„Ich streife umher“ – Werkschau Ruth Beckermann

Weggehen oder hierbleiben? Die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann zieht es oft in die Ferne, aber immer auch wieder zurück ins eigene Land – wo Heimat mittlerweile nicht mehr Sissi meint, sondern zwielichtiges politisches Schlagwort geworden ist. Das Berliner Arsenal widmet ihr bis Ende April eine Werkschau.

Die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann hat im Laufe von beinahe vierzig Jahren sehr kluge Filme gemacht. Wie und warum sie klug sind, lässt sich von heute aus gesehen noch treffender sagen, als das noch vor etwa zehn Jahren möglich gewesen ist. Ihr Interesse galt biografisch bedingt zunächst der Shoah, der jüdischen Identität und der damit verbundenen Erfahrung von Flucht und Entwurzelung. In ihrem Text „Erdbeeren in Czernowitz“ schrieb Beckermann: „Wie unter Zwang vergleichen wir, die Nachgeborenen, alles, was uns geschieht, mit den Erlebnissen der Elterngeneration.“ Die Wiederkehr dieses Themas lässt sich, ähnlich wie bei Chantal Akerman, durchaus auch als eine Folge des Schweigens der im Vergessen und im Neuanfangen bemühten Eltern verstehen.

Vergessen unter Bedingungen der Sichtbarkeit

Weggehen oder hierbleiben, diese Frage an die eigene Biografie und ans eigene Schaffen führte die Regisseurin schließlich auch in die rumänische Bukowina (Die papierene Brücke, 1987), ins Landesinnere der USA (American Passages, 2011) oder – während Österreichs politische Wirklichkeit zunehmend in den thematischen Vordergrund rückte – in die eigene Nachbarschaft (Homemad(e), 2001). Sie versuchte, sich die Geschichte vom Rand einer israelischen Verkehrsstraße her zu erschließen oder immer wieder auch aus dem Inneren der Wiener Kaffeehäuser. Hier in Wien, dieser „Stadt der Passagen und des Transits zwischen Ost- und Westeuropa, Dominostein auf den Spielfedern des Kalten Krieges“ (Gertrud Koch), beginnt die Regisseurin ihre Reisen.

Die Passage ist in den Filmen von Ruth Beckermann eine Erzählfigur und ein Arbeitsprinzip, das eher das Benjamin’sche Flanieren als ein Hinübergleiten meint. Passieren heißt hier jedoch vor allem, durch die Geschichte hindurchzugehen, nicht an ihr vorbei, und in diesem Sinne findet man sich schnell vor einer Aufgabe ohne Ende. Im Mittelpunkt von Beckermanns Arbeit steht das Vergessen unter den Bedingungen der allgemeinen Sichtbarkeit und der zunehmenden Zugänglichkeit der Evidenzen, und zugleich das antisemitische und im weitesten Sinne fremdenfeindliche Déjà-vu in der Zeit der selbstlernenden Algorithmen. Das Prinzip der Passage ist gerade deshalb signifikant, weil es bei vielen ein Verlangen gibt, gerade nicht zu passieren und lieber von vornherein auf der anderen Seite – des Diskurses, der ehemaligen Kriegslager – zu sein, ein Verlangen, nicht hinzuschauen und so zu tun, als wäre nichts geschehen.

Niemals sentimental

In ihrem neuesten Film, dem mit dem Dokumentarfilmpreis der Berlinale ausgezeichneten Waldheims Walzer, stellt sich Beckermanns Passagenkino in die „Gedächtnislücke“, die 1986 in Gestalt von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt wurde. In Jenseits des Krieges (1996) erfasst ihre Kamera geduldig die Besucher der in Wien gastierenden Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ bei massiven Verdrängungsleistungen. Dabei dokumentiert Beckermann konsequent und nüchtern das Ausreden und Ausweichen, die kleinen und die großen rhetorischen Ein- und Ausfädelmanöver, die schauderhaft hohlen Phrasen. In ihren Filmen und publizistischen Arbeiten (zusammen mit Christa Blümlinger hat sie etwa Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos herausgegeben) kehren die Sissi-Filme häufig als eine Referenz ex negativo wieder. Der Heimatbegriff – in der Ablenkungs- und Zerstreuungsstrategie des deutschen und österreichischen Kommerzfilms eine verklärte Pathosformel – entwickelt sich heute immer mehr zum zwielichtigen politischen Schlagwort.

„Ich streife umher, filme dies und das, die einen und die anderen.“ Ruth Beckermann stellt verschiedene Meinungen häufig nebeneinander, die von ihr gewählte filmische Form des Fragments zeichnet sich durch abrupte Wechsel und hin und wieder, wie in Those Who Go Those Who Stay (2013), auch durch eine zufällig anmutende Auswahl der Episoden aus. Dann treten die unterschiedlichen, meist unbestimmt voneinander entfernten Punkte in einen Zusammenhang, beginnen sich zueinander zu verhalten, ergeben ein gemeinsames Bild. Ihre Filme sind mondän, raffiniert und minimalistisch in ihrer Form, in den typischen Reisebildern lässt sie sich von den Gesichtern, den Namen der Orte und dem Klang der Sprachen anziehen. Eine sentimentale Reisende – das ist sie aber keinesfalls.

Die Werkschau Ruth Beckermann ist bis zum 29. April im Berliner Kino Arsenal zu sehen. Zu den Vorführungen am 19., 20. und 21. April wird die Regisseurin anwesend sein.

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Kommentare zu „„Ich streife umher“ – Werkschau Ruth Beckermann“


Leander

Das Mädchen auf dem Thumbnail zu diesem Artikel - mit den Rasta Locken - hat Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf dem Gemälde von Vermeer - Das Mädchen mit den Perlenohrring


Leander

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