Human Flowers of Flesh – Im Locarno-Fieber
Der Fremdenlegionär ist zurück in einer alternativen Wirklichkeit, einer, die glücklich macht. Helena Wittmanns zweiter Spielfilm Human Flowers of Flesh schaut hin, dokumentiert und erfindet sich seine Welt, konkret und queer.

Es steht schon im Vorspann, aber ich vergesse es wieder schnell, dass später einmal Denis Lavant einen Auftritt haben wird in diesem Film, der sich für Fremdenlegionen neben vielem anderen interessiert. Und tatsächlich könnte die Rolle von Lavant in diesem Film eine Fortsetzung seiner Figur aus Beau Travail (dt. Der Fremdenlegionär, 1999) von Claire Denis sein, eine Art von Fan-Fiction. Aber es ist nur ein kurzes Kapitel in einem an Abzweigungen reichen Film, der in Marseille beginnt, über Korsika führt und in Algerien Halt macht.
Im Mittelpunkt steht eine Frau mit Schiff, Ida (Angeliki Papoulia). Fünf Männer arbeiten, leben, träumen mit ihr auf diesem Schiff. Sie hissen die Segel, und vor allem trocknen und archivieren sie Pflanzen. Den Handlungen, die sehr konkret sind, aber in keine ausbuchstabierten psychologischen Storylines eingebettet, ist mit Worten nicht so einfach beizukommen, weil Human Flowers of Flesh ein Film des Ausschnitts ist, der die Gegenwart gleichzeitig dokumentiert und erfindet, was kein Widerspruch ist.

Helena Wittmann ist ein Multitalent, wie viele Künstler*innen ist sie nicht nur arbeitsteilig an ihrem Werk beteiligt, sondern prägt es vom Buch über die Regie und die Bildgestaltung bis zur Montage. Das Ergebnis ist eine Einheit in der ästhetischen Komposition, zu der natürlich auch eine Reihe an Verbündeten beiträgt, mit denen sie schon lange zusammenarbeitet. Aus ihr spricht eine ethische Haltung, die etablierte Codes durcheinanderwirbelt und ihnen einen eigenen Spin gibt. Sie weiß etwa von der homoerotischen Dimension militärischer Männergruppen, evoziert sie aber nicht in Blicken und verpassten Chancen, sondern in der spielerischen Ästhetisierung von Kostüm, Körperteilen und ihren Bewegungen. Die Erotik in Human Flowers of Flesh ist eine ganz und gar liebevolle, ja unschuldige und ungefährliche. Sie Erotik zu nennen, ist beinahe schon zu viel der Zurichtung. Es geht um Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit, Neugierde, vielleicht auch Achtsamkeit: Es ist ganz zentral für dieses Kino, immer an dem interessiert zu sein, was vor der Kamera passiert. Wittmann arbeitet mit analogem Filmmaterial, was auch hier ein Zeichen dafür ist, dass die Lebendigkeit und Einzigartigkeit physischer Prozesse eingefangen werden soll – das als Situation, im Spiel, in der Begegnung Nichtreproduzierbare wird durch den Film vervielfältigbar und wiederaufführbar. Dazu gehört eine gewisse Bescheidenheit oder besser: Zurückhaltung. Denn während die Bezüge reichhaltig, gewaltig, monumental sind und die Landschaften zum Panoramabild einladen, verweigert Wittmann den Überblick, narrativ, aber vor allem bildlich. Situationen, Räume und Beziehungen werden aus nächster Nähe entfaltet, auf eine Weise, die gleichzeitig verschmitzt und aufrichtig ist, interessiert daran, eine Welt zu erschaffen, die nur aus dem besteht, was es gibt, die es gleichzeitig als Welt aber nicht gibt.

Die Spannung, die just daraus entsteht, keinen Überblick zu bekommen, sich von einem Ausschnitt zum nächsten zu hangeln, ist eine sehr produktive, die den Motor der eigenen, ganz persönlichen Projektionen und Obsessionen heißlaufen lässt. Die menschlichen Beziehungen, die Referenzen und ihre Geschichten werden nicht entschlüsselt durch den Film, sondern herauspräpariert für die eigene Formgebung und Wahrheitsbildung. Die Faszination der Regisseurin für die Reise, die Fremdenlegion, das Meer, das Schiff und die Pflanzen überträgt sich durch den Fokus auf das Gegenständliche, auf die Geräusche, die Gesänge und den Möglichkeitsraum, der umso größer wird, desto weniger ihn der Film selbst erschließt. Human Flowers of Flesh zelebriert die Kunst des Paradoxes, ohne dabei als Film intellektuell oder gar konzeptuell daherzukommen, primär ist er ganz schlicht ein sinnliches Vergnügen.
Das Queere daran ist die Herauslösung des Beziehungsnetzwerkes aus einem heteronormativen Dickicht, in dem gar nicht mal alle Beziehungen hetero sein müssen, aber alle sich daran messen lassen, ob sie davon abweichen oder nicht. Hier gibt es eine solche Automatik nicht, aber auch keine Differenz, weil die Aufmerksamkeit, die die Regisseurin für ihr Gegenüber hat (seien es Menschen, Pflanzen, Seile oder andere Gegenstände), sie nicht drängt in einen Bedeutungszusammenhang, sondern daran arbeitet, ihnen alle Freiheit zu geben, im Zweifel einfach vom Boot zu springen und ins offene Meer hinauszuschwimmen. Wenn das heißt, dass die Hauptfigur für eine Weile verschwindet, sei’s drum. Vielleicht ist der Begriff des Fetisches missverständlich, aber er spielt hier herein, weil Obsessionen mit Gegenständen und ihren Bedeutungen jenseits ihrer Benutzung eine große Rolle spielen. Human Flowers of Flesh ist ein Film des Fetisches, der es vermeidet, den Fetisch zu fetischisieren.
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