(Ganz) Junge Kritik: La petite Jérusalem

Manche Menschen leben wie Marionetten, sie hängen an verschiedenen Fäden, von denen sie sich führen lassen, und richten ihre eigenen Interessen und Wünsche danach. Dabei sagte doch schon der Philosoph Emanuel Kant "Sapere Aude", was bedeutet, dass man unbeeinflusst leben und nach dem eigenen Gewissen handeln sollte. Genau dies schafft Laura (Fanny Valette) im Film La petite Jérusalem der Regisseurin Karin Albou. Sie lebt in einer streng jüdisch gläubigen Familie, deren Regeln und Gebote sich nur nach der Thora ausrichten. Dadurch, dass Laura Philosophie studiert und dort auch Kant und dessen Thesen behandelt, widersetzt sie sich diesen Geboten, hinterfragt den jüdischen Glauben und stellt sich gegen die Wünsche ihrer Familie. Auch der Tradition in ihrem Alter zu heiraten geht sie nicht nach und weist einen von ihrer Familie ausgesuchten Ehemann ab. Sie lässt ihre eigenen Gefühle zu und somit die Liebe zu einem algerischen Mann, der ihr gefällt und nicht nur ihrer Familie. Der Einzige, durch den sie sich beeinflussen lässt, ist Kant persönlich, da Laura genau wie Kant täglich um die gleiche Uhrzeit einen Spaziergang macht. Durch ihren eigenen Willen und der Philosophie, sich nicht dem jüdischen Glauben zu beugen, wird Laura dem Publikum sympatisch. Man erhält durch lang andauernde Detailaufnahmen ihres Gesichtes und die gute schauspielerische Leistung von Fanny Valette eine Nähe zu Laura, bekommt einen Einblick in ihre Persönlichkeit und kann sich mit ihr identifizieren. So kann der Zuschauer auch nachvollziehen, dass Laura ihren Weg geht, obwohl ihre Mutter durch abergläubische Rituale versucht sie zu ihrer Religion zurück zu führen. Laura soll nach Meinung der Mutter, die das Publikum oftmals mit lustigen Bemerkungen unterhält, den Weg ihrer älteren Schwester Mathilde folgen, die bereits verheiratet ist und Kinder hat. Letztendlich wendet sie sich jedoch selbst von Kant ab und erliegt der Liebe zu Djamel, dem jungen Algerier. Dass sie sogar aufhört zu lernen, ihre Spaziergänge unterbricht und ihre Gedanken sich nur noch um ihn drehen, zeigt, dass sie entgegen ihrer bisherigen Vorsätze von Djamel und seiner Liebe abhängig wird.

Der innere Konflikt Lauras zwischen den traditionellen Vorschriften der Religion und eigenem Willen und Interessen beschreibt in einer interessanten und anschaulichen Art und Weise die Probleme vieler Menschen in der Gesellschaft. Menschen lassen sich beeinflussen und sind manchmal auch wie Marionetten– jedoch sollte man niemals den eigenen Willen in den Hintergrund stellen.

Kritik von Alexander Koch, Mira Möll und Anjana Siwert (Friedrich-Magnus-Gesamtschule, Laubach)


Religionsfrage

Die Sehnsucht und das Verlangen nach Nähe und Berührungen werden in der heutigen unpersönlichen Welt immer stärker. Viele Menschen finden das in den verschiedensten Religionen. Mathilde findet ihren Halt im Judentum. Sie und ihre Familie sind orthodoxe Juden und leben in einem pariser Viertel, auch genannt "la petite Jerusalem". Die Schwester der jungen Frau, Laura, fühlt sich jedoch zwischen ihrer Religion und ihrem Philosophiestudium, durch das sie ihre eigene Weltanschauung bekommt, hin und her gerissen, und verliebt sich in einen Araber, was die Familien beider Seiten nicht gutheißen.

Der Film greift die Problematik der Modernisierung von Religion auf und diskutiert philosophische und religiöse Fragen. Man erfährt auf interessante Weise mehr über den religionsgebundenen orthodox-jüdischen Alltag, aber auch über die Möglichkeit des Erstickens und dem Wunsch nach dem Ausbrechen aus den Zwängen. Die zunehmende Anerkennung anderer Ansichten und der westlichen Freiheit von Seiten der Familie wird deutlich, durch das langsame Öffnen der Kameraeinstellung im Filmverlauf. In der Anfangsszene wird Laura sehr nah in Detailaufnahme gezeigt, im letzten Bild des Films hingegen ist sie im Profil in der Halbtotalen dargestellt.

Allgemein bekommt man sehr oft nackte Haut zu sehen, jedoch auf eine sehr reine und ästhetische Art und Weise. Die Probleme der Charaktere werden trotz des speziellen Filmthemas realitätsnah dargestellt und sind nachvollziehbar. Man hat das Gefühl dabei zu sein und fühlt mit den beiden Protagonisten sowie mit den anderen Figuren mit.

Bei vielen Filmen wird Musik zur Unterstützung und Verdeutlichung der Gefühle und Handlung eingesetzt. Bei diesem jedoch wird an der Musik gespart und sie fungiert eher als ein hintergründliches Zusammenspiel zwischen jüdischen Gesängen und modernen Klängen. Das Thema Religion wurde niveauvoll in einem Kinofilm verarbeitet und im Nachhinein fühlt man sich auf intelligentem Weg bereichert.

Kritik von Theresa Walther und Anne Bolick (Erich-Fried-Gymnasium, Berlin)


Sind Religion, Philosophie und Liebe wirklich miteinander unvereinbar ?

Um diese grundsätzliche Frage dreht sich der Film La petite Jérusalem von Karin Albou. Am Beispiel der beiden jüdischen Schwestern Mathilde, verheiratet und Mutter vierer Kinder, und Laura, Philosophiestudentin gegen den Willen ihrer Familie, wird deutlich, dass Gegensätze nicht zwingend auseinander führen müssen. Mathilde, welche sich Normen und Gesetzen der jüdischen Kultur verpflichtet fühlt, steht vor dem Aus ihrer Ehe, da sie sich auf Grund ihres Glaubens, der ihr vermeintliche Schranken weist, nicht im Stande fühlt den sexuellen Wünschen ihres Mannes gerecht zu werden.

Laura reagiert gegenteilig auf die Grenzen, die ihr ihre Religion aufzwingt. Mit ihrem Studium der Philosophie revoltiert sie gegen Tabus. Ihre Devise lautet : «Freiheit und Unabhängigkeit um jeden Preis», selbst wenn das bedeutet, eigene Gefühle zu unterdrücken. Die Liebe zu dem jungen Moslem Djamel lässt sie erst nach langem inneren Kampf zu. Hier bekommt sie am eigenen Leib zu spüren, wie tief die Kluft zwischen verschiedenen Religionen sein kann, auch wenn die Liebe zwischen zwei Menschen in jeder Hinsicht überwiegt. Letzten Endes wird im Film sichtbar, dass Religion und Philosophie zwei gegensätzliche Pole bleiben und sich lediglich in der Liebe vereinen. Fatal ist hingegen, dass die Position der Religion derart dominant sein kann, dass sie der Liebe keine Chance lässt.

Kritik von Ariane Hengst, Moritz Bender und Bernhard Lubomski (Koblenz); Nadja Momotow, Alena Schmitz und Julia Claus (Bochum)



La petite Jérusalem; Frankreich 2005; 96 Minuten; Regie: Karin Albou; Drehbuch: Karin Albou; Produzenten: Laurent Lavolé, Isabelle Pragier; Mit Fanny Valette, Elsa Zylberstein, Bruno Todeschini, Hedi Tillette de Clermont-Tonnerre, Sonia Tahar, Michaël Cohen, Aurore Clément


Diese Kritiken entstanden im Rahmen von La Toute Jeune Critique
Semaine internationale de la Critique de Cannes 2005.



Zur Übersicht der Semaine Internationale de la Critique de Cannes 2005

 

 

Neue Kritiken

Kommentare zu „(Ganz) Junge Kritik: La petite Jérusalem

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.