(Ganz) Junge Kritik: Les amitiés maléfiques


Der falsche Freund?

 

„Warum schreiben Schriftsteller? Weil sie nicht genug Charakter haben es nicht zu tun.“ Ein wichtiger Satz in dem Leben des Protagonisten André Morney, ein Literaturstudent, der versucht seine Freunde von dieser Tatsache zu überzeugen.

Alexandre, ein Schauspieler und Éloi, ein Schriftsteller, sind in den Bann des charismatischen Mittzwanzigers geraten. Morney hilft seinen Freunden beim Aufbau ihrer Karriere, verlangt aber als Gegenleistung Anerkennung. Dabei festigt er seine eigene Stellung im Freundeskreis als Literat und sorgt gleichzeitig dafür, diese durch Konkurrenz nicht wieder zu verlieren.

Der selbsternannte „Könner“ Morney muss jedoch im Laufe der Geschichte die harte Erfahrung machen, dass er selbst seine eigenen hohen Ansprüche nicht erfüllen kann. Anstatt sich damit abzufinden, schafft er für seine Freunde eine fiktive Welt, in der er vorgibt zu sein. Tatsächlich aber flieht er aus seinem Umfeld in eine andere Welt, in die er sich fügen muss.

Auf unterschwellige Weise lässt der Regisseur Emmanuel Bourdieu seine Figur sich selbst erkennen, jedoch nicht sich akzeptieren. Für den Zuschauer wird dies in zwei Schritten sichtbar: Zum einen die organisierte Zerstörung eines Werkes der Konkurrenz, zum anderen durch die Verachtung eines Literaturprofessors. Morney erkennt in diesen Geschehnissen seine Schuld nicht an.

Nach seinem Verschwinden bleibt seinen Freunden nichts weiter übrig, als ohne ihren Mentor zu bestehen. Éloi und Alexandre beginnen ein individuelles Leben, das nicht mehr durch die falsche Fürsorge Morneys gehemmt wird.

Die Isolation des Protagonisten wirkt auf seine Freunde, sowie auf das Publikum mitleidserregend. Hat André dieses Mitleid als Gescheiterter verdient oder ist es Boshaftigkeit und Ignoranz, die aus ihm spricht?
Eine solche Art von Freundschaft ist in der Tat „unheilvoll“.

Kritik von Amélie Streubel und Sabine Pietruske (Altes Gymnasium Bremen)

 

Les amitiés maléfiques; France 2006; 100 Minuten; Regie: Emmanuel Bourdieu; Drehbuch: Emmanuel Bourdieu, Marcia Romano; Produzenten: Mani Mortazavi, Yorick Le Saux, David Mathieu-Mahias; Mit Malik Zidi, Thibault Vincon, Alexandre Steiger, Natacha Régnier, Dominique Blanc, Jacques Bonnaffé


Kristall

Ein Gang durchs Spiegelkabinett

Mit der nackten Faust schlägt der Mann in sein Spiegelbild: Der Zuschauer sitzt von einem Moment auf den anderen kerzengerade in seinem Kinosessel. Das Überraschungsmoment hat gewirkt.

Der Film Kristall von Christoph Girardet und Matthias Müller ist ein extravaganter, eigenartiger Film, der an den Gang durch ein Spiegelkabinett erinnert. Aneinandergereihte Archivaufnahmen annähernd gleicher Szenen, in denen sich Frau und Mann im Spiegel ansehen, erzeugen dieses unbehagliche Gefühl.

Ohne Zweifel ist der Film geschickt aufgebaut. Anfangs sind es Paare, die sich im Spiegel betrachten und später, getrennt durch eine Schwarzblende nacheinander Männer und Frauen alleine vor dem Spiegel. Die anfängliche Harmonie schwindet. Sie schlägt um in Bedrückung und Zweifel am eigenen Spiegelbild.

Seinen ersten Höhepunkt erreicht der Film nach einer der vielen Schwarzblenden. Nur für den Bruchteil einer Sekunde sieht der Zuschauer die Frontansicht des Mannes im Spiegel, um dann von der Kombination aus der schnellen, aggressiven Bewegung des Mannes und dem lauten Zerbrechen des Glases aus dem Konzept gebracht zu werden.

Jenen, denen es bis zu diesem Zeitpunkt an Nervenkitzel fehlte, sollten nun zufrieden gestellt sein, denn diese Sekunde des Films ist buchstäblich ein Schlag ins Gesicht. Doch schnell beruhigt wird der Zuschauer mit der kontrastreichen Darstellung von nun wieder Frauen, die ihr Spiegelbild anfassen und sogar küssen. Der Autoaggression der Männer folgt die Zuwendung der Frauen zu ihrem Spiegelbild.

Allerdings währt diese Ruhe nicht lange. Es wird wieder ein Paar gezeigt: Der Mann kommt zur Tür herein, die Frau scheint außer sich vor Wut. Sie zertrümmert den Spiegel. Stille. Wieder erscheint eine kurze Schwarzblende, gefolgt von dem Bild des zertrümmerten Spiegels, der sich langsam wieder zusammensetzt. Das Licht im Saal geht an. Bravo!

Kritik von Simon Oldenbruch (Gymnasium Gonsenheim)
 

Kristall; Allemagne 2006; 14 Minuten 30 Sekunden; Regie: Christoph Girardet und Matthias Müller; Produzenten: Christoph Girardet und Matthias Müller

 

Diese Kritiken entstanden im Rahmen von La Toute Jeune Critique
Semaine internationale de la Critique de Cannes 2006.



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