Lösungen ohne Rätsel: Kurzfilmtage Oberhausen 2021
Bilder, Content und die Balance der Biografie: Die ersten Tage der Kurzfilmtage Oberhausen gehören den erstmals ausgerichteten Online-Wettbewerben. Die besten Filme geben Antworten, zu denen wir uns selbst die Fragen stellen müssen.

Will man sich die Filme der Kurzfilmtage Oberhausen nicht einzeln, sondern innerhalb ihrer kuratierten Umgebung ansehen, bekommt man sie erklärt oder zumindest kommentiert. Zwischen den einzelnen Filmen eines Programms ist dann der oder die Verantwortliche fürs gerade gesehene Werk mit einem Videostatement zu sehen, sich an vorgefertigten Fragen entlanghangelnd, meist die eigenen Ideen hinter dem Projekt erörternd. Wahrscheinlich liegt es an der Einsamkeit des Heimkinos im Zeitalter der sozialen Distanz, dass ich froh über diese geschwätzigen Pausen bin. Dass mir für sich selbst sprechende Werke und Lesartenfreiheit wie alte Hüte vorkommen, menschenfeindlicher Kunstkram. So lasst sie doch ein, denke ich, diese ja überwiegend sympathischen und schlauen Menschen, lasst sie mir einen vom Film erzählen, lasst ihre Assoziationen sich mit meinen assoziieren, präsentiert mir die Denkmaschinen hinter den Filmmaschinen!
Der Witz des Virtuellen

Im unschuldig betitelten, aber spektakulären Programm „Internationaler Online-Wettbewerb 6“ sitzen nach den ersten beiden Filmen dann aber ganz buchstäbliche Denkmaschinen da, verlängern sich Filme in ihre Erklärung, werden Artist Statements zu Art. Nach Zhu Changquans I’m Disguised, Right in Front of You liest eine KI-Stimme einen Text vor, das Bild wird zu einem Terminal, auf dem wir diesen Text mitlesen können. „Hahahahaha, this is a joke“, beruhigt uns die Stimme mit ihrer manischen Monotonie, bevor sie zur Theorie hinter dem Film ansetzt, und doch ist das alles ganz und gar beunruhigend, zumal nach einem Film, der die drollige Internet-Anekdote mit dem per Zoom-Filter zur Katze gewordenen Rechtsanwalt zur Ontologie macht: Ein Affe wird da zum digitalen Kostüm für etwas, das spricht, sich irgendwo in den Bildern und Daten versteckt, aber niemals zum fassbaren Körper wird. „Choose your temporary but affirmative skin“, heißt es, der Film entwirft eine techno-anim(al)istische Welt, in der wir alles sein können, das ist ja der Witz des Virtuellen, „everything is equal based on numbers“, ein neues Leben in der Cloud, starting from scratch, mit Filtern statt Körpern.

Von Data als neuem Demos geht’s mit Alison Nguyens my favorite software is being here dann in bekanntere, weil pessimistischere Gefilde, Data als düstere Dystopie. Ein weiblicher Avatar namens Andra8 steht im Zentrum, eine KI, die in einem vom Film als physischer Raum imaginierten Internet arbeitet, Content createt, Leben managt, „how can I help you?“, die dafür Daten trinken muss, also „start commenting your thoughts, tell me something you believe in.“ Irgendwann bekommt sie nicht mehr genug Daten, es riecht nach Burn-out, sie lässt es ruhiger angehen, „it takes work to show you the content you want to see, and I don’t want to work so much.“ Auch hier grüßt nach dem Film Andra8 höchstpersönlich das Publikum, wird von Regisseurin Nguyen ausgefragt und gibt beunruhigende Antworten: „Gibt es noch mehr von dir, die wir nicht kennen?“ „Klar.“ Aber dann Landung auf dem Boden der Q&A-Etikette, Projektgenese: Auch der Content des Films, erzählt Nguyen, ist zum Teil KI-generiert, die Datendrinks kommen aus den Feeds von Influencer:innen.
Zeigen und Denken

Das verwirrend produktive Erlebnis dieser beiden Filme: Nicht nur verschwimmen die Grenzen zwischen Werk und Autor:in, sondern auch die zwischen Netz und Welt. Ich fühle mich im besten Sinne abgehängt, weniger, wie sonst zunehmend, als alter Millennial von einer neuen Generation, die firmer im Web ist, denn als Mensch von den Maschinen selbst, die firmer mit unserer Welt sind. Zugleich stehen I’m Disguised, Right in Front of You und my favorite software is being here für zwei Prinzipien, die Ausgangspunkt auch fürs Nachdenken über die Vielzahl von Filmen sein können, die „in“ Oberhausen laufen: Image und Content, Zeigen und Denken, Kreation des Neuen und Analyse des Bestehenden – Pole, zwischen denen die besten Filme natürlich eher hin und her lavieren, als sich an einem von ihnen festzuklammern.

Wenn der Content sich allzu sehr in den Vordergrund drängelt – etwa in Daniel Theilers Top Down Memory aus einem der deutschen Online-Wettbewerbe, einer geschichtsphilosophischen Reflexion, angeleiert durch die Absurdität des rekonstruierten Berliner Schlosses und ausgeführt anhand von reinszenierten (schwarze Frau statt weißer Mann, weil geht um Macht und so) Balkonauftritten von Liebknecht über Mussolini bis Michael Jackson – wirkt’s schnell bemüht und zerdacht. Die Geburts-Alterungs-Meditation Birthday von Yuka Sato oder Rafal Morusiewicz’ Found-Footage-Remix copia de la copia (de la copia), der mithilfe einer hypernervösen Elektromelange eine queere Befreiung der Archive gegen die queerfeindliche Gewalt in Polen in Stellung bringt, machen da schon viel mehr Spaß. Vielleicht funktioniert die Überwältigung durch eine Bildermaschine mit voller Pulle auch einfach besser in einem Rezeptionsumfeld, das zugleich unser Alltags-, unser Arbeitsumfeld ist, an dem ich ohnehin schon zu viel denke. Aber natürlich können auch die Montage-Überwältigungen je nach Gehalt und Dosis in Richtung kreativer Überbietungswettbewerb durchdrehen. Das Gegenproblem zu zerdacht: auf Verdacht.
Lächeln aus den Archiven

Eine schöne Balance finden dann zwei liebevoll gestaltete Kurz-Biografien: In The Light of Day widmen sich Alex Eisenberg und Anne Bean der Videokünstlerin und Maskenbildnerin Jeanette Iljon, der wir beim Erinnern zusehen, bei der Konfrontation mit den eigenen Werken, vorwiegend aus den 1970ern und 1980ern, der Glanzzeit feministischer Avantgarde. Bean hatte das Projekt auch initiiert, um die von einer beginnenden Demenz bedrohten Erinnerungen ihrer Freundin als Subjektiven zu bewahren, bevor nur noch ihre objektiven Spuren da sind. Und in SON CHANT nähert sich Vivian Ostrovsky der Zusammenarbeit zwischen Chantal Akerman und der Cellistin Sonia Wieder-Atherton. Auch hier geht’s in die Archive, in Akermans Filme, in Aufnahmen, in denen die Hochachtung füreinander bekundet wird. Einmal ein toller Splitscreen: Die eine raucht, die andere streicht. In beiden Filmen grüßen Vergangenheiten eher lächelnd als sentimental, strahlen gelebte Leben eher lebendig als tot in die Gegenwart.

Nun aber nochmal zurück zum Internationalen Online-Wettbewerb 6, diesem Monstrum: Da gibt es nämlich auch noch einen tollen neuen Film von Khavn de la Cruz zu entdecken, der zuletzt zweimal mit Alexander Kluge gedreht hat. Die Beschreibung des Films lautet „Zwei Kinder. Rätsel ohne Lösungen. Dekonstruierte Redewendungen. Ratten“, und wenn ich die Beschreibung mit meiner Erfahrung abgleiche und mich dabei recht entsinne, rannten da Kinder mit Pistolen rum, machten Quatsch, visuelle Effekte legten sich übers Bild, der Schnitt machte einen auf Speedcore, der Soundtrack tat sein Übriges, irgendwann wandte sich das Ganze in Horror, die Kinder wurden zu Monstern, am Ende Knetfiguren auf einem Schachbrett, die bald keine Bauern, Läufer, Türme mehr sein mochten, sondern sich lieber verbanden, und so wurden aus Figuren Figurationen und aus Figurationen eine einzige Knetmasse, und schon machte das Schachbrett keinen Sinn mehr und stand unnütz im Bild herum.
Grandioser Sabotageakt

Gunam-gunam X Guni-guni ist ein Ereignis, das dazu verleitet, dem angestaubten Unmittelbarkeitsfetisch mit seinen schlichten Gegenüberstellungen nochmal zu erliegen und’s zu genießen: So schaut’s aus, wenn Filme als Rhizome wuchern, anstatt Wurzeln zu schlagen, wenn sich die Wahrnehmung vors Verständnis schiebt, der Affekt vors Gefühl, die Synapsen vors Bewusstsein, wenn sich alles auflöst. Und auch hier übertrumpft das Videostatement den eigentlichen Film nochmal, mit einem grandiosen Sabotageakt: Da sitzen die Kids aus dem Film mit spektakulären Brillen vor uns und machen weiteren Quatsch, bekommen generische Fragen gestellt, zur aktuellen Lage des philippinischen Kinos, und was die Vorteile und Herausforderungen dabei sind, mit Kindern zu arbeiten. Die Antworten kommen in nicht untertitelter Gebärdensprache, oder sind Nonsens, oder unverständlich, oder die Kinder prusten los: „Slapping my butt!“
Versammelt das Statement Fragen, auf die es keine Antworten gibt, so kommt der Film selbst eher daher wie die Antwort auf eine noch nie gestellte Frage, eine Lösung ohne Rätsel anstatt ein Rätsel ohne Lösung. Das scheint überhaupt die besten Beiträge auszuzeichnen: dass sie dem altklugen Fragen-stellen-statt-Antworten-geben-Paradigma nochmal einen Jeopardy-Spin verpassen, das Fragen sein lassen und selbstbewusst Antworten geben. Die entsprechenden Fragen müssen wir dann schon selbst stellen.
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