Kampfschauplatz: Eigenes Leben – Die Filme von Dorothy Arzner

Als eine der wenigen Hollywood-Filmemacherinnen der Nachkriegszeit war Dorothy Arzner eine Studio-Regisseurin im besten Sinne. Ihr Werk zeigt, dass ein Label wie „Frauenfilm“ vor allem auf einem Missverständnis darüber basiert, was künstlerisch bedeutend ist. Auftakt zu einer Hommage.

Joan Crawford spielt in Die Braut trug Rot (The Bride Wore Red, 1937) das nur vermeintlich abgeklärte Barmädchen Anni, das für eine Weile so tun darf, als wäre es aus gutem Haus. Auslöser für diese Verwandlung ist die Wette eines zynischen Barons, die belegen soll, dass nur eines die Reichen von den Armen unterscheidet: das Glück, in die richtigen Verhältnisse geboren zu sein. Dass es Anni zunächst tatsächlich gelingt, die Gäste in einem alpinen Luxushotel zu blenden, erweist sich jedoch noch nicht als Bestätigung dieser Theorie. Stattdessen wird ein rotes, ordinär nach Aufmerksamkeit schreiendes Paillettenkleid zum Symbol dafür, dass sich weder ein tiefes persönliches Begehren noch klassenspezifischer Geschmack so einfach ausmerzen lassen.

Ich oder eine andere?

So wie in Die Braut trug Rot geht es auch in vielen anderen Filmen von Hollywood-Regisseurin Dorothy Arzner um Frauen, die mit zwei Versionen ihrer selbst ringen; sei es nun, dass sie etwas sein sollen oder wollen, was sie nicht sind, oder etwas nicht sein dürfen, was sie eigentlich sein müssten. Auch Annis Entwicklung ist vor allem eine schmerzhafte Suche nach sich selbst. Sie besitzt zwar eine ihrer Herkunft geschuldete, naive Begeisterungsfähigkeit fürs Rustikale – in erster Linie für den vor Bescheidenheit und Arbeiterstolz strotzenden Postboten Giulio –, unterdrückt diese aber immer wieder mit ihrem Drang, einer verzerrten Vorstellung von Reichtum und Glück gerecht zu werden. Anni wird zur tragischen Figur, weil sie sich selbst nicht akzeptieren kann, zugleich aber auch daran scheitert, jemand anderes zu sein.

Auch in vielen anderen von Arzners zwischen 1927 und 1943 entstandenen Filmen treffen wir auf Figuren, die zwischen persönlichen Ansprüchen, gesellschaftlichen Erwartungen und der Unberechenbarkeit des Schicksals ihre wahre Identität entweder erst finden oder aber sie mit allen Mitteln verteidigen müssen. In der schlüpfrigen Pre-Code-Komödie The Wild Party (1929) stellt It-Girl Clara Bow als Anführerin einer Gruppe ungezogener, sich hemmungslos dem Hedonismus verschreibender Studentinnen plötzlich ihr Lotterleben infrage. Nachdem sie sich in ihren spießigen Lehrer verliebt, der ihr das Partygirl ordentlich austreiben will, nimmt sie sich vor, endlich anständig zu werden. Doch auch hier stellt Arzner klar, dass das wahre Ich keinem äußeren Zwang, sondern einer inneren Sehnsucht entspringen muss. Dementsprechend endet der Film nicht mit einer Anbiederung an bürgerliche Erwartungen, sondern einem feierlichen Abgesang auf Anstand und Moral.

Endlich anschaffen

Auch wenn Arzner, anders als oft behauptet, nicht die einzige Regisseurin war, die in den 1930er Jahren innerhalb der US-Filmindustrie gearbeitet hat, wurde ihre Karriere von der Öffentlichkeit als Kuriosum gesehen – oder wie es Katherine Hepburn einmal ausdrückte: „Isn’t it wonderful that you’ve had such a great career, when you had no right to have a career at all?“ Erstaunlich ist, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ihr Werdegang trotzdem verlief. Als sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein Filmset besuchte, wusste sie sofort, dass sie Regisseurin werden wollte; ganz einfach, weil sie dann diejenige wäre, die beim Dreh das Sagen hat. Was folgte, war eine Laufbahn, die amerikanischer nicht sein könnte und Arzner von ihrer Anstellung als Stenotypistin über Schnitt- und Drehbuchjobs bis auf den Regiesessel brachte.

Ihre Möglichkeiten innerhalb des Studiosystems waren dabei recht vielfältig: Sie verfilmte literarische Vorlagen von Franz Molnar und Émile Zola ebenso wie zeitgenössische Broadwaystücke. Sie drehte Musicals, anzügliche Komödien, bittere Melodramen und mit First Comes Courage (1943) sogar einen Kriegsfilm über die deutsche Besatzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg – der sich bezeichnenderweise aber nicht für die Geschehnisse an der Front, sondern eher für die Spannungen im Wohnzimmer interessiert.

Die Nische „Frauenfilm“

Arzner war eine Studioregisseurin im besten Sinne: Flexibel und wandelbar, weniger einer offensiv nach außen getragenen Handschrift verpflichtet als darauf konzentriert, einen Stoff für die Leinwand zu optimieren. In ihrem Fall brachte das häufig eine gesellschaftlich progressive Stoßrichtung und ein feines Gespür für klassen- und milieuspezifische Unterschiede mit sich. Bei fast jeder von Arzners Regiearbeiten handelt es sich um das, was man, meist nicht besonders wohlmeinend, als Frauenfilm bezeichnet, einen Film über Frauen, der sich vornehmlich an ein weibliches Publikum richtet und von der überwältigenden Macht des Gefühls erzählt. Es war wohl kaum Zufall, dass Arzner – zunächst fest bei Paramount, später dann frei für andere große Studios wie RKO, Columbia und MGM – ausgerechnet mit solchen Stoffen konfrontiert wurde. Aber so bewegte sie sich auch in einer Nische, die ihr nicht nur einen gewissen Entfaltungsspielraum ermöglichte, sondern auch die Chance bot, einen Stab an Drehbuchautorinnen wie Zoe Akins, Hope Loring und Tess Slesinger oder auch Cutterinnen wie Verna Willis, Adrienne Fazan und Viola Lawrence um sich zu versammeln.

Arzners Regiearbeiten sind mal mehr, mal weniger, aber doch fast immer auf irgendeine Weise Liebesfilme: weil die Liebe für ihre eigentlich zu allem entschlossenen Heldinnen entweder der Antriebsmotor ist oder sich als Herausforderung erweist, die plötzlich alles infrage stellt. Der Handlungsspielraum der Protagonistinnen bleibt, der damaligen sozialen Realität entsprechend, meist das Häusliche. Doch wie sie hier agieren, könnte unterschiedlicher kaum sein. Mal so kokett wie die Heldin in der volkstümlichen Stummfilmkomödie Get Your Man (1927), die mit vollem Einsatz ihrer Reize und Schauspielkünste eine Zwangsehe sabotiert. Oder so kalt und kontrollsüchtig wie die Protagonistin in Craig’s Wife (1936), die mit eiserner Faust ihren bürgerlichen Wohlstand verteidigt – was der Film nicht nur dem bis zur Unmenschlichkeit gesteigerten Ehrgeiz seiner Hauptfigur zuschreibt, sondern auch einer Welt, die solche Ambitionen durch fragwürdige Werte überhaupt erst provoziert.

Von wegen trivial

Dass Arzners Filme gefühlsbetonter und auch trivialer – im Sinne von stärker im Alltäglichen verankert – sind, heißt entgegen manchen, teils bis heute kultivierten Vorurteilen keineswegs, dass sie deshalb weniger Relevanz hätten. Eher bekommt man den Eindruck, dass mit abwertenden Begriffen wie Schnulze oder weepie gezielt versucht wurde, Großes kleinzureden. Denn hinter der vermeintlichen Gefühlsduselei geht es doch meist um alles: darum, seinen Platz in der Welt zu finden, um die schmerzhafte Erkenntnis, sich von seinen Träumen verabschieden zu müssen, die Notwendigkeit, sich von den Bevormundungen anderer zu lösen oder abweichende Lebensentwürfe gegen ein feindliches Umfeld zu verteidigen.

Wie sehr es selbst in den intimsten Momenten darum geht, auch den eigenen Blick auf die Welt und den Glauben an Utopien zu wahren, zeigt etwa die alles erduldende Hauptfigur in Merrily We Go to Hell (1932). Um ihren Mann – einen erfolglosen Autor, Alkoholiker und notorischen Schwerenöter – zu halten, lässt sie sich widerwillig auf eine offene Beziehung ein. Selbst als er dann einmal im Türrahmen steht, um der Versuchung ein weiteres Mal nachzugeben und seine Frau regelrecht darum bittet, ihm das Fremdgehen zu verbieten, weigert sie sich noch standhaft. Und in diesem angespannten Augenblick merkt man schließlich, dass es hier nicht etwa um Trotz geht, sondern darum, seiner Vorstellung von persönlicher Freiheit treu zu bleiben – auch wenn es einem dabei das Herz rausreißt.

Die Schönheit des Vulgären

Wie unsinnig die Trennung zwischen einer angeblich bedeutsamen und einer rein populären Kultur ohnehin ist, das führt Arzner in einem ihrer besten und vielschichtigsten Filme selbst vor. In Dance, Girl, Dance (1940) wirkt die verkappte Ballerina Judy (Maureen O’Hara) inmitten einer anrüchigen Nachtclubszene wie ein hässliches Entlein, das sich erst zwischen den Säulen der Hochkultur in einen Schwan verwandeln kann – und doch nimmt die Regisseurin das zu keinem Zeitpunkt zum Anlass, die eine Kunst gegen die andere auszuspielen. Vielmehr gibt sie der Schönheit beider Bühnenformen den ihnen gebührenden Raum, der Anmut und den galanten Bewegungen des Balletts ebenso wie dem Witz und Drive einer vulgären Burlesque-Show.

Mit Judys Ballettkünsten verhält es sich also ähnlich wie mit Annis rotem Paillettenkleid: Das Problem sind nicht die beiden Frauen selbst oder die Tatsache, dass sie etwas lieben, was bei ihren Mitmenschen für Irritation sorgt, das Problem ist vielmehr ein Umfeld, das mit ihrer Andersartigkeit nicht klarkommt. Leicht könnte man vermuten, dass es bei Arzner genauso gewesen sein muss. Es ist aber vielleicht eine der überraschendsten Facetten ihres Werdegangs, dass sie es nach Eigenauskunft trotz ihres Außenseiterstatus nie wirklich schwer hatte, ja dass ihr die Männer letztlich sogar mehr geholfen hätten als ihre Geschlechtsgenossinnen.

Zu den Filmen:

Craig's Wife (1936)

First Comes Courage (1943)

Nana (1934)

The Bride Wore Red (1937)

Christopher Strong (1933)

The Wild Party (1929)

Merrily We Go to Hell (1932)

Dance, Girl, Dance (1940)

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