Kein CGI in Südbaden – Shivers

Ein Genrefestival abseits der Metropolen: Seit 10 Jahren bringt das Konstanzer Shivers das fantastische Kino an den Bodensee. Die Jubiläumsausgabe erweist sich als äußerst entdeckungsfreudig. Geister, die in Staubsauger fahren stehen ebenso auf dem Programm wie zweiköpfige Trolle und PigMan-Wesen.

Das Shivers Film Festival in Konstanz feiert 2025 sein zehnjähriges Bestehen und beweist, dass Größe nicht alles ist. Vom 30. Oktober bis 2. November verwandelt sich das Zebra Kino erneut in einen beliebten Anlaufpunkt für Genrefilm-Enthusiasten am Bodensee – mit einem Programm, das internationale Festivalhits, verstörende Animationsfilme und queere Geistergeschichten vereint.

Was 2010 als monatliche Filmreihe „Moonlight Madness“ begann, entwickelte sich 2015 zum ersten Genre-Filmfestival der Bodenseeregion. Der Zeitpunkt war ideal: Die deutsche Genrefilm-Szene erlebte einen Aufwärtstrend, und das von Studierenden und Filmbegeisterten ehrenamtlich betriebene Zebra Kino bot die perfekte Heimat für ein Festival, das sich bewusst gegen das Mainstream-Kino positionierte.

Während andere Festivals auf Masse setzen, konzentriert sich das Festival auf sorgfältig ausgewählte Perlen des internationalen Genrekinos. Aus rund 60 gesichteten Filmen werden nur 8 bis 13 für das dreitägige Programm ausgewählt. Die Identität des Festivals ist klar definiert: Shivers versteht sich als Plattform für „fantastischen Film“ im weitesten Sinne – von klassischem Horror über Science-Fiction und Fantasy bis zu Thriller, Mystery und schwarzer Komödie. Doch die Grenzen bleiben bewusst durchlässig.

Genuine Angst vor Konformität

Den Auftakt macht Yorgos Lanthimos mit Bugonia, der neuesten Zusammenarbeit des Regisseurs mit Emma Stone. Nach dem Erfolg von Poor Things wagen sich die beiden an ein Remake des koreanischen Kultfilms Save the Green Planet! – eine Geschichte über Verschwörungstheoretiker, die eine Pharma-CEO entführen und dabei in immer absurdere Abgründe stürzen. Dass Lanthimos‘ surreale Vision den Eröffnungsabend bestimmt, setzt ein klares Zeichen: Nicht nur die „kleinen“ Filme finden ihren Weg an den Bodensee.

Besonders faszinierend ist die diesjährige Hinwendung zu Filmen, die bewusst auf praktische Effekte setzen. Vampire Zombies... From Space! aus Kanada zelebriert diese Ästhetik bis zum Exzess. Regisseur Mike Stasko hat einen Genre-Film geschaffen, der Ed Woods Trash-Ästhetik postmodern selbstironisch kommentiert. Wenn Dracula aus dem All eine amerikanische Kleinstadt mit Vampir-Zombies überzieht, während Lloyd Kaufman von Troma einen Cameo-Auftritt hat, dann ist das keine Nostalgie, sondern eine Liebeserklärung an die anarchische Energie des B-Movie-Kinos. Der Film nutzt bewusst anachronistische Elemente und verzichtet komplett auf CGI – stattdessen arbeitet er mit Miniaturmodellen und sichtbaren Fäden als ästhetisches Statement. Die Besetzung mit Genrefilm-Ikonen wie Judith O‘Dea verleiht dem Film eine generationenübergreifende Legitimation, während unter dem Chaos eine genuine Angst vor Konformität und Massenhysterie mitschwingt.

Steven Kostanski, der sich bereits mit „Psycho Goreman“ als Meister des praktischen Effekts etabliert hat, legt mit Deathstalker nach. Sein Remake des Sword-and-Sorcery-Klassikers von 1983 verwandelt das Original in ein Monsterspektakel, das Ray Harryhausen und Jim Henson gleichermaßen ehrt. Mit Daniel Bernhardt in der Titelrolle und Slash von Guns N‘ Roses als Executive Producer entsteht ein Film, der seine Camp-Sensibilität mit handwerklicher Brillanz verbindet. Zweiköpfige Trolle, steinerne Roboter und ein PigMan-Wesen – alles ohne einen einzigen CGI-Effekt realisiert.

Nützlich selbst nach dem Tod

Das Festival beweist seine kuratorische Reife auch durch die geografische Bandbreite des Programms. A Useful Ghost aus Thailand erzählt von einer Frau, deren Seele nach ihrem Tod durch Luftverschmutzung in einem Staubsauger wiedergeboren wird. Regisseur Ratchapoom Boonbunchachoke verbindet thailändische Folklore mit antikapitalistischer Gesellschaftskritik und queeren Subtexten. Der Film gewann in Cannes den Grand Prix der Critics‘ Week und zeigt, wie Genrekino politische Dimensionen erschließen kann, ohne seine unterhaltsamen Qualitäten zu verlieren. Die absurde Prämisse wird zur beißenden Kapitalismuskritik: Selbst nach dem Tod muss sich die Protagonistin als „nützlich“ beweisen, um existieren zu dürfen. Der Film greift dabei auf buddhistische Konzepte zurück, verkehrt diese aber ins Groteske – statt spiritueller Erlösung wartet nur eine neue Form der Ausbeutung.

Aus Lettland kommt mit Dog of God ein Rotoskopie-Animationsfilm der Brüder Ābele, der einen historischen Hexenprozess aus dem 17. Jahrhundert neu interpretiert. Die Geschichte des selbsternannten Werwolfs Thiess, der behauptet, gegen Hexen zu kämpfen, wird zu einer visuell berauschenden Meditation über Glauben und Aberglauben. Die aufwendige Animationstechnik verleiht dem düsteren Material eine fast halluzinatorische Qualität. Basierend auf den realen Prozessakten des Thiess von Kaltenbrun aus dem Jahr 1692, verwandelt die Rotoskopie-Technik historische Dokumente in einen visuellen Fiebertraum. Die Figuren wirken gleichzeitig real und unwirklich, während der Film die Frage nach Wahrheit und Glauben stellt, ohne eine eindeutige Antwort zu liefern.

Revolutionäre Hauttransplantationen

Die britische Mockumentary Time Travel is Dangerous! von Chris Reading hat einen völlig anderen Ansatz. Zwei Vintage-Laden-Besitzerinnen spielen sich selbst und stolpern über eine Zeitmaschine in Form eines umgebauten Autoscooters. Die dokumentarische Authentizität wird systematisch untergraben, je absurder die Zeitreise-Eskapaden ausfallen. Die Dimension „The Unreason“ mit ihren endlosen Brettspielen, in die die beiden geraten, funktioniert als Metapher für die britische Tendenz, sich in Regeln und Traditionen zu verlieren. Stephen Frys Erzählerstimme verleiht dem Ganzen eine trügerische Autorität, während unter aller Komik eine genuine Melancholie mitschwingt – die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es so nie gab.

Lucile Hadžihalilović, die bereits mit „Evolution“ verstörende Körperbilder schuf, präsentiert mit Herz aus Eis eine freie Adaption von Hans Christian Andersens Märchen. Marion Cotillard spielt in diesem deutsch-französischen Drama, das bei der Berlinale einen Silbernen Bären gewann, die Schneekönigin. Die Geschichte eines Waisenmädchens, das in den 1970ern in einem Filmstudio Zuflucht findet, verbindet Märchenmotive mit filmischer Selbstreflexion.

Aus Neuseeland erreicht uns Grafted von Sasha Rainbow, ein Body-Horror-Film, der sich an einer feministischen Relektüre des Genres versucht, wie zuvor auch schon The Substance oder The Ugly Stepsister. Die chinesische Austauschstudentin Wei experimentiert mit revolutionären Hauttransplantationen, um ihr Gesichtsmal zu entfernen – und verliert dabei buchstäblich ihre Haut. Der Film nutzt seine Prämisse für eine brutale Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen und kultureller Identität.

Cronenberg und die DNA des Festivals

Die zehn Filme der Jubiläumsausgabe zeichnen zusammen ein faszinierendes Panorama gegenwärtiger Obsessionen und Ängste. Während Vampire Zombies... From Space! und Deathstalker die Vergangenheit des Genrekinos mit liebevoller Ironie wiederbeleben, erkunden A Useful Ghost und Dog of God spirituelle Dimensionen zwischen Folklore und Moderne. Die geografische Vielfalt – von thailändischen Geistergeschichten über lettische Werwolf-Prozesse bis zu britischen Zeitreise-Katastrophen – zeigt, dass die fundamentalen Themen des Genrekinos universal sind: die Angst vor dem Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper in Grafted, die Furcht vor familiärer Gewalt in Don‘t Leave the Kids Alone, oder die existenzielle Panik vor dem Verschwinden der eigenen Identität in Herz aus Eis. Lanthimos‘ Bugonia rahmt dieses Spektrum mit seiner Mischung aus absurdem Humor und eiskalter Gesellschaftskritik ein.

Den konzeptionellen Höhepunkt bildet die Vorführung von David Cronenbergs Shivers aus dem Jahr 1975. Der Film, der dem Festival seinen Namen gab, feiert nicht nur sein 50-jähriges Jubiläum, sondern markiert auch die Geburtsstunde des Body-Horror-Genres. Cronenbergs Vision eines parasitären Organismus, der sexuelle Raserei in einem Apartmentkomplex entfesselt, war seiner Zeit so weit voraus, dass er heute aktueller wirkt denn je.

Diese Wiederaufführung ist mehr als Nostalgie – sie zeigt die Kontinuität zwischen Cronenbergs radikaler Vision und den zeitgenössischen Arbeiten des Festivals. Wenn Grafted Körpertransformationen erforscht oder A Useful Ghost die Grenzen zwischen Leben und Tod verwischt, dann stehen diese Filme in direkter Tradition zu Cronenbergs bahnbrechendem Werk.

Hier geht's zur Website des Festivals. 

Neue Kritiken

Kommentare zu „Kein CGI in Südbaden – Shivers“

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.