Forumflimmern #3: Jeder kümmert sich, aber nicht jeder überlebt
Streifzüge durch das Forum der Berlinale, dieses Mal mit Filmen von Kazuhiro Soda, Abdenour Zahzah, Roman Bondarchurk, Felipe Morgado & Tamara Uribe und Faraz Fesharaki.
The Cats of Gokogu Shrine (Kazuhiro Soda)

Kazuhiro Sodas The Cats of Gokogu Shrine ist eine buddhistische Systemstudie der Koexistenz zwischen den Katzen, dem Biotop des Tempels und den Menschen, die sich um beide kümmern. Die Katzen von Gokogu sind Straßenkatzen, die ihre Kämpfe an ihren Körper zur Schau tragen. Ein fehlendes Auge, ein aufgekratzter Bauch. Der V-förmige Einschnitt am Ohr deutet hingegen auf eine erzwungene Kastration hin, um die Population zu kontrollieren. Das deutet bereits die zentrale Spannung des Films an: Wie ein von Menschen ausgelöstes Problem – jemand setzte ursprünglich mal eine Katze bei dem Tempel aus – durch einen fast schon grausamen Rationalismus verwaltet werden kann. Jeder kümmert sich, aber nicht jeder überlebt, und die moralischen Kosten sind hoch. Die Kamera ist meistens auf Augenhöhe (mit den Katzen und mit den Menschen), handgehalten und interaktiv. Soda spricht und interagiert mit den Personen und wird so aktiver Teil des Bildes. All seine Arbeiten sind Observational Films (The Cats of Gokogu Shrine ist #10), die nach sehr klaren Regeln arbeiten, die er als Zehn Gebote bezeichnet. Die Freude an diesem Film ist es, genau diese zu erlernen, die Bilder in ihrer formalen und ethischen Konzeption zu verstehen. Wo die Grenzen verlaufen und wann sie verwischen.
True Chronicles of the Blida Joinville Psychiatric Hospital in the Last Century, when Dr Frantz Fanon Was Head of the Fifth Ward between 1953 and 1956 (Abdenour Zahzah)

Der Name ist auch in der Nüchternheit Programm. True Chronicles ... ist in seiner didaktischen Biografieproduktion immer interessant, erlahmt aber als Film an der Unfehlbarkeit Frantz Fanons (gespielt von Alexandre Desane). Die von Fanon favorisierte instiutional psychotheraphy setzt den Fokus auf den kulturellen Background der Patienten und versucht ihn aktiv in die Prozesse der Klinik einzubinden. Zahzahs Film macht Patienten und Personal zu kinematischen Accessoires. Möglich wird das durch eine strenge soziale, professionelle und kulturelle Hierarchie, die Fanon paradoxerweise in seiner Arbeit begünstigt. Fanon betritt Räume, gibt Anweisungen oder Lektionen und verlässt diese wieder. Was er sagt, ist richtig; wer nicht danach handelt, irrt. Gefilmt ist das Ganze in einem den Augen schmeichelnden, filmfestivalfertigen und digital kontrastarmen Schwarzweiß. Kann funktionieren, wenn sich visuelle oder inhaltliche Reibungspunkte ergeben (e.g. Lav Diaz), ordnet sich hier aber schnell einer monochromen Hagiografie unter. Das ist in der Sache verständlich, in seiner Selbstverständlichkeit aber narrativ limitierend. True Chronicles ... vertraut in diese Machtstrukturen, weil sie von Fanon und nach dessen Gesinnung interpretiert und gelebt werden, aber Fanon verlässt, nachdem sein Engagement mit der algerischen Unabhängigkeitsbewegung bekannt wurde, in einer Nacht- und Nebelaktion das Land. Er wird bald offiziell in die FLN eintreten und sein Leben und Schreiben dem antikolonialen Kampf geben. Blida-Joinville ist seine letzte Station als Psychiater.
The Editorial Office (Roman Bondarchurk, 2024)

Südliche Ukraine, sechs Monate vor dem Krieg. Yura (Dmytro Bahnenko) sucht ein seltenes Murmeltier, aber filmt stattdessen strategische Waldrodung. Die Kamera fährt daraufhin zurück, und ein halbnackter Mann schreit den Himmel an, während um ihn rum CGI-Wild durch das Bild galoppiert. Roman Bondachurcks The Editorial Office ist ein Film, der sich bewusst inszeniert, um dadurch die mediale Inszenierung zu spiegeln, aber wenig zu ergänzen hat. Die Nachrichten sind von der Politik gekauft, die Bürger hoffen und verzweifeln. Sie kaufen die Zeitung, investieren in Cryptoscam, klatschen, wenn die Politiker sie belügen. Das Stimmungsbild in Roman Bondarchurks The Editorial Office ist ein verbitterter Zynismus, der sich weniger in Pointen auserzählt als versucht, diese zu verdichten und miteinander in Beziehung zu bringen. Wie sich das final auserzählt, ist in seiner Esoterik durchaus ansprechend, aber die Referenzen wirken dennoch durchgehend veraltet, die ideologischen Kriege wie Klischees. Der Film bleibt immer Oberfläche, die ist allerdings ansehbar mit einem guten Gefühl für die Totale und unaufdringliche Long Takes.
Oasis (Felipe Morgado & Tamara Uribe)

2019 ging Chile auf die Straßen. Der Estallido Social war die bisher größte Protestbewegung im Land und kanalisierte die Wut auf die sich anhaltend verschlechternden Lebensbedingungen. Chile ist eines der reichsten Länder Südamerikas mit all den Nachteilen, die der Kapitalismus für die Arbeiterklasse oder indigene Minderheiten bringt. Ist die Montage anfangs noch dialektischer Agitprop, der die mediale Unterschätzung der Proteste in einer Barriere brennender Einkaufswagen überführt, wechselt die Struktur, als in Chile als Erfolg der Proteste eine neue Verfassung beschlossen wird. (Die vorherige Verfassung entstand unter Pinochet und wurde nach dem Ende der Diktatur nur abgeändert und erweitert.) Diese wird von 155 demokratisch gewählten Chilenen geschrieben, und Oasis wechselt zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Land – zeigt die, die repräsentieren wollen, die, die es betrifft, und die sich daraus bildende Kluft.
Oasis ist Felipe Morgado und Tamara Uribe zugeschrieben, wurde aber im MAFI-Kollektiv realisiert, das bereits Propaganda (2014) und Dios (2019) gedreht hat. Die Pluralität der Stimmen und Kameras zeigt sich auch in der sozialen Weite der Bilder, die zeitgleich und doch lokal getrennt voneinander erzählen können. Der Film bietet allerdings zu wenig Kontext für Außenstehende, um die sozialen und politischen Komplexitäten des Landes nachvollziehen zu können, und abstrahiert diese deswegen in Themen, die für eine globale Linke verständlich sind: Umweltpolitik, indigene Rechte für die Mapuche, bessere Renten. Das wirkliche Besprechen politischer Positionen sieht man in der Convención Constitucional selten, es werden vor allem rhetorische Stopps gesetzt und Selbstdarstellungen inszeniert. Oasis selbst fährt sich bald an dem Prozess fest und erlahmt etwas in dem Rhythmus der Montage.
What Did You Dream Last Night, Parajanov (Faraz Fesharaki)

Fesharaki filmt über mehrere Jahre hinweg die Skype-Calls, die er mit seinen Eltern und engen Freunden führt. Man redet über das Wetter und quizzt die Weltpolitik, während man einen Schrank zusammenschraubt. „Have you seen my 2.000 € jacket yet?“ Die Beziehung zu seinen Eltern ist mit liebevoller Ironie durchzogen, gibt ihnen, ihrer Ehe und ihren Biografien Raum, bis sie sachte beginnen, das Narrativ des Films zu werden. Die Intimität dieser Bilder findet einen schönen Gegenpart in den verpixelten Videocalls und deren verzerrten Stimmen, die geografische und auch emotionale Distanzen tragen. Die Struktur ist etwas zu casual, verdichtet sich erst gegen Ende, als Fesharaki mehrmals die Form wechselt. Ein Brief – ein Liebesbrief? – öffnet vier Orte Berlins, die in einer schnellen, essayistischen Montage eingefangen werden. Leere Stühle, leere Bänke, leere Sitze, totes Wasser. Dem wird Zayandeh Rud, Fesharakis brachliegender Heimatfluss in Isfahan, gegenmontiert. In einem wunderbaren letzten Pan schwenkt Fesharakis Kamera, schwenkt, bis der Fluss wieder Wasser führt, die Menschen anzieht, ein Sommer anbricht.
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