First Reformed oder wie man einen Paul-Schrader-Film vermarktet
Gegenüber der wahnwitzigen Raserei von Dog Eat Dog ist First Reformed ein eher konservatives Werk – und zugleich ein Film, mit dem sich Autor und Regisseur Paul Schrader selbst zur Marke macht.
„When you decide to work on the quiet and contemplative side, you get involved with withholding techniques. Movies are normally almost desperately needy—they run right up to you, grab you by the lapels and shake you with beautiful girls and fast cars and by playing music all the time so that you know exactly how to feel at any given moment. Films like this do not do that — they go the other way.“

First Reformed erzählt von einem psychisch labilen Priester, der mit der Institution Kirche hadert und daraufhin einen selbstzerstörerischen Kreuzzug startet. Doch der Film erzählt noch mehr: zum Beispiel über die geschickte Selbstvermarktung seines Regisseurs Paul Schrader und die Institution der Filmkritik, die Schraders Marketing-Kampagne dankbar übernimmt, ohne sie einer allzu kritischen Prüfung zu unterziehen. Wichtiger als der Film und wie er eigentlich funktioniert, scheint das sentimentale Narrativ des Comebacks zu sein, die Story des Auteurs, der sich „endlich“ getraut hat, den „besten Film“ seiner Karriere zu machen.
Die Rechnung ist definitiv aufgegangen. Der Film hat nicht nur seine Kosten eingespielt und war ein Festivalrenner, auch die kleine Oscar-Kampagne seines Verleihers A24 war ein voller Erfolg: Schrader wurde für seinen ersten Academy Award für das beste Originaldrehbuch nominiert. Um das zu ermöglichen, wurde ihm von A24 übrigens eine kurzzeitige Social-Media-Pause verordnet. Ein Facebook-Post, in dem er beklagte, nicht mehr mit Kevin Spacey arbeiten zu können, hatte eine milde Kontroverse ausgelöst.
Trotz des Kritikerzuspruchs und des kleinen Erfolgs, den der Film genießt, lässt sich fragen: Worüber reden wir genau, wenn wir über den fünften Aufguss von Schraders „Man-in-a-room“-Zyklus reden? Über eine tatsächliche Rückkehr zu den Wurzeln? Über den Regisseur, der endlich zu seinen wahren Stärken gefunden hat? Wird der Film diesem Narrativ gerecht?
Der Autor

Ein Schlüssel zu First Reformed ist zunächst der Autor Paul Schrader: ein purer Klassizist, dem psychologischen Roman des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Bereits in vorhergehenden Filmen wie Hardcore (1979), American Gigolo (1980), Light Sleeper (1994) und Affliction (1998) hat er versucht, seine Figurenpsychologie durch ein Übermaß an Sentimentalität dramatisch aufzuwerten. Ein Indikator für diese wehleidige Ader ist nicht zuletzt seine Vorliebe für rührselige Countrymusik. In Hardcore zum Beispiel kommen viele Countrysongs zum Einsatz, im Drehbuch zu Rolling Thunder (1977) ebenfalls. Schrader nutzt sie als kleine, dramaturgische Indikatoren, die ihm dabei helfen, männliches Selbstmitleid zu stilisieren. First Reformed ist ebenfalls ein Paradebeispiel für diese Strategie, gerade durch Ethan Hawkes überakzentuierten Leidensblick, der ihn eher in eine Chiffre denn in einen dreidimensionalen Charakter verwandelt.
Ein Schrader-Film bedeutet eben oft: Männer leiden gerne und allein. Zwar interessiert sich der Regisseur für die destruktive Seite dieser narzisstischen Spielart, aber er fällt ihr mitunter selbst anheim (vielleicht ein Echo seiner schwierigen Biografie). Wenn er also nach und nach die Distanz zu seinen Protagonisten verliert und männliches Leiden mehr glorifiziert, als es zu thematisieren, wird das Leid zu einer Pose. (Und die Frauen? Die bemitleiden die Männer. Wie undankbar Amanda Seyfrieds Rolle in First Reformed doch ist …) Doch dem Schrader-Film geht es auch nicht unbedingt darum, die Psychologie seiner männlichen Protagonisten auszuloten. Es geht vor allem um den gewalttätigen outburst am Ende, das klassische Schrader-Finale. Die konfliktbeladene Prädisposition scheint nur dafür da zu sein, den finalen Knall zu antizipieren. Die Figur als tickende Zeitbombe hat somit eine dramaturgische Funktion – da ist Schrader ganz nah an Hitchcock’scher Suspense und weit entfernt von Bresson’scher Zurückhaltung.

Anders als von Schrader postuliert, werden in First Reformed im Übrigen keinerlei Emotionen vorenthalten. Der Regisseur weiß ganz genau, was er vom Zuschauer will: pure Empathie. Gerade auch, weil Hawkes Reverend Toller nicht nur seinen Sohn verloren hat, sondern unter einem Problem leidet, das uns alle angeht – dem Klimawandel (ob es wirklich „sein“ Problem ist oder er es durch Schuldgefühle lediglich angenommen hat, sei hier dahingestellt). So destruktiv sein Verhalten ist – wie könnten wir ihn da nicht verstehen? Travis Bickle hat es uns da viel schwerer gemacht. Auch Schraders pathologische Einzelgänger in Filmen wie Auto Focus (2003) oder Dog Eat Dog (2016) – die er wiederum beide kaum ernst nimmt und sicherlich nicht zu seinem „Hauptwerk“ zählt – wollen unsere Liebe nicht, aber sie sind dafür viel interessanter als der Purist Toller mit seinen guten Absichten.
Natürlich könnte man all dies mit Schraders religiöser Herkunft verknüpfen und jede Travis-Bickle-Reinkarnation als einen Pilger deuten (vgl. dazu auch sein Originaldrehbuch zu Close Encounters of the Third Kind, 1977). Und doch äußert sich die spirituelle Suche oder besser: das Ergebnis dieser spirituellen Suche oder Krise oft nur in adoleszenten Himmelfahrtskommandos (Taxi Driver (1976), Rolling Thunder, Hardcore, Mishima (1985) etc.), inspiriert von den dunklen Seiten japanischer Kultur, die ihm sein Bruder Leonard nahegebracht hat. Was auch die religiöse Komponente letztlich zu einem Versatzstück, einer Behauptung macht, die ausschließlich durch Gewalt aufgelöst werden kann und will.
Der Regisseur
Der Regisseur Schrader ist, anders als der Autor, ein agiler Filmemacher, ein Stilist, der Wege findet, schwierigen, ungewöhnlichen Stoffen ästhetisch gerecht zu werden oder geradlinigen Geschichten eine neue Wendung zu geben. Das ist der Regisseur von Cat People (1982), Patty Hearst (1988), The Comfort of Strangers (1990), Witch Hunt (1994), The Canyons (2013) und Dog Eat Dog.

Und doch zieht Schrader ein sowohl inhaltlich als auch formal konservatives Werk wie First Reformed der wahnwitzigen Raserei von Dog Eat Dog vor und sagt, mit diesem Film endlich den Film gemacht zu haben, den er immer machen wollte. Ob er das selbst glaubt, sei dahingestellt. Interessant ist, dass er auf ebenjene Rhetorik zurückgreift, um den Film zu vermarkten. Dazu bedient er sich seiner eigenen Markenidentität. Schrader hat seine Brand endgültig angenommen und verinnerlicht. Um Slavoj Žižek zu paraphrasieren: Er ist nicht nur der Autor von Taxi Driver, er hält sich nun auch dafür. Er wird in Interviews nicht müde zu betonen, wie sehr Taxi Driver das Konzept von First Reformed zusammenhält. In früheren Interviews war er zwar stolz auf die Zusammenarbeit mit Martin Scorsese und Robert De Niro, betonte aber auch stets, dass das nicht „sein“ Film war. Ein gewisses Unbehagen, sich von seinem Frühwerk definieren zu lassen, schien stets über ihm zu schweben. Die Fiebrigkeit des Films, der dämonische Appeal von De Niro waren zu viel für den Calvinisten, der eine Hollywoodversion von Bressons Pickpocket (1959) im Sinn hatte. Doch heute wirkt es fast, als hätte er sich den Stoff von Scorsese zurückerobert. Taxi Driver ist nun mehr als nur ein Film, er ist ein theoretisches Konzept. Sein Konzept. Paul Schrader hat also ganz bewusst einen Paul-Schrader-Film gemacht. Mehr noch: First Reformed wurde bereits als Paul-Schrader-Film konzipiert.
Dieses theoretische Konzept basiert auf seinem heute klassischen Buch Transcendental Style in Film: Ozu, Bresson, Dreyer, das zeitgleich mit dem US-Kinostart von First Reformed in einer Neuauflage erschienen ist. So behauptet der Regisseur, dass First Reformed, der durch und durch klassisches Erzählkino ist, ein Film im Stile ebenjenes „Transcendental Style“ sei. Das ist die Story, die uns Schrader über den Film hinaus erzählt und die vielleicht sogar mehr überzeugt: die des Regisseurs, der jahrelang davon geträumt hat, seinen Vorbildern gerecht zu werden, und es auf der Zielgeraden tatsächlich einmal wagt. Es ist fast so etwas wie die Geschichte einer Läuterung: „People would try to connect that book with the films I was making and I would tell them that they were wrong because I wasn’t that guy. I was intoxicated with action and empathy and sex and violence and these are not things found in the transcendental tool kit (…).“

Der sogenannte transzendentale Werkzeugkasten beschränkt sich jedoch, wenn man First Reformed betrachtet, auf den Inhalt (ein „ernsthaftes“ Sujet mit „großen“ Themen wie Spiritualität und Schuld) und ein ruhiges Erzähltempo (aber von einer durchaus amerikanisch geprägten Erzählökonomie). Der „Transcendental Style“ lässt grüßen, aber das war bei Taxi Driver oder Light Sleeper auch nicht anders. First Reformed ist ein klassischer Schrader.
Das absurde Blue Collar-Remake Dog Eat Dog hingegen mit seiner rauen Energie, seinem Auge für soziales Elend und der Abwesenheit von Spiritualität ist auf seine Art auch ein Film über Spiritualität: der überraschendere und vielleicht sogar bessere Film von den beiden. Aber dessen respektlos kostengünstige DIY-Attitüde passt eben nicht zu der stimmigeren, „seriöseren“ Comebackstory, die First Reformed zum Kritikerfavoriten machte.
Was First Reformed vor allem zeigt, ist, dass Storytelling eine von Schraders großen Stärken ist. Er, der das Drehbuchschreiben nicht als „echtes“ Schreiben ansieht (sondern als Bestandteil der mündlichen Überlieferung), ist ein begnadeter Erzähler und das bereits auf der buchstäblichen Ebene: Es ist eine Freude, seinen Worten zu lauschen, selbst wenn man merkt, dass seine Theorien zum Kino von einem altmodischen Dualismus (Unterhaltung vs. Arthouse) geprägt sind. Mit der Kamera erzählt er ebenso virtuos. Und es ist die Kamera, die First Reformed so geschickt erzählt, dass wir davon verführt werden, selbst, wenn Schrader so langsam nichts mehr zu erzählen hat. Der Kreis hat sich geschlossen, und der Regisseur ist wieder bei sich selbst angekommen. Er jongliert mit den Themen, die ihn einst umgetrieben haben, gekonnt, keine Frage, aber auch routiniert.
Doch wenn Paul Schrader seine kluge Vermarktungstaktik nicht mit sich selbst verwechselt, wird er wieder neue Wege finden, Kino zu machen, das unberechenbar und frisch ist, geboren aus Spontaneität und nicht aus Kalkül.
Kommentare zu „First Reformed oder wie man einen Paul-Schrader-Film vermarktet“
Es gibt bisher noch keine Kommentare.