(Ganz) Junge Kritik: Snowtown

Schülerkritiken zum Film Snowtown von Justin Kurzel.

Ein Serienmörder zur Vaterfigur 

Wie wird aus einem Menschen ein Mörder? Eine mögliche Antwort darauf wird in Justin Kurzels Snowtown gegeben. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten, die sich 1998 in Australien abspielten und erzählt die Geschichte eines 16-jährigen Einzelgängers, der in einem Serienmörder eine Vaterfigur findet. Unbeholfen und haltlos lässt sich Jamie manipulieren, bis er schließlich bei den Morden assistiert.

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Trotz der Tatsache, dass Inhalt und Inszenierung des Films abstoßend sind, geht dem Zuschauer aufgrund des Effektes der Handkamera, die die Figuren wie aus der menschlichen Betrachtungsweise verfolgt und ihm die Zeugenrolle zuweist, die Handlung emotional sehr nah. Dazu trägt auch die eindringliche und bedrohliche Musik bei, die an das Pochen eines Herzens erinnert.

Die nicht nur angedeutete, sondern explizite Gewaltdarstellung ist aufgrund ihrer Brutalität und Skrupellosigkeit für sanfte Gemüter schwer anzusehen. Dabei spielt der Regisseur mit den Grenzen des für den Menschen Ertragbaren. Starke Gefühle des Ekels, Abscheus und der Verzweiflung, die hervorgerufen werden, sind in ihrem Ausmaß bemerkenswert und zeugen von der gelungenen Inszenierung.

Die scheinbar fortlaufende Normalität im Leben der Charaktere, die durch Essen, Schlafen und Fernsehen vermittelt wird, steht im Kontrast zu den detaillierten und langgezogenen Darstellungen der Ermordung. Zunächst gibt es „Motive“ für die Tötung, beispielweise Homosexualität oder Pädophilie, doch am Schluss tötet  Jamie grundlos seinen Freund, womit er sich symbolisch von der Normalität und seinen Skrupel verabschiedet.

Es lässt sich nicht abstreiten, dass Snowtown den Zuschauer durch seine Rohheit tief schockiert, doch liegt  genau darin die Faszination des Filmes. 

Kritik von Annika Frenz, Nerges Azizi und Viktoria Franke (Gymnasium Gonsenheim, Mainz)

 

 

Vor verschlossenen Türen – Snowtown von Justin Kurzel 

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Die Spielautomaten klimpern, ein blasses, beiläufiges Geräusch. Monotonie und Langeweile herrschen in der maroden südaustralischen Kleinstadt Snowtown. Die Gemeinde, in der Jamie aufwächst, ist geprägt von einer lähmenden Hoffnungslosigkeit, aus der sich viele in einen Strudel aus Kriminalität und Gleichgültigkeit flüchten. Es scheint, als habe die von Perspektivlosigkeit und Pädophilie zerfressene Gesellschaft die Farbe aus den kalten, körnigen Bildern gesaugt.

Auf der Suche nach Halt und Bezugspersonen lassen sich die jungen Menschen der Stadt von jedem beeinflussen und verformen, der ihnen Beachtung schenkt; ob dies nun bedeutet, sich vom Freund der Mutter nackt fotografieren zu lassen – oder den eigenen Bruder umzubringen.

Denn als Missbrauchsopfer Jamie endlich eine Vaterfigur findet, einen Menschen, der vorgibt, ihn zu rächen, der ihm Schutz und Verlässlichkeit bietet, stellt sich dieser als brutaler Serienmörder heraus, der Jamies angestaute Wut, seine leise Verzweiflung als Katalysator seiner eigenen willkürlichen Brutalität benutzt.

Zusammen mit dem jungen Protagonisten wird der Zuschauer in eine Spirale aus Gewalt und Manipulation gerissen, aus der es kein Entkommen gibt, die unabwendbar einem erschütternden Ende entgegenführt. Graphische Gewalt wird nicht mit der distanzierten Absurdität eines Horrorfilms dargestellt, sondern mit einer profunden, abgründigen Menschlichkeit und Realitätsnähe, die die Geschehnisse für den Betrachter nahezu unerträglich machen. Die Gespräche scheinen wie zufällig eingefangen, beinahe banal, in der Küche isst die Familie zu Abend, in der Badewanne liegt ein blutgetränkter Körper.

Vielleicht ist es gerade das Wissen, dass all dies tatsächlich passieren könnte – und passiert ist – das so heftige Emotionen auslöst, das gleichzeitig abstößt und bannt.

Keine moralische Auflösung kann das Geschehene erklären oder entschuldigen. Vielmehr steht der Zuschauer am Schluss im Dunkeln, allein, vor verschlossener Tür, mit der Einsicht, dass die Wirklichkeit manchmal keinen Sinn hat. 

Kritik von Juni Adina Ludwig und Roberta Huldisch (Schiller-Gymnasium, Berlin)

 

 

Und wenn wir hinausgingen? 

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Ich glaubte einen Menschen zu hören, der dabei war, zu sterben.

Einstechen, zerschlagen, misshandeln, Knochen brechen, Haut zerfetzen, zermalmen, Gedärme herausreißen, zu Brei stampfen,  zerstückeln, morden.

Schreie, übermenschliche Schreie, Leid, übermenschliches Leid, Schmerz,  übermenschlicher Schmerz, Qualen, übermenschliche Qualen.

Bei dem ersten Spielfilm Snowtown des australischen Regisseuren Justin Kurzel handelt es sich um die bestialische Zurschaustellung  eines Albtraumes, der sich vor einigen Jahren in Australien abgespielt hat. Der 16 jährige Jamie wird regelmäßig  vergewaltigt und führt im Allgemeinen ein unangenehmes Leben, bis er John Bunting kennenlernt, für welchen er eine dunkle Faszination aufbaut. John Bunting ist hauptberuflich Massenmörder und damit  einer der einzigen in der heruntergekommenen Vorstadt, der eine „Arbeit“ hat.

Das Problem in diesem Film ist, dass die Gewalt gratis ist, umsonst. Gore. Snowtown ist kein Film, der warnt, wie es Funny Games von Haneke schafft. Dem Zuschauer wird nicht  vorgeworfen, unmoralisch gehandelt zu haben, wenn er bis zum Schluss im bequemen Kinosessel sitzenbleibt. Im Gegenteil, Snowtown  hat keine Botschaft.

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Die Unmittelbarkeit in der Darstellung der Gewalt drängt andere Themen, die in diesem Film zur Schau gestellt werden, an die Wand. Es ist als Zuschauer unmöglich, die Gewalt nicht als den Schwerpunkt zu sehen. Nur ist eine mutilierte Leiche in einer blutverschmierten Badewanne keine Kunst. Die schmutzigen Farben, die, wie in so vielen anderen aktuellen Werken gezeigt werden, sind vielleicht ganz schön und die Handkamera, die, wie es sich heutzutage so gehört, mit ihren mobilen und unscharfen Einstellungen  benutzt wurde, um dem Zuschauer noch mehr Nähe zu ermöglichen, bewirken vielleicht Authentizität, doch das war es dann auch schon.

Es gibt nicht mehr viel zu sagen, außer dass ich diesen Film nicht auszuhalten fand.

Schade. 

Kritik von  Anne-Sophie Minuth (Wagenburggymnasium, Stuttgart)

 

 

Ungeheuer ist vieles … 

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Wenn verstörte Zuschauer eilig vor Ende den Kinosaal verlassen und anschließend kontrovers über das Gesehen diskutieren, wundert man sich kaum, dass man bei den Filmfestspielen in Cannes ist. Comme toujours. Auch in diesem Jahr beweist das Auswahlkomitee eine hohe Affinität zu expliziter und grenzüberschreitender Gewaltdarstellung.

Justin Kurzel greift in seinem Spielfilmdebüt die wahre Geschichte des australischen Killers John Bunting auf und macht aus ihr einen Film, der die Balance zwischen sozialdramatischen Elementen und einem Thriller sucht.

Jamie ist mit seinen 16 Jahren ein Opfer. Ein Opfer von Vergewaltigung, Misshandlung und Gewalt. Er ist es, der in dieser Parabel über Faschismus und Machtmissbrauch zum tragischen Mordgehilfen wird. In schockierenden Gewaltszenen wechselt sich stets blutige Brutalität, die statisch und präzise gefilmt ist, mit seinem leidenden und mitleidenden Gesicht ab. Dadurch entsteht eine affektive Nähe zum Geschehen auf der Leinwand, die für einige schwer zu ertragen ist.

Bei der bestialischen Ermordung seines Bruders etwa gibt es für ihn ebenso wie für den Zuschauer keine Möglichkeit zur Flucht. Außer der Flucht aus dem Saal.

Diese Alternative hat Jamie nicht. Er leidet still.

Passiv sitzt er anschließend umgeben von einer fröhlichen Kirchengemeinde da und ist unfähig mitzusingen. Ebenso unfähig ist allerdings seine Umwelt der Verantwortung gerecht zu werden, die sie gegenüber Jamie zu tragen hat. Seine Mutter versagt, seine Nachbarn versagen. Der einzige, der nicht versagt und Jamie wie einen Sohn annimmt ist der sadistische Massenmörder John Bunting. Bei ihm lernt er die abstoßende Faszination der Gewalt kennen.

Der Film jedoch hasst seine eigene Gewalt und zeigt sie in ungeschönter Realität.

„Ungeheuer ist vieles, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“. 

Kritik von Sven Schuppener (Gymnasium Wilnsdorf)

 

 

FILM-ANGABEN

Titel: Snowtown

Alternativer Titel: Les Crimes de Snowtown

Australien 2011

Laufzeit: 120 Minuten

Regie: Justin Kurzel

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