Kurzfilmtage Oberhausen 2018: Abschied, Abschied, Abschied
Alte Männer schwelgen in Erinnerungen. Warum macht das so aggressiv? Triviale Filme, Provokationen und ein paar Gründe, auch Luftballons im Kino nicht vorschnell abzuschreiben.

Lang ist es her, dass ich im Kino bewusst weggeguckt habe, die Augen gesenkt oder mir gar die Hände vor die Brille gehalten habe. Ich komme mir kindisch vor. Aber das passt mal wieder ganz gut zu den Kurzfilmtagen Oberhausen, bei denen es auch 2018 wieder viele Albernheiten zu ertragen gibt. Zum Beispiel Luftballons im Kinosaal, die Schatten werfen auf die Leinwand. „Augenkrebskino“, sagt eine Kollegin zu den „Expanded cinema“-Variationen, denen in diesem Jahr auch mit „Lectures“ im Kinosaal gehuldigt wird. Hässlich ist das neue Schön, da ist Oberhausen ganz in der Gegenwart angekommen.
Die Website, die Marisa Olson, die sich als Erfinderin des Begriffs Post-Internet-Art präsentiert, auf die Leinwand wirft, ist ein großartiges Beispiel für diese „Augenkrebs“-Kunst, die natürlich längst Parodie ist und liebevoll-ironisch das (frühe) Internet imitiert: Wirre Animationen, Herzchen, Tierchen, bunte Farben, Texte in WordArt-Stil, die sich um die eigene Achse drehen … Wer sagt, was Kunst ist? Zum Beispiel ein golden angestrichenes Klapphandy aus den 1990ern? Ich schließe die Augen nicht.
Alle Klischees einmal äußern, damit man sie los wird

Das Themenprogramm 2018 ist ein „Abschied vom Kino“, es geht darin besonders um Filme, die ästhetisch nicht radikal sind und Ende der 1960er und Anfang der 1970er im experimentellen Kosmos zwischen Amateurismus und Künstlerkollektiven entstanden. Kuratiert von einem, der selbst einem Kollektiv (dem Kino im Sprengel in Hannover) angehört, Peter Hoffmann, ist der Gestus der Schau überwiegend anekdotisch, ganz wie viele der Filme selbst. Die Reihe will nicht das Kanonische des Anti-Kanonischen zeigen, aber die Vergangenheit auch nicht neu aufrollen. Ein Mann, „in der Szene dominierten die Männer“ (Hoffmann), filmt seine Tochter, wie sie mit dem Dreirad durch die Wohnung fährt. Aufgeraut durch analogfilmische Artefakte, Überblendungen, Wiederholungsrhythmen wie in einem Musikvideoclip. Unendlich lang. Ein anderer Mann filmt eine Frau in einer Großaufnahme. Sie raucht, das kann sie gut. Dann onaniert sie, auch das sieht gut aus.
Lutz Mommartz erzählt bei einem Podium zum „Abschied“, er wollte noch etwas zur Frauenfrage sagen. Er habe auch einen Film gemacht, bei dem er eine Frau beim Sex filme, die sehr dominant sei. Ich verdrehe die Augen. Denke daran, dass diese Männer immer am Rand der Aufmerksamkeitsökonomien waren und selten Gelegenheit haben, Widerspruch zu ernten. Heißt nicht, dass sie nicht auf die Idee kommen könnten, dass das Motiv der „starken Frauen“ auch eines ist, das sich Männer als Feigenblatt ans Revier heften. Nun. Vielleicht ist das ja wie ein Exorzismus: Alle Klischees müssen einmal geäußert werden, damit man sie los wird.

Das „Abschied“-Programm fordert heraus, weil es die Kriterien dafür, was oben und unten ist, was ernst, was wichtig, was zentral und dringlich ist, verschiebt. Das Programm, das mir am ehesten anschlussfähig erscheint zur Vorstellung, dass die eingesetzten filmischen Mittel eine genuin künstlerische Position suchen, was so viel und so wenig heißt wie einen Ausdruck zu finden, der einen eigenen Blick darstellt und sich nicht ohne weiteres unter einen anderen Gebrauch (politisch, kommerziell etc.) subsumieren lässt, das Programm, das in diese Richtung reicht, ist auch jenes, das am schwersten auszuhalten ist. Die Kuratoren haben es überschrieben als „Kunst/Aktionen“.
Provokationen, offensiv vergänglich

Wieder viel nackte Haut, zum Teil etwas konzeptionell: Künstler(freunde) posieren, Detailaufnahmen zeigen recht streng nacheinander: Füße, Knie (wunderbar merkwürdig), Penis oder Vagina (genauer: Behaarung über Vagina), nochmal das primäre Sexualorgan mit Händen, dann Brüste, Kopf von vorne, von der Seite, von hinten, zum Schluss eine bewegte Einstellung: Das Subjekt schreibt den eigenen Namen mit Kreide auf eine Tafel. Sinnlich sind die nackten Körper nicht, umso besser, weil sie so schön apart wirken, das ist schon viel. Artistothek oder Some of Our Friends von Irm und Ed Sommer klingt auch gut. Die beiden Regisseure haben übrigens einen der wenigen dezidiert der „Frau“ gewidmeten Filme dieser Reihe gemacht. Die weibliche Befriedigung zeigt er nicht als heroischen Akt eines Mannes: Rhythmus 1.
Völlig unerwartet erwischt mich ein Film, der ganz wenig tut: A von Dieter Rühmann. Eine silberne Kugel, ein bisschen größer als eine Murmel, rollt über einen Tisch in einen Mund hinein, die Lippen verschließen sich, spucken sie wieder aus, die Kugel rollt zurück. Und das Spiel beginnt von vorne. Eine Detailaufnahme zeigt eine Zunge, sie sieht nicht sehr hygienisch aus. Oder sind das ganz normale Flecken? Die Kamera bewegt sich, bleibt aber dicht an ihren Subjekten, ganze Gesichter sind nie zu erkennen. Zeit, Münder zu vergleichen. Eine Oberlippe hebt sich und offenbart kranke Zähne. Ich kann kaum hinsehen und fürchte mich fortan vor jeder Bewegung. Jedes Mal, wenn sich die Lippen öffnen und die verunstalteten Zähne offenbaren, wird mir ein bisschen übler. Meine Gedanken schweifen ab. Ich frage mich: Wo ist diese kleine silberne Kugel nun schon überall gewesen? Hat jemand den Tisch geputzt, bevor sie darüber rollt, wieder in einen neuen Mund hinein? Ich sorge mich ernsthaft, mich übergeben zu müssen. Dabei steht mir das Schlimmste noch bevor.

Hoffmann hatte schon angekündigt zu Beginn dieses Kurzfilmblocks, dass er genauso „Provokation“ hätte heißen können und dass es nicht nur um die Provokation der Gegner, sondern auch des eigenen Publikums ging. Beispielhaft ist dafür Warum Katzen?, der ein besonders süßes Exemplar, ein totes wohlgemerkt, vor der Kamera brutalst zerstümmelt. Es ist schnell klar, dass ich das nicht anschauen will. Solidarisierungen mit meinen Kino-Nachbarn helfen nur bedingt, die Bilder sind so drastisch, ich muss, will flüchten. Auf dem Weg hinaus frage ich mich, ob all diese Filme, auch die vielen unerwähnten, davon profitieren würden, wenn sie irgendwie narrativ eingebettet wären, wenn sie daran interessiert wären, eine Beziehung aufzubauen zwischen einem Vorher und Nachher, um sich historisch, gesellschaftlich, politisch, persönlich oder wie auch immer einzuschreiben. Dass sie all das kaum tun, macht sie vielleicht wiederum interessant, weil sie so offensiv vergänglich sind.
Widerständiges Kino muss nicht provozieren
Der „Abschied vom Kino“, der die Experimentalfilmkonstellationen rund um Hamburg, Oberhausen und das sagenumwobene Festival im belgischen Knokke nachzeichnet, wird von ungewöhnlich vielen Diskussionsveranstaltungen flankiert. Ich entscheide zu bleiben, auch wenn ich ein Widerstreben empfinde, denn man muss ja auch über etwas schreiben, wenn man schon mal da ist. Nach einer Weile entspinnt sich ein interessantes Gespräch. Drei Kuratoren landen bei der Einsicht, dass sie ganz „relaxed“ seien, was den Abschied vom Kino angeht, denn das könne doch alles nebeneinander stehen. Kino, Kunst, Videos im Nachtclub (sie nennen es „Kino“), Filmgucken in der Hängematte. Ihre These, es sei eine Generations-Sache, dass Ältere – wie Festivaldirektor Lars Henrik Gass, der nicht anwesend ist – die Ablenkungskultur des Internets als Gefahr beschrieben. Die drei, die sich einig sind, leider habe ich mir die Namen nicht notiert, und das Internet verrät sie nicht, nehmen in Anspruch, entspannt sein zu können angesichts all dieser Debatten.

Ich widerspreche und bringe eine etwas abgeschmackte, als Frage verkleidete These hervor, vielleicht seien sie so entspannt, weil sie sich in der Nische wohlfühlten und nichts verändern wollten. Die Antwort des Gastes, der sich vor allem für queere Perspektiven einsetzt, ist ziemlich einfach: Sein Engagement sei ein anderes, er vermittle Bilder, kuratiere, um Menschen zu sensibilisieren, vor allem Jugendliche, und wenn ihm das gelinge, dann müsse er das nicht in der „wütenden“ Sprache der anderen machen (Deklamationen seien nicht das Seine) – auch das müsse legitim sein. Eine einfache Antwort, die mich plötzlich versöhnlich stimmt. Denn er bohrt damit in die Wunde meiner abwehrenden Reaktion gegenüber dem „Anderen Kino“, das mir zu trivial erschien. Plötzlich macht alles für mich Sinn, auch der anekdotische „Abschied“, der vorführt, wie stark Normierungen greifen, bis hinein in die Vorstellung davon, wie mit (Bilder-)Hegemonien umzugehen sei. Widerständiges Kino muss nicht provozieren. Auch wenn es das besonders gut im Kinosaal kann, aus dem ich erst flüchten kann, wenn ich mich an den Sitznachbarn vorbeigeschlichen hab.
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