Hitzig vibrierende Motoren: Pionierinnen des Film Noir

Das Berliner Arsenal zeigt eine Reihe mit Film Noirs von fünf Regisseurinnen. Das Programm macht dabei weniger eine spezifisch weibliche Noir-Ästhetik sichtbar, als es das düster-komplexe Genrekino der 1940er und 1950er als genuin transnationales Phänomen erkennen lässt.

Die wohlhabende Hausfrau Sonja (Bjørg Riiser-Larsen) will ihr schickes Cabrio durchchecken lassen und fährt bei einer Werkstatt vor. Sofort fällt ihr gieriger Blick auf den jungen, hübschen Mechaniker Erik (Claus Wiese), der sich am Wagen zu schaffen macht. Visuell verdoppelt wird das Begehren durch den im Bildvordergrund hitzig vibrierenden Motorblock. Auch später dient in Death Is a Caress (1949), dem Debütfilm der norwegischen Regisseurin Edith Carlmar, das Cabrio als Sinnbild erotischer Versprechungen: Bei ihrem ersten Kuss sind die beiden Liebenden von einem glamourösen Glitzern umspielt; eine Schärfeverlagerung offenbart als dessen Ursprung abermals das blankpolierte Auto.

Internationale Strahlkraft des Film Noir

Carlmar ist eine von fünf Filmemacherinnen, der sich das schöne Programm „Pionierinnen des Film Noir“ widmet. Die zuerst in Frankfurt und nun im Berliner Arsenal gezeigte Schau umfasst 13 lange sowie drei kurze Arbeiten von insgesamt fünf Filmemacherinnen, die in den 1940er und 1950er Jahren aktiv waren. Neben Carlmar sind vertreten: die Dänin Bodil Ipsen, die US-Amerikanerin Ida Lupino sowie die beiden Britinnen Muriel Box und Wendy Toye. Zusammengestellt wurde die Reihe vom Filmkollektiv Frankfurt, das wie stets großen Wert darauf legt, alle Filme im historisch korrekten Vorführmedium, in diesem Fall als 35mm-Filmkopien, zu präsentieren.

Schon die Vielfalt bei den Herkunftsländern der Filmemacherinnen zeigt, dass sich Film Noir im Reihentitel nicht nur auf den recht engen Kanon des klaustrophobisch-derangierten Hollywoodkriminalfilms der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre bezieht, sondern vielmehr diverse Spielarten eines düsteren, psychologisch komplexen Genrekinos umfasst, das in dieser Epoche in der Tat weltweit reüssierte. Gerade Death Is a Caress ist ein gutes Beispiel für die internationale Strahlkraft der Noirness: Das Drehbuch basiert zwar auf einer literarischen Vorlage des norwegischen Schriftstellers Arne Moen. Die war jedoch offensichtlich stark von James M. Cains Hard-Boiled-Klassiker Wenn der Postmann zweimal klingelt (1934) beeinflusst, einem Roman, der seinerseits nicht nur in den USA, sondern auch in Frankreich, Italien und eben auch in Norwegen einschlägige Noir-Verfilmungen nach sich zog.

Freilich folgt Carlmars Film dem Cain-Schema nur eine Zeit lang: Zum Mord, den die frustrierte Hausfrau und ihr Working-Class-Lover in The Postman Always Rings Twice aushecken, kommt es in der norwegischen Variation nicht; die erotischen Energien werden anders kanalisiert, Death Is a Caress wandelt sich in der zweiten Hälfte vom Thriller zum Charakterdrama. Die Inszenierung bleibt dabei stets elegant, am Hollywood-Glamour der Zeit geschult, angereichert mit einem Gespür für gerade noch im Bereich des Geschmackvollen verbleibenden Anzüglichkeiten.

Kruder, aber auch deliranter, psychopathischer und damit gewissermaßen noiriger sind die Filme von Bodil Ipsen. Der wunderbar derangierte Murder Melody (1944) ist beispielsweise als eine Variation auf Fritz Langs M – eine Stadt sucht einen Mörder (1931) angelegt: Mehrere Frauen werden im schummrigen Halbweltviertel einer aller moralischen Sicherheiten beraubten Großstadt ermordet, und jedes Mal ertönt, kurz bevor das Blut fließt, ein Chanson, gesungen von einer Frauenstimme, deren Klang auf zahlreiche falsche Fährten führt. Je verrückter die Sache wird, desto einfallsreicher die Regie. Außerdem wird, wie in vielen Filmen der Reihe, andauernd gesoffen.

Am Rande der Industrie

Das Programm ist derart vielseitig, dass die naheliegende Versuchung, aus den Filmen der fünf Regisseurinnen eine „weibliche Noir-Ästhetik“ zu destillieren, ins Leere läuft. Das funktioniert schon bei den einzelnen Werken nicht. So kann man zwar Ida Lupinos beklemmendes Meisterwerk Outrage (1950), in dem eine junge Frau nach einer Vergewaltigung zutiefst verunsichert versucht, ein neues Leben zu beginnen, durchaus als eine Art ernüchternden Gegenschuss zu all den im Vergleich meist schrecklich melodramatisch anmutenden Männertrauma-Geschichten auffassen, die das Genre ansonsten dominieren; aber dieselbe Regisseurin hat eben auch The Hitch-Hiker (1953) gedreht, einen reinen Männer-im-Auto-Film und einen der ultimativen Noirs über fragile Maskulinität.

Anders als Ipsen und Calmar, die zumindest während der Hochphase ihrer Karrieren Anerkennung in ihren Heimatländern fanden, drehte Lupino kleinformatige Genrefilme am Rande der Industrie und fand gerade in den Beschränkungen des B-Movies zu ihrem eigenen Stil. Ähnliches gilt für die Britinnen Muriel Box und Wendy Toye. Letztere ist, da keine brauchbaren Kopien ihrer Langfilme verfügbar sind, nur mit drei kurzen Arbeiten vertreten, darunter die zauberhaft abgründige Groteske Stranger Left No Card (1952). Von Box ist unter anderem Subway in the Sky (1959) zu sehen, ein Thriller-Kleinod, das fast ausschließlich in einer einzigen Wohnung spielt und von einer gut aufgelegten Hildegard Knef getragen wird, die zwar alle Hände voll hat mit dem Versuch, ihren Lover Van Johnson vor dem Zugriff diverser Verfolger zu entziehen, aber dennoch Zeit findet, mitten im Film mit spröder Laszivität und kalkuliert eingesetztem deutschen Akzent eines ihrer schönsten Lieder zu singen: „Love Isn’t Love“.

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