Ein Zwinkern in die Kamera - Unknown Pleasures #14
New Yorker BDSM, eine Odyssee durch politische Subkulturen und eine filmische Wiederentdeckung zwischen San Francisco und Nigeria: Ein Streifzug durchs Programm des Berliner Festivals für US-amerikanisches Independentkino.
Den Jahresanfang markiert in Berlin traditionell das Unknown-Pleasures-Festival im Arsenal, das aktuelles unabhängiges Filmschaffen aus den USA zeigt, in diesem Jahr erstmals von Kristofer Woods kuratiert. Der Schwerpunkt bei der Filmauswahl lag dabei auf Festivaleinreichungen, die vorher noch nicht in Deutschland zu sehen waren.
Passiv-aggressives Kino

Joanna Arnows The Feeling That the Time for Doing Something Has Passed, der in der Quinzaine des Cinéastes in Cannes Premiere feierte, sticht vor allem durch seine Grabenkämpfe hervor. So grenzt sich der Film gegen Ende in der Selbstdarstellung sehr klar gegen eine gewisse Tradition des US-Independentkinos ab. Finaler Dialog: „So you went to Oberlin?“ / „I went to Wesleyan.“ Trotzdem findet Arnow reichlich Anschluss an den Jewish degradation kink á la Oberlin-Absolventin Lena Dunham. Anders als in deren Girls wird dies hier ausschließlich sexuell und in verschiedenen BDSM-Szenarien aufgegriffen. Die Kostüme sind gewollt überzeichnet, das Timing im Dialog präzise in seinen Pausen und der Ton meistens ein erschöpftes Aufgeben. Dabei geht es niemals darum, Ann (Joanna Arnow) zu psychologisieren oder likeable zu machen, sondern ihren Lebensstil in die heutige Zeit einzuordnen.
So folgt man Ann durch verschiedene Kapitel, die Arbeit, Privatleben und ihre Sexualität fließend ineinander montieren. Gefilmt ist das Ganze mit einer Oberflächlichkeit die auch schon fast wieder post-ironisch verstanden werden will. In einem Moment sehen wir beispielsweise wie Ann durch Fotos ihrer Büropflanze swipet, während sie in der nächsten Szene ein schwarzes Top mit überzeichnetem Tulpenemblem trägt. Ihr Apartment ist gekonnt unterbeleuchtet und mit trostlos nackten Wänden überfüllt. Auch in seinem Ton ist The Feeling That the Time for Doing Something Has Passed ein extrem passiv-aggressiver Film – nach gut einer Stunde kommt die Persiflage einer Montage –, was seinem letzten Akt immerhin eine gewisse Unsicherheit gibt.

Mit Chris (Babak Tafti) eröffnet sich ein Kapitel, das enger an die Konventionen einer Romanze gebunden ist. Chris ist dabei so etwas wie das Abziehbild des New Yorker Millennials: Er trägt nur drei Shirts, spielt Drums (als „Konzept“), lädt zu einem Avantgarde-Filmdate in die Anthology Film Archives ein und ist generell bemüht, emotional verfügbar zu sein. Ann findet ihn attraktiv, hat aber Probleme, sich auf die Beziehung einzulassen. Chris findet sie attraktiv, hat aber Probleme damit, eine dominantere Rolle zu spielen. Und so driftet man durch diese Beziehung, die sich langsam angleicht, zu sich findet und dann doch wieder in einer Schwebe endet. Am Ende ein Film, der mehr als statement of intent funktioniert, der sich behelfsmäßig in aktuellen Diskursen verortet, aber selbst keine wirkliche ästhetische Position formuliert.
Karaoke bis zum PizzaGate

Präsentiert wurde er an diesem Abend gemeinsam mit Sean Price Williams’ The Sweet East, der erstmal einer Einordnung bedarf. Der Film wurde von Jimmy Kaltreider produziert, der elf Jahre lang Geschäftsführer der Thiel-Foundation war. Eine direkte Verbindung wird von Williams ebenso bestritten wie ein generelles Verständnis der Dimesquareszene, die auch von Thiel fleißig gesponsert. Unwissenheit schützt allerdings nicht vor Assoziation, auch wenn Geld an sich knapp ist und schlimmere Menschen schlechtere Filme finanziert haben. Geschrieben wurde das Drehbuch von Nick Pinkerton. Als Filmkritiker einer der besten, fassen seine Texte Ideologisches, wenn überhaupt, vor allem in Anführungszeichen an.
Lillian (Talia Ryder) beginnt den Film auf einem Klassenausflug in D.C. mit schwarzem Choker, silbernen Kreuzen als Ohrringen und einem ausgewaschenen, oversized Aerosmith T-Shirt. (Die Kostüme von Jocelyn Pierce verorten die Figuren sehr präzise in ihren jeweiligen Milieus und begleiten auch optisch entsprechende Milieuwechsel.) Williams fängt dies in Handyaufnahmen zwischen Videotagebuch und TikTok-Reels ein, bevor eine Karaokeparty durch einen PizzaGate-Amoklauf unterbunden wird. (Der Joke dabei: dass die Annahme korrekt ist und man zwar über den Incel lachen, aber die Verschwörung trotzdem durchspielen kann.) Lillian ist fortan mit Caleb (Earl Cave) auf der Flucht, einem linken Punk, der aussieht wie Gerard Way, wenn Gerard Way auf Body-Modifikation stünde und sich dreißig Piercings in seinen Schwanz gestochen hätte.
Ideologische Offenheit

Von dort beginnt eine Odyssee, in der Lillian durch die verschiedenen politischen Szenen der USA durchgereicht wird, verschiedene Namen annimmt und jeweils die Leben derer übernimmt oder imitiert, denen sie begegnet. So etwas wie eine persönliches Wahrheit existiert hier nicht mehr. Wenn einer der Squatterinnen Lillian gesteht, dass sie sich von ihrem Freund finanziell aushalten ließ, bis dieser sie häuslich angriff, ist dies sowohl potenziell wahr, aber auch erstmal nur eine Geschichte und kann damit bereit einfach übernommen und als Rolle durchgespielt werden. Lillian testet dies an Lawrence (Simon Rex), gentleman nazi und Poe-Aficionado, der eine Nähe zum rechten Untergrund hält. Sie zieht bald in dessen Haus ein und beginnt eine sexuell aufgeladene Beziehung mit ihm, indem Sie seinen purity kink für ihre Zwecke bedient. Oder auch nicht? Die Performances sind hier in einer Weise offen, wie ich es selten im aktuellen US-Kino gesehen habe, weil wenige die ideologischen Effekte aushalten wollen, die mit dieser Offenheit einhergehen.
Diese zieht sich durch den ganzen Film. The Sweet East liebt es, mit Texturen von ambienter sexueller Gewalt zu spielen, der Lilian ausgesetzt ist, nur um diese immer wieder zu unterlaufen und zu entschärfen. Es gibt keine Situation, in der sie nicht die Kontrolle behält, was sehr schnell zu einer sexuellen Verspieltheit mit kontrollierten Rollenverschiebungen führt, die Ryder sehr präzise spielen kann und die Williams dann wieder filmisch verschärft. So läuft Lillian beispielsweise mit einer Leichtigkeit durch den Wald, die an den Exploitation-Modus von I Spit On Your Grave oder The Last House On The Left erinnert, in dem Natur eine objektive Schönheit hat, die dann von subjektiver Gewalt durchbrochen wird. Nachdem ihre Odyssee beendet ist und sie zu Hause angekommen ist, betritt ihr Onkel (gespielt von Sean Price Williams selbst) das Zimmer und spielt mit bewusstem Blocking und einfach zu breitem Grinsen auf eine sexuellen Übergriff an. Lilian lächelt, schleicht sich durch das Wohnzimmer an der am TV klebenden Familie vorbei, zwinkert der Kamera zu und bricht wieder auf.

Williams inszeniert das mit seinem gewohnten Seventies-Fetischismus auf 16mm. Scharfe, schnelle Zooms, viel Handgehaltenes, das nahe an den Körpern ist, konstante Überblendungen. Dazwischen kurze animierte Sequenzen, ein mit dem Schüfftan-Verfahren gespiegelter Shot mit einer gemalten Masken à la Hudson River School. Es macht immer Spaß diesen Film dabei zuzusehen, wie er neue Shots und Styles durchspielt, sehr darauf bedacht, sich nicht zu oft zu wiederholen. Am Ende ist es glaube ich einfach ein Clash mit meiner persönlichen filmischen Haltung, der das Sehvergnügen einschränkt. Film ist für mich am Ende immer auch politisches Mittel zur Veränderung und das konstante Verneinen jeglicher politischen Perspektive beginnt mich zu nerven.
Gewalt und Liebe
Die Retrospektive von Unknown Pleasures war diesmal nicht der Werkschau eines Künstlers gewidmet, sondern auf mehrere Restaurationen verteilt. Eines der Highlights ist Bushman (David Schickele, 1971), den ich bereits auf der letztjährigen Ausgabe von Il Cinema Ritrovato in Bologna sah. San Francisco, 1968: Gabriel (Paul Eyam Nzie Okpokam) balanciert seine Schuhe auf dem Kopf, während er dem Highway entlangwandert. Um seinen Hals pendelt eine Pfeife, die ihn mit seinem Heimatsdorf in Nigeria verbindet. Dort herrscht allerdings Bürgerkrieg, und er ist in der amerikanischen Diaspora gefangen. Wie ein Geist wandert er durch die Straßen, der Plot folgt ihm als Schatten, sich diskret aufbauend, aber selten von seiner Seite weichend. Meistens geht es um die Liebe, eine Affäre mit Alma (Elaine Featherstone), einer afroamerikanischen Black-Power-Aktivistin, und eine Affäre mit Diane (Donna Michelson), einer weißen Collegeprofessorin.

In beiden fühlt sich Gabriel bis zu einem gewissen Grad verloren, beiden berichtet er ebenso wie der Kamera unaufhörlich von seiner Heimat, während Schickele Szenen aus Nigeria dagegen montiert. Ein Teil von Gabriels Nabelschnur wurde dort unter einem Kokosbaum vergraben, sodass es ihn immer zurückziehen wird. Es gibt viele Büsche dort, und alle haben Geschichten. Es gibt einen verfluchten Busch, in den man nicht zum scheißen geht, weil sonst Rauch aufsteigt und einem die Sicht vernebelt. An einem anderen Busch wurde mal ein Missionar gekreuzigt. Man ließ ihn hängen, bis sein Kopf verfault hinunterfiel und dann ließ man ihn weiter hängen, bis auch der Rest von ihm verfaulte. Die Geschichten von zu Hause führen immer wieder zur Gewalt zurück: Gewalt zwischen den Ethnien, koloniale Gewalt.
Respekt für „Respect“
In den USA scheint eher die Gleichgültigkeit zu töten. Was diese immer durchbricht, ist die Musik, das Arbeiten an und mit Instrumenten. Gabriel birgt einen Holzklotz, den er in einen Klangkörper umbauen will und danach für gut eine Viertelstunde durch den Film trägt. Doch Musik verschärft hier ebenfalls wieder die Grenzen. In einer Szene geht Gabriel mit Alma in die Bar, in der sie arbeitet und sie beginnt zu Aretha Franklin zu tanzen, fühlt sich langsam in den Song hinein während die Kamera ihren Körper organisiert. Brust, Hände, Füße, finden sich alle im Takt wieder. „Respect“, ein Song, der so oft für so viel schlechtere Szenen missbraucht wurde, findet sich endlich mal wieder zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und im richtigen Körper. Gabriel kommt aus der Toilette, geht an ihr vorbei, setzt sich an die Theke. Die Kamera schneidet für die Totale zu einer erhöhten Perspektive und Gabriel ist verschwunden, flüchtet auf die Straße.

Okpokam hat dabei eine sehr einnehmende Präsenz. Der ganze Cast wirkt, als würde man sich schon länger kennen. Eine Nähe, die ich schätze, weil sie auch auf die Produktionsbedingungen verweist, eine gewisse Romantik zulässt. Gegen Ende wechselt der Film in das Dokumentarische. Ein Mann tritt vor die Kamera und erklärt das offene Ende des Films. Okpokam, der am San Francisco State College einen Kurs in westafrikanischer Literatur unterrichtete, nahm 1968/69 am Streik teil. Die Cops schoben ihm eine Bombe unter und nahmen ihn deswegen fest. Aus Spaß zündeten sie die Bombe auf dem Dach des Polizeiwagens, während Okpokam ohne Schutz auf der Rückbank saß, was ihn nachträglich traumatisierte. Er wurde später zu vier Jahren Haft verurteilt mit einer anschließenden Deportation. Man steckte ihn nach St. Quentin, entließ ihn nach einem Jahr und gab ihm eine Viertelstunde, um sich am Flughafen von seinen Freunden zu verabschieden. Die letzten Frames zeigen diese Abschiede. Es sind lange, innige Umarmungen.
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