Klaustrophobie in den Nebensektionen - Berlinale 2023

In Property ist eine Frau in einem Auto gefangen, in #Manhole steckt ein Mann in einem Gullyloch fest. Zwei Filme mit ähnlicher Ausgangslage – und sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Der Berlinale-Wettbewerbs-Beitrag The Survival of Kindness sperrt seine Protagonistin in einen Käfig ein, und ist damit nicht der erste Film. In diversen Genrestücken finden Menschen wahlweise in einem Sarg, einem Notfallraum, einem Bunker, einem Zug, einem Bus, einem Skilift, einer Telefonzelle, einem Würfel oder allerlei Kellern wieder. Solche Trapped-Szenarien spielen mit menschlichen Urängsten, aber auch mit der erzählerischen Herausforderung, dem eigenen Film bewusst Beschränkungen aufzuerlegen und trotzdem einen Plot zu entwickeln, der auf Spielfilmlänge fesselt.

Kreative Kontrahenten im Klassenkampf

Im brasilianischen Thriller Property (Propriedade), der im Panorama läuft, lernen wir Teresa (Malu Galli) kennen, die unter Angststörungen leidet und kaum noch ihre Stadt-Villa verlässt, seit sie eine Geiselnahme nur knapp überlebt hat. Ihr Mann Roberto (Tavinho Teixeira) lässt den neu gekauften SUV panzern, damit sie endlich wieder am Leben teilnehmen und gemeinsam mit ihm das riesige Landhaus besuchen kann, das dem Paar als Ferienresidenz dient. Kaum dort angekommen, müssen sie feststellen, dass ihre indigenen Angestellten gerade den Verwalter umgebracht haben und dabei sind, die Villa zu plündern. Als diese Situation, Gefangenendilemma sei Dank, rasch eskaliert, findet sich Teresa plötzlich allein im Auto wieder. Sie kann nicht raus, weil draußen ein wütender Mob tobt – die (durchaus zu recht) aufgebrachten ArbeiterInnen wiederum kommen nicht hinein, weil der Wagen gepanzert ist. Es gelingt ihnen aber immerhin, das Auto fahrunfähig zu machen und den Mobilfunk zu unterbrechen.

Während andere Klaustrophobie-Film oft nur dank fragwürdiger Entscheidungen ihrer Figuren auf 90 Minuten kommen, hat Regisseur Daniel Bandeira solche Inkonsistenzen nicht nötig. Im Gegenteil: Die Kontrahenten sind äußerst kreativ (und dabei dennoch glaubwürdig) in ihren Versuchen, die Klassenkampf-Tragödie zu ihren Gunsten zu entscheiden. Gleichzeitig gelingt es Property, über diesen Einzelkonflikt die enormen Gegensätze zwischen reich und arm, weiß und indigen, Rechtslage und Gerechtigkeit in Brasilien zu skizzieren, die sich zuletzt auch nach der Abwahl von Jair Bolsonaro gezeigt haben.

Zudem verzichtet Daniel Bandeira darauf, aus dem Plot eine simplifizierende Gut-gegen-Böse-Geschichte zu machen. Beide Seiten – die reichen Großgrundbesitzer ebenso wie die armen Aufständischen – verdienen sich die Sympathien des Publikums. Und beide handeln hier und da aus reinem Egoismus und mit massiver Rücksichtslosigkeit. Aus dieser Ambivalenz und der bis ins Detail durchdachten Erzählung entsteht ein packender, grimmiger Thriller, der erfreulicherweise nie selbstironisch zwinkert.

Fragwürdige Entwicklungen

#Manhole von Kazuyoshi Kumakiri hingegen läuft im Berlinale Special und tritt als klassisches Midnight Movie auf, das Spannung und Lacher vereint. Nach einem feuchtfröhlichen Junggesellen-Abschied mit den Kollegen wacht der attraktive Shunsuke (Yuto Nakajima) in einem gut zehn Meter tiefen Gullyloch wieder auf. Die Leiter an der Wand ist kaputt, der starke Regen lässt den (Abwasserpegel rapide ansteigen und die massive Fleischwunde an Shunsukes Oberschenkel macht auch nicht den besten Eindruck. Außerdem steht in wenigen Stunden seine Hochzeit an. Also fängt er an zu telefonieren, um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Leider denkt Shunsuke sehr lange Zeit nicht daran, dass es in Japan Polizei und andere Rettungskräfte gibt – und als er doch endlich den Notruf wählt, kommt kein einziger Polizist auf die Idee, Shunsukes unklaren Standort über die Mobilfunkzelle zu ermitteln. Dass er überhaupt ein Handy bei sich hat, ist angesichts späterer Plot-Enthüllungen ziemlich erstaunlich – ebenso wie sein sehr strapazierfähiges Knochengerüst, seine sehr hartnäckige Amnesie in Bezug auf vergangene Ereignisse und sein sehr abrupter Persönlichkeitswechsel mitten im Film.

Man muss Genrefilmen nicht gleich jede kleine logische Lücke ankreiden, aber #Manhole kommt – anders als Property – nur auf Spielfilmlänge, weil er voller fragwürdiger Entwicklungen ist. Das verhindert die Einbindung des Zuschauers und erzeugt eine affektive Distanz, die einen eher über den Film als mit ihm lachen lässt. Dass Regisseur Kazuyoshi Kumakiri sein Trapped-Szenario mit einer weiteren Storytelling-Trope des jüngeren Genrefilms vermischt und es in großen Teilen als Bildschirm-Film inszeniert, macht die Sache nicht besser. Vor zehn Jahren wäre das vielleicht noch als clever und innovativ durchgegangen – ebenso wie die Marketing-Idee, den Filmtitel mit einem Hashtag zu versehen.

Neue Kritiken

Kommentare zu „Klaustrophobie in den Nebensektionen - Berlinale 2023“

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.