Kindergeburtstagsfete fürs Bahnhofskinopublikum: Karacho 2023

Das allherbstliche Nürnberger Festival des Actionfilms ging dieses Jahr bereits in die achte Runde. Ein Wochenende voller Pimmelvergleiche und Marmeladengläser, obszöner Schlünde und Elektro-Aale.


Ihr größter Coup
(Diggstown, Michael Ritchie, USA 1992)

Der Titel des Films ist Programm. Diggstown ist fest in der Hand des Patriarchen John Gillon (Bruce Dern), bis der gerade aus dem Knast entlassene Gabriel (James Woods) die Karten im Südstaatennest neu mischt. Gabriel geht mit John eine Boxwette ein, reaktiviert dafür seinen Brother-in-Crime „Honey“ Roy Palmer (Louis Gossett Jr.). Der riskante Plan: Das in die Jahre gekommene Schwergewicht soll gleich 10 Diggstown-Männer hintereinander auf die Bretter schicken, dann hätte man ausgesorgt. Nach allem, was ich bislang von dem Regisseur gesehen habe, scheint das ein typischer Michael-Ritchie-Film zu sein: völlig von seinen Charakterdarsteller:innen beherrscht, energetisch, schwitzig, vulgär und mit Sarkasmus auf das uramerikanische Glücksversprechen des schnellen Geldes blickend (so z. B. auch in der Misswahl-Komödie Smile, 1975).

Die übergeschnappte Männlichkeit des Ganzen ist vor allem auch eine der expressiven Visagen, von Bruce Derns herabwürdigendem Grinsen und James Woods eleganter, jede Körperregung bestimmender Arroganz. Es ist, als ob die rivalisierenden Boxmanager selbst in den Ring steigen, einen Pimmelvergleich der Selfmademen starten. Diggstown ist mehr die lose Montage dieses Hahnenkampfs als ein kohärenter Film. Und er hat sichtlich kein Interesse daran, etwas vom Zeitgeist der frühen 1990er hineinzubringen, wirkt vielmehr so, als wäre er bereits in den 1970ern gedreht und später aufgetaut. Manchmal muss man auch an Robert Altmans Showbizsatire Nashville (1975) denken, bei Ritchie bleibt aber alles eine Nummer kleiner, die Form spielt hier weniger eine Rolle. Die Bilder gehören ganz den Figuren, nichts lenkt von ihnen ab. Es ist auch kein Actionfilm im strengen Sinne, aber Körperkino. Dabei hat Diggstown sicher einen der schrägsten Boxkämpfe der Filmgeschichte zu bieten: Der vierte Typ, den „Honey“ umhauen muss, hat heftige Blähungen, furzt sich im Ring bei jedem Körperkontakt was zusammen, bevor er k.o. geht.

Tilman Schumacher

Cleopatra Wong (Bobby A. Suarez, PH 1978)

In der zweiten Hälfte des philippinischen Low-Budget-Martial-Arts-Actioners zieht die Eskalationsschraube und damit der bis dahin moderate Body Count deutlich an: Was am Anfang noch als tiefenentspanntes, von Manila nach Singapur, Hongkong und wieder zurück auf die Philippinen hoppendes Agentenfilmchen samt kaum akrobatischem Rumgekloppe daherkommt, steigert sich zum Finale hin zu einem Exzess aus Maschinengewehrsalven und in Zeitlupe zu Boden gehenden Körpern. In den letzten zehn Minuten jagt der Sprengstoffspezialist des Teams, das die titelgebende Meisteragentin zusammentrommelte, um einen global agierenden Falschgeldring in einem Nonnenkloster zu infiltrieren, kurzerhand die gesamte Klosteranlage in die Luft. Da dem Film aber sichtlich das Budget fehlt, tatsächlich ein Gebäude, oder zumindest eine halbwegs authentische Kulisse, wegzubomben, sehen wir schlicht die Reaction Shots des Squad, wie es zu eher lächerlichen Explosionssounds herumgestikuliert, auf ein Spektakel außerhalb des Bildes verweist, das de facto nicht stattfindet.

Nur noch die Behauptung von Actionkino – und somit so etwas wie das eine Ende des Spektrums, das das diesjährige Karacho einem bot. Am anderen Ende waren Filme wie der pulpige Bond-Film Licence to Kill (John Glen, GB 1989) oder das Bruce-Willis-Vehikel Tödliche Nähe (Striking Distance, Rowdy Herrington, US 1993) angesiedelt, bei denen es stets auch darum geht, dass da etwas tatsächlich imposant vor der Kamera zerbirst, eben Produktionsmittel großzügig verpulvert werden. Cleopatra Wong ist demgegenüber bloßer Blockbusterwille, eine Kindergeburtstagsfete fürs internationale Bahnhofskinopublikum. Das ist mal knuffig, etwa wenn speckige Ringer beim Kampf mit Cleopatra bei der kleinsten Berührung wie Kegel umkippen. Oft auch bizarr, nämlich immer dann, wenn als Nonnen getarnte Gangster mit schlecht sitzenden Gewändern und hervorlugenden M16 durchs Bild stiefeln, auch mal Erdbeermarmelade mit den Füßen stampfen, da das Syndikat Marmeladengläser als das geniale Versteck auserkoren hat, Falschgeld über die Grenze zu schmuggeln. Und doch: Trotz des Schwachsinns wirkt der Film nie „hingestellt“; die Scopebilder sind selten normalansichtig, stattdessen viele steile Kameraperspektiven, auch flüssige Trackingshots von Motorradverfolgungsjagden – die Dynamik, die weder Budget noch Figuren zustande bringen, versucht hier zumindest die Form einzulösen.

Tilman Schumacher

Die Wölfin (La louve solitaire, Edouard Logereau, FR/IT 1968)

Kein Film, der einen anspringt, eher einer, der einen sanft umschleicht und so lange aus der Ferne bezirzt, bis man ihm komplett verfallen ist, ohne so recht sagen zu können, weshalb. Wobei, vielleicht weiß ich es doch: siehe unten. Irgendwo zwischen Eurospy-Routine und erotischem Feuillade-Surrealismus erzählt La louve solitaire jedenfalls von einer Meisterdiebin (Danièle Gaubert), die in Irma-Vep-Manier im schwarzen Ganzkörperkostüm über Dächer schleicht und Juwelen stibitzt. Allerdings leider nicht auf eigene Rechnung, sondern weil sie von gleich mehreren finsteren Typen, die auch nicht mit handfestem Sechzigerjahresexismus geizen, erpresst wird. In den einzigen okayen Kerl des Films verliebt sie sich denn auch gleich: Bruno (Michel Duchaussoy) ist taub, kann aber dafür lippenlesen. Was zur schönsten Szene des Films führt: Die beiden sitzen im Flugzeug, mehrere Sitzreihen auseinander, aus Plotgründen müssen sie sich miteinander verständigen, ohne dass die Umsitzenden es bemerken. Er streift seine Armbanduhr ab und nutzt deren goldverspiegelte Rückseite, um sie in den Blick zu nehmen. Nicht die ganze Frau allerdings, sondern bloß ihren Mund, der plötzlich, völlig überraschend, die ganze Leinwand einnimmt. Ein rot geschminkter, riesenhafter Schlund auf güldenem Grund, obszön und glamourös. Spätestens ab dieser Einstellung weiß ich, dass ich diesem Film überallhin folgen werde.

Lukas Foerster

James Bond 007 – Lizenz zum Töten (Licence to Kill, John Glen, GB 1989)

Bondfilme waren für mich, wie für wohl fast alle in meiner Generation, zuerst Fernsehfilme. Fernsehnachmittagsfilme genauer gesagt, Filme, die ich bei Nachbarn oder meiner Oma (zu Hause hatten wir lange kein Gerät) gesehen habe. Zumeist nicht allzu konzentriert, wenn ich mich richtig erinnere, und umso mehr erstaunt deshalb, wie viele Bilder von damals hängen geblieben sind. Nicht von allen Bonds gleich viele allerdings, und ausgerechnet von Licence to Kill fast gar keine. Nur an den elektrischen Aal und einen Unterwasserkampf konnte ich mich erinnern, selbst die vielen rabiaten Kill-Szenen, die mich damals bestimmt beeindruckt hatten (nicht nachhaltig, wie es ausschaut), hatte ich vergessen. Vielleicht liegt das daran, dass Licence to Kill in vielem so un-bondig ist – ein Koloss von einem Film, der sich vom überdrehten Tonfall der Roger-Moore-Jahre ziemlich vollständig gelöst hat, sich aber auch noch nicht selbst ausbremst mit der moralischen Schwere der Craig-Ära. Wenn doch einmal Q und Moneypenny hereinschneien in diesen ansonsten wuchtig geradlinig durcherzählten Bewegungskinobogen, fühlt man sich fast ein bisschen im falschen Film. „Bond“ – das ist hier einfach nur Signum eines technisch hochgerüsteten, weitgehend amoralischen Actionspektakels, das vielleicht nicht zufällig im selben Jahr ins Kino kommt, in dem der Zusammenbruch des Sowjetimperiums seinen Anfang nimmt. James Bond hat gesiegt – und hätte vielleicht gut daran getan, nach diesem Film, einem seiner besten, den Hut zu nehmen.

Lukas Foerster

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