Fantasy Filmfest 2015: Get Shorty (Kurzfilme)
Bis zum bitteren Ende: Ein Spektrum des Genrefilms in sieben Kurzfilmen.

Get Shorty, das Kurzfilmprogramm des Fantasy Filmfests startet 2015 mit dem kanadischen Fünfminüter Day 40 und hält sich damit an das gängige Vorgehen, einen Kurzfilmblock mit etwas zum Lachen zu eröffnen. Die grobschlächtige Bleistiftanimation reinterpretiert die Bibelgeschichte um Noahs Arche und setzt auf den schwarzhumoristischen Effekt, der sich bei der Kombination aus Animation, trockenem Kommentar und der Darstellungen von Perversionen und politischen wie religiösen Inkorrektheiten so gut wie zwangsläufig einstellt.
Der ultimative Liebesbeweis

Wesentlich interessanter ist allerdings der darauffolgende britische Beitrag He Took His Skin Off For Me – dessen Plot genau da anfängt, wo der Titel aufhört. Sie hat es sich gewünscht, und so hat Er sich als Liebesbeweis komplett die Haut abgezogen – wohl gemerkt unter der fantastischen Prämisse, dass dies ohne Schmerzen und Todesfolge funktioniert. Es ist erstaunlich, wie schnell man gewillt ist, einen gehäuteten Menschenkörper – ein Bild, das, wäre es nur kurz eingeblendet gewesen, unweigerlich einen extremen Moment des Ekels und Schocks evoziert hätte – als Protagonist zu akzeptieren. Nicht angewidert, sondern fasziniert blickt man auf freigelegte Muskeln und Fasern, tricktechnisch kann Ben Astons Film wirklich überzeugen. Das Zusammenleben des Paares hat sich kaum verändert, auch der Sex funktioniert noch wunderbar, man sei sich ja sogar noch näher, erzählt Sie. Doch die hochromantische Beziehung, in der sich der eine Partner komplett dem Wunsch des anderen hingibt, wird bald von den Trivialitäten und Komplikationen des Alltags eingeholt. Auf Dauer werden die permanenten Blutspuren, die sein Körper überall hinterlässt, für Sie zur Plage, und spätestens wenn seine Freunde sich von ihm abwenden, beginnt Er sich außerhalb seiner Haut unwohl zu fühlen. Während man anfangs noch versucht ist, über die groteske Situation zu lachen, hat man bald ein eher bedrückendes Drama vor sich, dessen Potenzial durch den abrupten Schluss aber leider doch ungenutzt bleibt.
Bloße Reproduktion von Genrestandards?

Am nächsten Beitrag, dem argentinischen Rabbit 105, wird der Konflikt zwischen Kurzfilm und Genre- bzw. Horrorfilm am deutlichsten. Eine junge Frau findet ihr Auto im Parkhaus nicht mehr und so irrt sie nach dessen Schließung einsam und zunehmend panisch darin umher. Das klingt altbekannt, und mehr wird daraus auch kaum noch. Die Inszenierung des argentinischen Nachwuchsfilmers Sebastián Rotstein gibt sich mit der wenig originellen Aneinanderreihung von stereotypen Scare-Momenten zufrieden. Ein diese miteinander verbindender Plot, womöglich noch mit sinniger oder abrundender Auflösung, wird nicht mal im Ansatz bemüht, und so braucht man sich über das einfallslose, plötzliche Ende gar nicht mehr ärgern. Das scheint denn auch die wesentliche Krux der meisten Genrekurzfilme zu sein: Das ausgefeilte Geschichtenerzählen bleibt in diesem Format eben eine seltene Kunst, die meisten Produktionen scheinen ihren Zweck allein schon in der handwerklichen und ästhetischen Erprobung oder Reproduktion von Genrestandards erfüllt zu sehen – wobei einzelne Momente gelegentlich funktionieren mögen, ein stimmiges Ganzes aber gar nicht vorgesehen ist.

Den Mittelpunkt des Programms bildet der im Vorfeld vielversprechende Ramona von Andrei Cretulescu. Denn der rumänische Regisseur legte bereits im Get Shorty Programm vor zwei Jahren eine krude wie charmante Fantasy-Gangster-Komödie vor, die insbesondere von der schauspielerischen Performance und dem euphorisierenden Soundtrack (Ryan Goslings Band Dead Man's Bones) getragen wurde. Cretulescu hat in jedem seiner bisher drei Kurzfilme mit demselben Cast gearbeitet. Während die Protagonistenrolle in den Vorgängerfilmen allerdings bei den männlichen Darstellern lag, dominiert in Ramona eine Frau – ob es sich dabei um die Titelrolle handelt, bleibt offen. Die Kamera folgt der namenlosen Protagonistin auf einem Gewalttrip scheinbar schnittlos durch die Nacht, während sie über drei Stationen hinweg jeweils einen Mann umbringt. Dass sie Fotos von malträtierten Frauen mit sich führt, deutet daraufhin, dass sie den Schändern ihre Strafe zukommen lässt (in dieser Lesart ähnelt der Kurzfilm stark dem diesjährigen regulären Festival-Beitrag Bound To Vengeance). Auch hier wieder ein sehr rudimentäres Handlungsgerüst, doch Cretulescus Inszenierung wirkt versierter, atmosphärischer, vereinnahmender als Rotsteins.
Lachen über die tote Ex und deutsche Spießbürgerlichkeit

Nach dieser grimmigen Rachenummer wird die Stimmung mit Tuning Oscar des spanischen Regisseurs Mikel Alvariño wieder gelockert. Vor ihrem Tod hatte Oscars Freundin Violetta ihm mitgegeben, dass er mit einer neuen Beziehung mindestens zwei Jahre warten müsse, da sie ihn sonst heimsuche. Mittlerweile hat Oscar mit Ana eine neue Flamme, die er allerdings aufgrund von Violettas Vorgabe noch auf Distanz hält. Doch Ana möchte nicht mehr warten und versucht, Oscar seinen Aberglauben auszureden. Aus diesem Zusammenprall von Anas vernunftbasierter Logik und Oscars übernatürlichen Aberglauben wie auch den stets zwischen paranormaler und rationaler Erklärbarkeit changierenden Ereignissen schöpft der Film gekonnt seinen Humor.

Witzig bleibt es mit dem vorletzten, deutschen Beitrag von Michel Binz, der wohl für die meisten Zuschauer das wahre Center Piece sein dürfte, auch wenn es sich gar nicht um einen Genrefilm im eigentlichen Sinne handelt. Nicht zuletzt dank bekannter Gesichter (u.a. Anke Engelke), inszenatorischer Akkuratesse und der Persiflage deutscher Spießbürgerlichkeit hat Herman The German seine Fähigkeit zum Crowdpleaser zuvor schon auf diversen deutschen Kurzfilmfestivals unter Beweis gestellt. Als Herman durch einen Zwischenfall sein Furchtempfinden verliert, das für ein verantwortungsvolles Ausüben seines Berufes als Fliegerbombenentschärfer unerlässlich ist, muss er verschiedenste Phobien durchexerzieren, um dieses zurückzuerlangen. Herman the German bezieht seinen Witz aus teils recht plakativen Gags (Herman liebt Schnitzeltorte), durchaus aber auch aus in Details versteckten und subtilen Pointen (etwa wenn Herman die ihm verwehrte Hollywoodstandardsituation, zwischen dem roten und dem blauen Draht entscheiden zu müssen, auf die Entscheidung über die präferierte Soße zum Kantinenessen überträgt). Ein Film wie dieser ist eine sichere Bank in einem unterhaltungsorientierten Kurzfilmprogramm, doch kann seine beinahe schon abgebrühte Professionalität auch einen etwas schalen Beigeschmack hinterlassen.
Ein schwieriger Ausklang

Das ärgerliche Finale liefert La Hora Del Baño aus Spanien. Schon zu Beginn scheint dieser Film von Eduardo Casanova in einer Alptraumsequenz bildlich auf David Lynchs Eraserhead (1977) anzuspielen, um im Folgenden auch thematisch darauf zurückzugreifen, wenn ein hochgestresstes Elternpaar in Erwägung zieht, sich ihres Babys auf gewaltsame Art zu entledigen, um endlich wieder Schlaf zu finden. Was immer Casanovas mit diesem Film wollte: Auch ohne die Assoziation von Lynchs Meisterwerk als Gegenfolie ist das Scheitern unübersehbar. Der Film schwankt unentschlossen und hilflos zwischen überzogenem Klamauk und radikalem Drama, inklusive einer völlig willkürlich eingeschobenen expliziten Sexszene. Ein solcher Ausklang ist gleich doppelt problematisch. Nicht nur hätte man lieber auf diese Produktion verzichtet, die Platzierung dieser unausgeglichenen und zähen 17 Minuten als Abschlussfilm ist auch hinsichtlich des Gesamteindrucks des Programmblocks ohne ein deutlich herausragendes Highlight eine sehr gewagte Entscheidung.
Kommentare zu „Fantasy Filmfest 2015: Get Shorty (Kurzfilme)“
Es gibt bisher noch keine Kommentare.