Fiebertraumhafte Essays – Die Filme von Arthur und Corinne Cantrill
Mythische Zimmerpflanzen und sich auflösende Bauten: Die Dokumentar- und Experimentalfilme von Arthur und Corinne Cantrill sind ein Spiel an der Oberfläche, das bis in die Tiefen der australischen Gesellschaft ragt. Das Arsenal widmet dem australischen Filmemacherpaar im Juni eine Werkschau.

Die ersten Blicke sind ehrfürchtig. Sie reichen nicht zu nah an den rot-orangen Monolithen heran, der sich mitten aus der flachen und grün bewachsenen Landschaft Australiens erhebt. Es sind Bilder aus ihrem ersten filmgewordenen Besuch des Uluru (At Uluru, 1977), die Corinne und Arthur Cantrill an den Anfang ihres vier Jahre später entstandenen Films The Second Journey (To Uluru) (1981) stellen. Sie umkreisen den Steinriesen im Vorbeifahren, als wäre er ein Wesen, dem man nicht zu nahe kommen sollte, weil es zugleich scheu und gefährlich ist, seine Aura fragil und kraftvoll. Fragil, weil die touristische Verwertung und die damit einhergehende Verdrängung der indigenen Bevölkerung diese Aura immer wieder bedroht. Kraftvoll, weil sie eine Macht zu besitzen scheint, die nicht nur die grüne Landschaft inzwischen in eine trockene Steppe verwandelt hat, sondern auch bis zum Filmmaterial durchgedrungen ist: Im Voice-over Corinne Cantrills erfahren wir, dass die Witterung den Entwicklungsprozess selber beeinflusst, die Bilder teilweise überbelichtet und in flirrende Schemen der Steininsel verwandelt hat. Trotzdem, oder gerade deswegen, lässt das australische Filmemacherpaar sie in den Film einfließen, und tatsächlich sind es genau diese eigentümlich vibrierenden Bilderwelten, die die Aura des Uluru am besten sichtbar werden lassen.
Politische Form

The Second Journey (To Uluru) nimmt im Gesamtwerk der Cantrills einen ähnlich zentralen und herausragenden Platz ein wie der Uluru in der Landschaft Australiens. Schon deshalb, weil Langfilme inmitten der zahlreichen kurzen, oft als Installation gezeigten Dokumentar- und Experimentalfilme der Cantrills ohnehin herausstechen. Aber besonders, weil er durch das Ausstellen der Produktionsumstände wie kein anderer ihrer Filme auf die darin immer wiederkehrende Strategie hinweist, eine enge Verbindung zwischen Natur und filmischer Form herzustellen, sie experimentell so zu verquicken, dass sie einander (be-)greifbar und wahrnehmbar machen. In Heat Shimmer (1978) etwa wird das titelgebende Phänomen aufsteigender heißer Luft mittels der Dreifarbentechnik in seine Grundlagen – Cyan, Magenta und Gelb – separiert, um die Hitzewellen in den verschiedensten Farbspektren anschließend wieder zusammenfinden zu lassen. In The Room of Chromatic Mystery (2006) erscheinen selbst die Zimmerpflanzen als bunt flimmernde Wesen mit mythisch-überzeitlicher Aura. Dass hinter dem Einsatz dieser Technik auch eine repräsentationspolitische Agenda steht, wird wiederum in City of Chromatic Dissolution (1999) besonders deutlich, der sich nicht dem natürlichen, sondern dem urbanen Raum widmet: Wasser, das wie herbeihalluziniert wirkt, Halt gebende Bauten und sich zwischen ihnen bewegende Menschen, die allesamt in geisterhafte Präsenzen ihrer selbst aufgelöst werden, lassen die moderne Stadt Australiens geradezu realitätsverloren wirken.
Morphende Materialität

Dem Werk der Cantrills wird eine zentrale Rolle dabei zugesprochen, die Bedeutung zu verstehen, die naturbelassene Landschaften für die indigene Bevölkerung Australiens haben. Die Dreifarbentechnik, so sehr sie unter ihren Verfahren auch heraussticht, fügt sich dabei in ein noch abstrakteres Interesse der Filmemacher ein. In ihrer Ästhetik spielt Materialität und das sinnliche Spiel an der Oberfläche, das sie hervorbringen kann, die Hauptrolle. Die Erscheinung des Uluru muss auch deswegen wie ein ultimatives Faszinosum auf die Cantrills wirken. In The Second Journey (To Uluru) werden sie seine Fassade noch genauer beschauen, die wie fließend zu morphen scheint und in der kleine bis höhlenartige Einkerbungen zwischendurch immer wieder wie Zäsuren im mal stromlinienförmigen, mal blätternd-schuppigen oder zerklüfteten Material auftauchen.

Das inzwischen 60 Schaffensjahre umfassende Experimental- und Dokumentarfilm-Gesamtwerk der Cantrills, zu dem auch die Filme von Sohn Ivor zu zählen sind, lässt sich entsprechend am besten durch die Erscheinungsweisen seiner Materialität beschreiben. In In This Life’s Body (1984) etwa werden Tausende Fotografien zur Grundlage eines Rückblicks auf die Biografie Corinne Cantrills. Material tritt hier eher als dokumentarische Quantität auf; seine Kraft gewinnt es aus der Geradlinigkeit der Montage wie aus der schnörkellosen Poetik von Cantrills Worten im Voice-over. Von purer sinnlicher Qualität dagegen ist das Material in Ivor Cantrills Rainbow Diary (1984), in dem die hellen Klänge aus Chris Knowles’ treibendem Elektro-Score mit den von Hand auf den Film gemalten, regenbogenfarbenen und lebhaften Abstraktionen ein synästhetisches Verhältnis eingehen: Die Musik wird sichtbar, die Bilder hörbar.

In Harry Hooton (1970) – Arthur und Corinne Cantrills Hommage an den australischen Poeten und Linksintellektuellen der Sydney-Push-Bewegung – werden die verschiedenen Erscheinungen der Materialität dann zu einem produktiven Ganzen verwoben. In einer Anhäufung von Sound-Dokumenten entfaltet Hooton seine philosophischen Ideen, die wiederum selbst stark von der Materialität her gedacht sind: „Art is the communication of emotion to matter and nothing else”, sagt er einmal, und auf der visuellen Ebene entfaltet sich ein fiebertraumhafter Essay, der an diese Überlegungen ästhetisch anschließt, indem er die zahlreichen filmischen Experimentaltechniken im Gesamtwerk der Cantrills geballt zusammenbringt: frühe Einsätze der Dreifarbentechnik, Doppelbelichtungen, Bildercollagen der inneren Montage, sich verformende Abstraktionen, monochrom eingefärbte Bilder und allerlei Soundexperimente, die die dokumentarischen Aufnahmen Hootons immer wieder ersetzen. Der Film ist somit typisch für ein Werk, das in so differenzierten Erscheinungen auftritt und doch so kohärent zusammen funktioniert. Die expressiven, unbändigen und soghaften Experimente gehen in viele verschiedene Richtungen, ohne dass sich die politisch-gesellschaftliche Aura, die sie vereint, jemals ablöst.
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