Ein großzügiger, neugieriger Außenseiter – Sammo Hung zum 70.
Hongkong-Star Sammo Hung drehte alles, was es mit Kampfsport und Action zu drehen gibt. Als Schauspieler überrascht er mit graziösen Bewegungen, die angesichts seines Umfangs unmöglich scheinen. Als Regisseur zaubert er aus Schnitt und Choreografie atemberaubend schöne Kämpfe.

Schon während der Hochzeit seiner Karriere war Sammo Hung in einem Biopic zu sehen, das seine Kindheit und Jugend nachzeichnete. Nur spielte er in Painted Faces (1988) nicht sich selbst, sondern seinen Lehrmeister Yu Jim-Yuen, den Leiter der Pekinger Theater- und Schauspielschule. Zentrale Figuren einer goldenen Generation des Hongkonger Kinos hatte dieser rigide in der Kunst der Peking-Oper ausgebildet – neben Hung waren Jackie Chan, Yuen Biao, Corey Yuen und Yuen Wah Teil seiner „Seven Little Fortunes“-Truppe, allesamt Darsteller und Kampfchoreografen, die dabei halfen, Hongkong in den 1980ern und 90ern Jahren zum Mekka atemberaubender Actioninszenierung zu machen.
Ein tapsiger Verlorener

In Alex Laws Film sehen wir nun Sammo Hung als Meister Yu, wie er seine Schüler stundenlang Handstand und Saltos machen lässt, wie er sie beschimpft, mit einer Gerte jähzornig züchtigt und sich im Ausbildungsvertrag zusichern lässt, dass er die ihm Anvertrauten totschlagen darf, wenn sie ungehorsam sind. Nur zu symbolischen Zwecken – nehme ich an – klemmt er auch eine Schildkröte für sieben Jahre unter ein Bein seines Bettes. Damit es nicht wackelt und das Tier sich nicht aus dem Staub machen kann.

Bei aller physischen und psychischen Gewalt ist Painted Faces aber von Nostalgie geprägt. Die Vorkommnisse werden einerseits verklärt und entschärft. Dass Hung als Schauspieler hier mehrmals sein jüngeres Ich misshandelt und trotzdem Teil dieses sehnsuchtsvollen Blicks auf seine Vergangenheit ist, führt andererseits dazu, dass die Nostalgie sich selbst thematisiert. Die Idealisierung einer Kindheit unter der Knute von Meister Yu wird aber nur durch das Gesicht Sammo Hungs möglich: Es macht diesen Mistkerl, der seine Probleme sichtlich an anderen ausagiert, wiederholt zum tapsigen Verlorenen, der von der Zeit überholt wurde und in Gegenwart von Frauen zum schüchternen Jungen wird.
Virtuose Körperbeherrschung, trauriger Blick

Kurz vor dem Ende seiner Zeit bei der Pekinger Theater- und Schauspielschule erlitt Hung mit 16 Jahren eine schwere Verletzung. Während er ans Bett gefesselt war, nahm er enorm zu und erlangte die körperlichen Ausmaße, die untrennbar mit ihm verbunden sind. „Fatty“ oder „Moby“ waren die Namen, die seine Figuren seine Karriere lang trugen, und in sein Rollenprofil war fest eingeschrieben, dass er mit graziösen Bewegungen, Kampfeinlagen und Saltos überrascht, die angesichts seines Umfangs unmöglich scheinen. Damit war und ist er prädestiniert für Underdogs, die sich ihren Platz in den Actionfilmen erst erstreiten müssen, aber umso beeindruckender mit virtuoser Körperbeherrschung aufwarten.

Auch deshalb sind seine Figuren oft naiv und/oder tumb. Am ehesten aber ist die Naivität in seinem Blick begründet. Über einer Hasenscharte und einem entwaffnend kindlichen Lächeln liegen Augen, in denen sich Ratlosigkeit, Mitgefühl und Arglosigkeit abzeichnen, Gefühle, die diese Figuren ansonsten nicht kommunizieren können. Selbst wenn er wie in Kill Zone S.P.L. (2005) mit Böser-Zwilling-Bart einen über Leichen gehenden Mafiaboss spielt, gibt es Momente wie den, in dem er einem Cop gegenübersteht und beide bereit sind, mit Golfschlägern aufeinander loszugehen. Seine Figur wird dabei zwangsläufig durch die Traurigkeit seines Blicks gebrochen – eines Blicks, der hofft, dass sein Gegenüber nicht so dumm ist, sich in einen sinnlosen Kampf zu stürzen, den es nicht gewinnen kann.
Die Einzelteile kommen sich nicht ins Gehege

In gewisser Weise spiegeln sich Hungs Filme in diesem Blick. Denn gerade seine Regiearbeiten sind so naiv, dass sie schon wieder krude sind – selbst für Hongkong-Verhältnisse, wo grober Humor, Dreistigkeit und dramaturgische Unausgewogenheit kaum eine Schmerzgrenze kennen. Immer wieder stehen Dinge nebeneinander, die nicht zusammenpassen wollen, die auch nicht wirklich vermengt werden. Bei Powerman 2 (Twinkle, Twinkle, Lucky Stars, 1985) – der Film steht nicht in Verbindung mit den anderen in Deutschland als Powerman vertriebenen Filmen, sondern ist eigentlich der dritte Teil der My-Lucky-Stars-Reihe – ist das am deutlichsten. Er besteht aus sechs Einzelteilen; drei Sequenzen, in denen das Team der Lucky Stars (u.a. Richard Ng) als A-Team-Persiflage ausgiebig Zoten reißen darf, und drei eindrucksvollen Actionsequenzen. Fein säuberlich sind sie voneinander getrennt und alternieren höflich, ohne einander im Weg zu stehen.

Oder: Pedicab Driver (1989), eine ohnehin schon sehr eigene Mischung aus intensivem, (körperlich) brutalem Melodrama und Kalauern, enthält eben auch einen Kampf zwischen Sammo Hung und Lau Kar-leung, einem von Hungs Vorbildern, der ohne wirkliche Verbindung zum Rest einfach da ist. Powerman 3 (Heart of Dragon, 1985) wurde in Deutschland für die Kinoveröffentlichung gekürzt. Die Mischung aus geschmacksunsicheren Witzen, Thriller und dem Melodrama eines Polizisten (Jackie Chan), der seine Bedürfnisse mit denen seines geistig behinderten Bruders (Hung) nur schwerlich unter einen Hut bekommt, erschien dem Verleiher offenbar so unpassend, dass er den Film meinte begradigen zu müssen. Auch wenn damit Kämpfe von Jackie Chan der Schere zum Opfer fielen.
Disparates verbunden in Herzlichkeit

Der unverständige Blick Sammo Hungs angesichts einer Kritik an dieser Unausgewogenheit ist nur allzu leicht vorstellbar. Sie ist geradezu die DNA seiner Filme. Als ältester Schüler von Meister Yu war er es eben gewohnt, sich um seine „Brüder“ zu kümmern. Seine Regiearbeiten sind wohl auch deshalb meistens Ensemblefilme, um den „Brüdern“, Freunden, Idolen und/oder Talenten eine Bühne zu bieten. Das verbindende Moment ist die Herzlichkeit Sammo Hungs, der sich anscheinend kaum vorstellen kann, warum viele tolle Dinge einen Film nicht auch besser machen sollten. Egal, ob sie zusammenpassen oder nicht.

Dementsprechend ist seine Karriere „all over the place“. Er fing in seiner Jugend als von Meister Yu vermittelter Stuntman an, wo er sich am Set für das Filmemachen zu interessieren begann. Schnell arbeitete er sich zum Stunt-Koordinator und Actionchoreografen hoch. Unter anderem stellte er für King Hu in Die Mutigen (The Valiant Ones, 1975) den Choreografien von dessen Stammkoordinator Han Ying-chieh einen zweiten Stil entgegen und zeigte dabei sehr viel Fingerspitzengefühl für Traditionen, Adaption und Innovation.

Mit The Iron-Fisted Monk feierte er 1977 sein Regiedebüt und drehte in Folge alles, was es mit Kampfsport und Action zu drehen gab, von echtem Kung Fu über Rambo-Rip-offs bis hin zu nachdenklichen Genrekonstruktionen. Er choreografierte die martialischen Künste für Filme wie Der Mann mit der Todeskralle (Enter the Dragon, 1973), Wong Kar-Wais Ashes of Time (1994) oder das Kung-Fu-Biopic Ip Man (2008). Als Regisseur (Encounters of the Spooky Kind, 1980) und Produzent (Mr. Vampire, 1985) popularisierte er Fantasy-Vampir-Komödien. Er spielte in ca. 200 Filmen und Serien mit, unter anderem in Walker, Texas Ranger. Oder er feierte im US-amerikanischen Fernsehen mit Martial Law Ende der 1990er einen Überraschungshit.
Wahnsinn und wahnsinniges Können

Sein größter Verdienst ist dabei, dass er als einer der Ersten zwei Welten verband. In Kung-Fu-Filmen war die Kamera meist etwas entfernt und die Schnittfrequenz nicht sehr hoch. Es galt, das echte Können der Kämpfer in Kontinuität auszustellen. Mit Schnitten könne ja jeder wie ein guter Kämpfer aussehen. Dem stand King Hus rasante Montage entgegen, die eine ganz eigene Intensität erzielte. Durch die Verbindung von waghalsigen Stunts, klaren Choreografien, Zeitlupen und Unmengen an Kreativität konnte Sammo Hung die Schnittfrequenz jedoch erhöhen und dabei trotzdem nicht nur atemberaubende – und atemberaubend schöne – Kämpfe zeigen, sondern auch vermitteln, dass da tatsächlich Wahnsinn und wahnsinniges Können vor der Kamera stattgefunden hatte. In den 1980er Jahren findet er mit Filmen wie Heart of Dragon, Pedicab Driver, Powerman (Wheels on Meals, 1984) oder Operation Eastern Condors (Eastern Condors, 1987) zu seinem inszenatorischen Höhepunkt. Aber eigentlich wird bis heute jeder Film durch Action von Sammo Hung aufgewertet.

Mit seinem Rivalen, Freund und „Bruder“ Jackie Chan vereint ihn das. Doch wo es bei diesem eigentlich immer um Jackie Chan geht, da lenkt Sammo Hung die Aufmerksamkeit gerne auch auf andere. Bezeichnend ist, dass er erst nach längerer Pause als Regisseur 2016 mit The Bodyguard einen Film drehte, der tatsächlich nur auf ihn selbst zugeschnitten war. Ihm gefällt es im Rampenlicht, aber er gönnt es und richtet es gerne auch auf andere. Er ist und bleibt eben ein großzügiger, neugieriger Außenseiter, der lieber damit überrascht, wie gut er wirklich ist, als es allen auf die Nase zu binden.
Kommentare zu „Ein großzügiger, neugieriger Außenseiter – Sammo Hung zum 70.“
Rolf
Ein wirklich toller undeinfühlsamer Text zum Geburtstag von Sammo Hung. Jetzt habe ich Lust, wieder einige seiner Filme zu sehen. Vielen Dank!