Ein Lächeln, das bleibt: Karlovy Vary 2025

Zwei Filme, die sich bedrohtem und unsichtbar gemachtem palästinensischem Leben widmen: Sepideh Farsi dokumentiert ihre Kontakte mit einer Fotografin in Al-Tuffa während des Gaza-Kriegs; Diana Allans Archivfilm wiederum blickt zurück in die Zeit vor der israelischen Staatsgründung.


PUT YOUR SOUL ON YOUR HAND AND WALK (R: Sepideh Farsi)

Put Your Soul on Your Hand and Walk ist ein unmittelbarer Film. Gleich zu Beginn legt die iranische Filmemacherin Sepideh Farsi ihre Motivationen offen. Per Voice Over erzählt sie, wie sie nach dem 7. Oktober vergeblich versuchte, nach Rafah zu gelangen, um mit Palästinenser*innen zu sprechen, die im Krieg alles verloren haben. Immerhin gab ihr ein geflüchteter Palästinenser die Nummer der 25-jährigen Fotografin Fatma Hassouna, die den Kriegsalltag in Al-Tuffa im Norden Gazas dokumentiert.

Diese initiale Kontaktaufnahme, eine Geste der Solidarität, mit dem Ziel, den Menschen in Gaza aus nächster Nähe beizustehen, wird dadurch konterkariert, dass Put Your Soul on Your Hand and Walk gleichzeitig ein hochgradig vermittelter Film ist, der die Ohnmacht der Filmemacherin in jedem Moment spürbar macht. Über ein Jahr stand Farsi, die seit über 40 Jahren im Exil in Paris lebt, aus der Ferne mit Hassouna im Austausch; der Film besteht im Kern aus einer Reihe von WhatsApp-Videoanrufen, abgefilmten Chat-Verläufen und eingeblendeten Fotos, die Hassouna in ihrer Nachbarschaft aufgenommen hat: zerbombte Wohnblocks; eine Kinderhand, die aus den Trümmern ragt; Kinder, die trotz allem zwischen den Trümmern spielen. Sowohl die Telefonate als auch Hassounas fotografische Arbeiten sind Zeugnis der palästinensischen Selbstbehauptung inmitten des Krieges.

Das ständige Surren der Drohnen

Während die emotionale Verbindung zwischen den beiden Frauen über die Zeit immer enger wird, schmiert ständig die Technik ab. Denn obwohl Hassouna oft aus dem Haus einer Freundin anruft, in dem die Internetverbindung besser ist, geht jeder Anruf mit Bildrucklern, auditiven Verzerrungen und plötzlichen Abbrüchen einher. Farsi arbeitet mit diesen Glitches produktiv, indem sie die Dürftigkeit der poor images verstärkt und ihr Handy mit einem anderen Handy abfilmt, anstatt einfach den Bildschirm aufzuzeichnen. Damit transponiert sie die eigene Frustration über die ständig aufs Neue scheiternde Kommunikation auf eine formale Ebene. In der Limitierung ergeben sich Möglichkeiten, mit den Bildausschnitten zu spielen, die überlagerten Schaltflächen zu dekadrieren, oder Hassounas Gesicht in der Bildmitte zu fixieren, wenn es mal wieder einfriert.

Überhaupt sind es Hassounas Gesicht und ihr breites, meist verpixeltes Lächeln, was noch lange nach dem Film hängenbleibt. Sie lächelt fast permanent – wenn sie darüber sinniert, wie es wäre, nach Monaten des Hungers endlich mal wieder Hühnchen oder Schokolade zu essen, aber auch, wenn sie berichtet, wie man nach einem israelischen Raketenangriff den abgetrennten Kopf ihrer Tante in einer anderen Straße gefunden hat als den Körper. Während der Telefonate ist ständig das Surren der Drohnen zu hören, ab und zu schlägt eine Rakete im Nachbarhaus ein, was Farsi mehr zu schockieren scheint als Hassouna, für die das zum Alltag gehört. Ihr unerschütterlicher Optimismus im Angesicht des Todes ist inspirierend, es ist sicher auch ein Optimismus mangels Alternativen. In einem seltsam berührenden Moment zitiert sie ausgerechnet Morgan Freeman in Die Verurteilten: „Hope is a dangerous thing.“

Die eigene Ohnmacht durcharbeiten

Sepideh Farsi, die im Iran Anfang der 1980er im Gefängnis saß, macht kein Geheimnis daraus, dass sie in Fatma Hassouna Spiegelungen ihrer eigenen Biografie erkennt. Ihre identifizierende Anteilnahme ist bewegend und offensichtlich auch für Hassouna, die körperlich und psychisch immer stärker abbaut, eine enorme emotionale Unterstützung. Dennoch scheint nicht jede Brücke, die Farsi zu bauen versucht, tragfähig. Als Hassouna erzählt, wie wichtig ihr die Privatsphäre des eigenen Zimmers sei, empfiehlt Farsi ihr (oder doch eher dem Publikum auf internationalen Filmfestivals?) A Room of One’s Own von Virginia Woolf. „I’ll try to read it“, antwortet Hassouna. Während Farsi durch die Welt jettet, mal aus Kairo, mal aus Montréal und dann wieder aus Paris anruft, kann die eingesperrte Hassouna vom Reisen nur träumen.

Diese gelegentlichen Unwuchten sind jedoch zu verschmerzen und sogar eingepreist, da der mit sich ringende Film in erster Linie als solidarische Geste gedacht ist, die die eigene Ohnmacht angesichts des täglichen Leids der Menschen in Gaza performativ durcharbeitet. Das letzte Telefonat findet am 15. April 2025 statt, dem Tag, an dem Farsis Film nach Cannes eingeladen wird. Die Frage, ob Hassouna zur Premiere fliegen kann, erübrigt sich: In der folgenden Nacht werden Fatma Hassouna und zehn ihrer Familienmitglieder bei einem laut Forensic Architecture gezielten israelischen Angriff auf ihr Wohnhaus getötet. Put Your Soul on Your Hand and Walk ist dadurch unfreiwillig zum Nachruf geworden.

PARTITION (R: Diana Allan)

Mitten im Gaza-Krieg stellt Diana Allan ihren Archivfilm Partition fertig, der nicht vom heutigen Palästina handelt, sondern den historischen Bogen schlägt in die Zeit vor der israelischen Staatsgründung. Die britische Mandatszeit in Palästina dauerte von 1917 bis 1948 und es gibt Filmaufnahmen und Fotografien davon, die Allan im Imperial War Museum (der Name ist Programm) in London aufgespürt hat. Weil die Gebühr zur Verwendung der Aufnahmen zu hoch war, beschloss Allan, das bereits digitalisierte Archivmaterial erneut auf 16mm abzufilmen und hinreichend zu verfremden, um das Urheberrecht zu umgehen. Diese Rückkehr zum Analogen sorgt für erstaunliche Abstraktionseffekte, teils erinnert das erodierte Material an hauntologische Gemälde. Ähnlich wie Sepideh Farsi nimmt Allan die materiellen Einschränkungen zum Anstoß, ein formales Konzept zu entwickeln, das den erschwerten Zugang zu Informationen, Bildern und Zeugnissen palästinensischen Lebens greifbar macht.

Der Titel Partition hat für Allan mehrere Bedeutungen. Er bezieht sich erstens auf den UN-Teilungsplan für Palästina von 1948 und benennt zweitens das kollektive Paradigma der Vertreibung und Parzellierung des palästinensischen Volkes. Drittens ist damit das gestalterische Prinzip des Films benannt: Bild und Ton laufen in Partition nicht synchron, allerdings auch nicht vollends asynchron. Die Filmaufnahmen aus dem Kolonialarchiv sind zunächst einmal stumm; in einer Art Prolog setzt Allan auf stereotype Sequenzen, die sichtlich einem colonial gaze entspringen: britische Soldaten im Schützengraben, eine Militärpatrouille, ein Beduine am Wegesrand. Es gibt aber auch andere Bilder, etwa von der Auberginenernte oder von Störchen, die andeuten, wie der Alltag in Hebron, Jaffa, Jericho und Rafah unter der Besatzung ausgesehen haben mag. Momente, in denen der koloniale Blick entgegnet wird und das Herrschaftsnarrativ Brüche bekommt.

Die Bilder sprechen nicht für sich

Weil diese Bilder nicht für sich sprechen können, muss ihnen etwas entgegengesetzt werden. Allan, promovierte Anthropologin, betreibt seit 2002 das „Nakba Archive“, in dem sie im Sinne einer oral history Stimmen und Zeugnisse von Palästinenser*innen sammelt, die nach ihrer Vertreibung 1948 im Libanon Zuflucht gefunden haben. Aus diesem Fundus (und anderen Quellen) montiert sie eine virtuos geschichtete Tonspur aus Stimmen, Stimmungen und Gesang. Beide Quellen – das koloniale Filmmaterial aus dem Imperial War Museum, die diasporischen Zeugnisse aus dem Nakba Archive – erzählen auf unterschiedliche Weisen vom palästinensischen Leben vor 1948, was automatisch Friktionen erzeugt.

Während Farsi den horrenden Opferzahlen aus Gaza ein Gesicht verleiht, gibt Allan der palästinensischen Diaspora eine Stimme bzw. viele Stimmen, denn es sind unterschiedliche Menschen, die ihre Geschichten teilen. Gesichter haben sie nicht, was nicht als Anonymisierung missverstanden werden sollte, sondern das kollektive, wenn nicht polyphone Selbstverständnis dieses mündlichen Gegenarchivs unterstreicht. Die Zuschauer*innen werden in das Trennungsparadigma involviert, sie müssen sich das Off hinzudenken und sich in der Lektüre der Bilder von den Stimmen leiten lassen (die Untertitel werden bezeichnenderweise prominent in der Bildmitte eingeblendet).

Keiner, der ein Ziel hat, würde so komisch gehen

Hören kommt hier vor Sehen: Ist der lächelnde Mann glücklich oder einfach schüchtern? Warum verbergen die Frauen ihr Gesicht vor der Kamera? Neben solchen Interpretationsversuchen und tastenden Kommentaren erfährt man aus dem Off eher beiläufig von den persönlichen Lebensläufen der Protagonist*innen, was den auktorialen Anspruch der Bilder zusätzlich dekonstruieret. Der Modus changiert zwischen freier Assoziation (Erinnerungen an einen verstorbenen Großvater) und spekulativer Ekphrasis: Die mechanische Gangart eines Mannes wird so gedeutet, dass ihm befohlen wurde, einfach geradeaus zu gehen; keiner, der wirklich ein Ziel hat, würde so komisch gehen.

Berührend sind die Lieder, die eine Frau mal mit starker, mal mit brüchiger Stimme vorträgt. Sie handeln ebenfalls von Abschiedsschmerz und Trennung, besonders schön: The Camel Driver Broke My Heart. In einem entscheidenden Punkt widerspricht der Film seinem Titel: Gegenwart und Vergangenheit sind eben nicht strikt voneinander zu trennen. Partition hütet sich jedoch vor einer naiven Gleichsetzung, sondern sucht mittels einer dialektischen Montage aus Bild und Ton nach Mustern und strukturellen Ähnlichkeiten, die sich gerade in den unsauberen Anschlüssen und Unschärfen abzeichnen. Die radikale Gegenwartsemphase von Put Your Soul on Your Hand and Walk ergänzt Partition mit einem weitenden Blick zurück, der jedoch zu keinem Zeitpunkt seine Verwurzelung im Jetzt verleugnet.

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