielleicht das Leben kostet.

Selbstzerstörerisches Begehren

 

In den schwulen Pinkfilmen von Hisayasu Satô – die eher Horrorstreifen oder Film noirs ähneln als herkömmlichen Sexfilmen – eröffnet sich eine Welt voller Fetische. Eigentlich kennt man das ganze Arsenal an SM-Requisiten bereits aus den heterosexuellen Produktionen des Japaners: Bondageseile, Mundknebel, Peitschen, heißes Wachs, aber auch Messer, mit denen in die Haut geritzt wird, und Pistolen, die in Körperöffnungen geschoben werden. In Satôs für die Produktionsfirma ENK entstandenen Filmen wird jedoch auch die Gefahr selbst zum Fetisch. In der Finsternis und Leere einer Industrielandschaft stehen sich Yamada und Ishikawa schließlich wieder gegenüber. Yamada legt dabei eine schwarze Binde um seine Augen und stellt sich seinem Peiniger zur Verfügung. Satô spielt in diesem Moment nicht nur mit einem Schmerz, der sich unmittelbar in Lust verwandelt, sondern auch mit der der prickelnden Angst, dass die Situation jederzeit zu einem blutigen Massaker ausarten könnte.

 

Die Ausgangssituationen der anderen Filme sind nicht weniger brisant: In The Fetist (1998) etwa glaubt ein Maler in einem psychisch zutiefst gestörten Jungen sein perfektes Modell gefunden zu haben. Dass die neue Muse von Zwangsneurosen geplagt wird und nachts mit einem Messer wahllos auf Mädchen einsticht, mindert die Leidenschaft des Künstlers nicht im Geringsten. Temptation of the Mask (1987) dreht sich stattdessen um ein Polizeiverhör, bei dem der ermittelnde Beamte sich das Geständnis eines pyromanischen Boy Fatales mit mehreren Runden Russischem Roulette erkauft. Und Muscle (1989) erzählt wiederum von der Liebe eines Mannes zu einem unberechenbaren Sadisten. Als er die Qualen schließlich nicht mehr erträgt, hackt er seinem Schinder den Arm ab – nur um sich anschließend wieder nach den Erniedrigungen zu sehnen. Das Begehren in jedem dieser Filme ist so ungezügelt wie selbstzerstörerisch. Motivationen dafür präsentiert uns Satô viele: aufopferungsvolle Liebe, ein Trauma aus der Jugend, eine romantische Todessehnsucht, vor allem aber Sex, der so barbarisch ist, dass er dem betäubten Körper des modernen Großstadtmenschen wieder das Fühlen lehrt.

Die Erotikindustrie als Chamäleon

 

Satô kam aus sehr pragmatischen Gründen zum Pinkfilm: Für einen angehenden Regisseur bot die japanische Erotikindustrie Anfang der 1980er Jahre nicht nur die besten Einstiegsmöglichkeiten, sondern auch das höchste Maß an künstlerischer Freiheit. Gerade weil die Produktionen oft nur als Wichsvorlagen gesehen wurden, konnten sich die Filmemacher dort ziemlich hemmungslos austoben. Anders als im Westen gab es hier zwischen dem heterosexuellen und dem deutlich kleineren schwulen Markt viele Überschneidungen. So wechselten Regisseure wie Satô oder seine Stammschauspieler Takeshi Itô und Kôichi Imaizumi nahtlos zwischen diesen beiden Bereichen. Man kann diese flexible Zielgruppenausrichtung als Fortführung einer japanischen Tradition sehen, die mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht: Die erotischen Geschichten von Ihara Saikaku oder die einst weit verbreiteten Shungas – Farbholzschnitte mit sexuell expliziten Darstellungen – passten sich genauso an die Bedürfnisse ihres Publikums an und thematisierten auch so manches jenseits der Heteronormativität. Damals wie heute standen diese Werke nicht selten vor der Herausforderung, die Vorstellungen heterosexueller Künstler mit einer schwulen Lebensrealität in Einklang zu bringen.

Explizte Filme, die nichts zeigen

 

Auch Satô ist gewissermaßen ein Außenstehender, aber ohne dass das in seinen Filmen zum Problem wird. Zum einen mag das daran liegen, dass er wegen seines Faibles für Gegenwarts-Dystopien und sexuelle Grenzüberschreitungen selbst in der Pink-Industrie ein Außenseiter war. Zum anderen sind seine Filme zwar fest im urbanen Japan verwurzelt, thematisieren am Rande auch durchaus Alltagshomophobie oder spielen mit Aids-Metaphern, scheren sich aber letztlich auch nicht allzu viel um Authentizität. Vielmehr wirken sie wie beunruhigende, aber doch auch erregende Träume, in denen nicht immer alles einen Sinn ergeben muss. Die Erzählungen sind meist sehr einfach und konzentriert, die Figuren bleiben skizzenhaft und geheimnisvoll. Bei den Paarkonstellationen findet man vor allem Archetypisches; entweder traditionelle Schüler-Lehrer-Beziehungen oder kumpelhafte Männerbünde, bei denen nach dem gemeinsamen Sportübungen erst mal gevögelt wird. Der Sex ist dabei eher stilisiert als realitätsnah.

 

Obwohl die Männer teilweise selbst im Bett ihre eng sitzenden Jockey-Slips anlassen – und es ohnehin in Japan verboten ist, Geschlechtsteile oder Schamhaare zu zeigen –, gelingt es den Filmen, unheimlich explizit zu wirken, ohne es wirklich zu sein. Da wird mit den Händen durch den dünnen Baumwollstoff der Unterhose gefingert, erst ausführlich die Rosette umkreist und dann anpenetriert, da werden haarige Achseln geleckt und Nippel gekniffen und wird dabei mit obszön herausgestreckten Zungen geknutscht, während auf der Tonspur ein Mix aus Stöhnen, Grunzen und schmatzenden Geräuschen die Fantasie noch ein wenig ankurbelt. Satôs Filme feiern den Voyeurismus und versuchen doch, den Zuschauer immer wieder aus seiner distanzierten Betrachterposition zu holen. Mal geschieht das durch einen Blick in die Kamera, mal durch Sexszenen, die so offensiv wie souverän ihr erotisches Potenzial ausschöpfen; fast so, als würde der Zuschauer selbst zwischen nassgeschwitzten, nach Schwanz und Arsch riechenden Bettlaken liegen.

Selbstfindung durch Schmerz

 

Zugleich wirkt der Sex aber auch immer etwas kalt, roh und brutal. Er ist das Symptom einer völlig abgestumpften, vor sich selbst entfremdeten Gesellschaft. So wie die Figuren in Satôs Filmen häufig technische Geräte wie Kameras oder Bildschirme brauchen, um in dieser menschenfeindlichen Welt miteinander zu kommunizieren, so wirken auch die SM-Exzesse, als müssten sich die Protagonisten damit versichern, überhaupt noch am Leben zu sein. In solchen Momenten wird vor allem klar, dass der Regisseur nicht in erster Linie Moralist oder Medienkritiker ist, sondern geschickt nach den Regeln des Genres spielt. Der Sex ist somit oft nur eine aufregende Fantasie, die sich um Kontrollverlust, Unterwerfung und das Austesten von Grenzen dreht – ein Aspekt, der in den schwulen Filmen auch nichts von dem problematischen Sexismus manch anderer seiner Regiearbeiten hat.

 

Was wiederum nicht heißt, dass sich Satô nicht auch gerne auf ideologische Minenfelder begibt. Besonders zentral in seinem Werk ist dabei das Motiv des sexuellen Missbrauchs. In Temptation of the Mask geht es etwa um einen Jungen, der von seiner Schwester und ihrem Mann zum Sexsklaven gemacht wird. Zunächst besteht kein Zweifel daran, dass es sich dabei um ein rein ausbeuterisches Verhältnis handelt, aber mit fortschreitender Handlung erscheint die Rolle des Jungen zunehmend paradox. Eine Rückblende klärt uns schließlich darüber auf, dass er einst beobachten musste, wie seine Schwester vergewaltigt wurde. Daraufhin beginnt er, einen seltsamen, durchaus auch sexuellen Drang zu entwickeln, sie zu imitieren; an ihrem Schminktisch zu posieren, ihre Höschen zu tragen und auch Birnen auf eine Art und Weise zu verspeisen, die den Onkel ganz unruhig werden lässt. Wenn sich die Rollen von Opfer und Verführer einmal vermischt haben, befindet man sich endgültig auf typischem Satô-Terrain. Dann haben sich auch Moral und Vernunft verabschiedet, und die lustvolle Selbstzersetzung kann beginnen.

 

Zu den anderen Texten unserer Hisayasu-Satō-Reihe geht es hier: 

Stoß das Tor zur Hölle auf: Die Filme von Hisayasu Satō

Sex ohne Erlösung – Der Schauspieler Kôichi Imaizumi

Turtle Vision (1991)

Birthday (1993)

Love - Zero = Infinity (1994)

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