(Ganz) Junge Kritik: The Slut

Schülerkritiken zur israelisch-deutschen Co-Produktion The Slut von Hagar Ben-Asher.

The Slut - Wer weiß schon, was er wirklich will?

Hufgetrampel

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Der Erstlingsfilm, der israelischen Regisseurin Hagar Ben Asher, zeigt das Leben von Tamar, von der Regisseurin selbst gespielt, die alleine mit ihren zwei kleinen Mädchen in einem Kibbuz lebt. Sie führt ein sexuell sehr freies Leben mit ihren männlichen Nachbarn, die nur darauf warten, von ihr befriedigt zu werden.

Eine Protagonistin mit ungebändigten Haaren, Sex, zwei störende Töchter, Sex, Männer, Sex, Befriedigung, Sex, Liebe, Sex, Verletzung, Sex, Respektlosigkeit, Sex, Gewalt, Sex, Sex.

Es geht um Familienverhältnisse, um Emotionen und Gefühle, die so grau und blass sind, wie der ganze Film. Die zurückhaltenden Farben spiegeln die Seelen der Menschen wieder.

Der Titel The Slut ist ein Kontrast zu den Empfindungen der einzelnen Personen. Die junge Hauptdarstellerin benimmt sich in den Augen der Männer, denen sie Befriedigung schenkt, als Gleichgewichtserhaltung, als Balance für ihre so fragile Welt. Sie befriedigt jeden, und somit sich selbst. Ihre beiden Töchter stehen am Fenster und sehen dabei zu. Das Kindsein erleben sie nur in kurzen Augenblicken mit dem neuen Freund ihrer Mutter, der ihnen Geborgenheit gibt und ihnen zeigt, was es bedeutet, eine Familie zu sein.

Es folgt eine Reihe von teilweise vorhersehbaren Ereignissen, die die Härte und Kälte dieses Filmes widerspiegeln und zu einem offenen Ende führen, zum Beginn des Filmes:

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Hufgetrampel.

Unglaublich viele Themen werden angesprochen, Fragen aufgeworfen und nicht beantwortet. Ein Film, der weder werten, noch erläutern will und es auch nicht muss. Es liegt allein beim Zuschauer, was er aus ihm werden lässt. The Slut ist das, was ein Film sein muss: Ein Kunstwerk.

Trotzdem stehen wir am Ende leer da. Es bleiben nur  unsere Gedanken, die versuchen, ein Licht in die große Dunkelheit des Durcheinanders zu bringen.

Kritik von Anne-Sophie Minuth, Ronja Keifer und Antoine Stilo (Wagenburg-Gymnasium, Stuttgart)

 

The Slut – Liebe, Zerstörung und Vergebung im israelischen Kibbuz

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Hagar Ben Shers Drama The Slut beginnt mit der leisen idyllischen Darstellung eines Feldes.

Plötzlich prescht ein Pferd über die Weiden auf eine Straße und wird überfahren. Diese Anfangssequenz gibt einen guten Eindruck von dem Gesamtwerk, in dem vor allem was Sound und Schnitte angeht, sehr viel mit Kontrasten gearbeitet wird. Friedliche Stille und verstörender Lärm, Freiheit und Gefangenschaft, Liebe und Lust, welche bei der Protagonistin nicht Hand in Hand gehen.

Der Film erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter zwei kleiner Töchter, die ihre Sexualität mit mehreren Partnern frei auslebt und dabei ihre Pflichten als Mutter vernachlässigt. Als sie mit dem Tierarzt Shay eine ernstere Beziehung eingeht, verändert sich ihr Leben für eine Weile, doch es wird bald deutlich, dass sie ihre alten Laster nicht überwinden kann.

Insgesamt stehen Themen wie Freiheit, Familie, Sexualität und Vergebung im Mittelpunkt.

Durch die einsame Landschaft, die Naturgeräusche, die anstelle von Musik die szenische Inszenierung begleiten, wird die Handlung sehr intensiv hervorgehoben.

Die statischen Einstellungen verleiten den Zuschauer dazu, eine voyeuristische Perspektive einzunehmen. Dies wird auch durch mal geöffnete, mal verschlossene Türen und Fenster untermalt. Hinzu kommt die pure, nicht beschönigte Darstellung, die den Film sehr real und überzeugend wirken lässt.

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Die unbewegten Bilder lähmen jedoch auch die erst gen Ende Fahrt aufnehmende Handlung. Hier findet eine unerwartete dramatische Wendung statt, die das Werk in ein komplett anderes Licht rückt und dem Zuschauer viel Interpretationsraum eröffnet.

Szenisch hervorragend inszeniert bietet The Slut eine große Bandbreite an Themen und beinhaltet viel Symbolik. Ob er Männerfeindlichkeit oder Feminismus suggeriert sei dahingestellt – auf jeden Fall gelingt es der Regisseurin meisterhaft, verschiedene Formen von Liebe und deren Zerstörungskraft darzustellen. 

Kritik von Annika Frenz und Viktoria Franke (Gymnasium Gonsenheim, Mainz)

 

The Slut - Gefangene der Freiheit

Insektenzirpen.

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Ruhig und blass liegt eine weite Landschaft da. Sekundenlang wird dieses Bild nicht gestört, bis ein Pferd zu galoppieren anfängt. Die Freiheit des Tieres reicht jedoch nur bis zur nächsten Straße. Dort wird es jäh aufgehalten. Überfahren, im Moment seiner größten Freiheit.

Eine Freiheit, die die 35-jährige und zweifache Mutter Tamar ebenfalls genießt. Zügellos gibt sie ihren Körper der männerdominierten Umwelt hin. Ihre Suche nach sexueller Befriedigung kontrastiert mit der analytischen und statischen Kameraführung. Diese rückt den Zuschauer in eine betrachtende, beinahe voyeuristische Position und nimmt gleichzeitig jede moralische Wertung aus dem Film. Die Regisseurin vermeidet so bei sexuellen Handlungen jede Form der Ästhetisierung und betrachtet sie eindringlich, aber leidenschaftslos.

Als unverhofft der Tierarzt Shai in Tamars Leben tritt, erlebt sie jedoch liebevolle Leidenschaft. Anfangs baut sie daher Distanz zu ihren früheren Liebhabern auf. Unfähig jedoch, nur einen Mann hingebungsvoll zu lieben, sucht sie zunehmend wieder die Nähe zu Anderen. Ihren beiden Töchter Noa und Mika entwickeln indes eine enge, vaterähnliche Beziehung zu Shai. Als dieser jedoch plötzlich eines der Mädchen mit weißer Farbe bespritzt oder ihnen mit engem Körperkontakt das Schwimmen beibringt, deutet sich bereits das Verhängnis an.

Zu den familiären Gefühlen mischt sich sexuelle Zuneigung, die in einem angedeuteten sexuellen Missbrauch an Noa ihren Höhepunkt findet. Gleichzeitig wird in dieser Szene deutlich, dass die Regisseurin unfähig ist, diese ambivalente Spannung zu halten und stattdessen die pädophile Neigung Shais offen zeigt. Lediglich Shai dafür am Ende zu bestrafen scheint paradox und bedeutet einen bedauerlichen Bruch mit der ansonsten grandiosen Neutralität des Filmes.

Letztlich stellt sich dadurch leider nicht die Frage, ob Tamar wirklich freier ist als jenes Pferd zu Beginn.

Kritik von Sven Schuppener (Gymnasium Wilnsdorf, Wilnsdorf)

 

Wilde Tiere – The Slut von Hagar Ben Asher

Suchen die Menschen wirklich nach Freiheit, oder haben sie nur Angst vor dem Eingesperrtsein? Wo liegen die Grenzen zwischen Selbstbestimmung und Angst, zwischen Liebe und Zwang, wo liegen die Grenzen der Fürsorglichkeit?  Inmitten stuckbröckelnder Baracken und endloser Einöde, in einem Niemandsland mitten in Israel, lebt eine junge Frau mit matten Augen das, was man sexuelle Freiheit nennen könnte. Nach der Schule spielt sie mit ihren Töchtern Verstecken in einem Labyrinth aus gestapelten Heuballen, später befriedigt sie einen Mann in einem Pferdestall, alles mit dem selben Ausdruck kraftloser Gleichgültigkeit. Gesprochen wird selten.

Anfangs fällt es schwer, die Figuren, ihre Handlungen und Wünsche, zu erkennen, oder gar zu verstehen. Scheinbar ziellos ertränkt sich der Film in verschwommener Symbolik, während der Zuschauer wie durch ein Fernrohr die Oberfläche einer brüchigen Gesellschaft betrachtet. Die Kamera funktioniert im Debüt der israelischen Nachwuchsregisseurin Hagar Ben Asher als voyeuristischer Beobachter – mal blickt sie still und unbeteiligt durch verstaubte Fenster und halb geschlossene Türen, mal bannt sie die Weite der einsamen Landschaft, bis die Figuren mit der Szenerie zu verschmelzen scheinen. In diesen Momenten entfaltet der Film seine ganz persönliche verdrehte Poesie.

In einem knappen, fast belanglosen Gespräch lernt die junge Frau den Tierarzt Shay kennen, einige hastige Schnitte später schleppen die beiden Umzugskartons. Die Sequenzen, in denen die Töchter Shay mit zarten Gesten als Teil der Familie anerkennen, bringen die Wand zwischen Figuren und Zuschauer zum Bröckeln – gleichzeitig verschwimmen in subtilen Bildern die Grenzen zwischen Zuneigung und Lust. Die junge Frau könnte sich niederlassen, lieben, endlich eine „echte“ Mutter sein. Hinter diesem Happy-End-Szenario gräbt Hagar Ben Asher jedoch einen verstörenden Abgrund, in dem Freiheit zum Gefängnis, Unabhängigkeit zur Sucht und fürsorgliche Liebe zur Bedrohung wird: Wilde Tiere sollte man nicht in Käfige sperren.

Kritik von Roberta Huldisch (Schiller Gymnasium, Berlin) 

 

 

Titel: The Slut

Originaltitel: Hanotenet

Israel 2011

Laufzeit: 87 Minuten 

Regie: Hagar Ben-Asher

 

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