Durst nach Welt: Woche der Kritik 2022
Auch in diesem Jahr versammelt die Woche der Kritik eine Konferenz und sieben Filmprogramme. Dabei geht es ihr um Politik und um Fetische – und um die Neuerfindung des Kinos als sozialer Raum.

Spitz zulaufende Filme, mühelos beim Wechsel der Räume und Zeiten, rücken unaufhaltsam näher und beißen sich im Fleisch fest, das sich rühren und schütteln muss. Ihre Bilder durchdringen das Gedächtnis, um dort zu arbeiten, Transformationen anzustoßen, die mit nichts als der monströsen Erkenntnis enden können, dass es sich lohnt, durstig auf die Welt zu schauen und in ihr zu wirken.
Die diesjährige Woche der Kritik, die vom 9. bis 17. Februar 2022 ausgerichtet wird, lässt sich derart martialisch beschreiben, weil das Festivalprogramm sich das Kino selbst vornimmt und seine Fangzähne hineinschlägt – nicht als Todesstoß, sondern aus dem leidenschaftlichem Willen zu seiner Rettung und notwendigen Verwandlung.
Fruchtbares Mäandern

Schon das Motto der Auftaktkonferenz in der Berliner Akademie der Künste „Stillstand verboten? Welchen Fortschritt das Kino braucht“ zeugt von diesem Begehren. Und auch über die eigene Personalstruktur setzt die Woche der Kritik in ihrer achten Ausgabe einen neuen Impuls, indem sie mit Amos Borchert, Elena Friedrich, Istvan Gyöngyösi, Petra Palmer und Dennis Vetter eine kollektive Leitung präsentiert.
Seit 2015 versammelt das Festival, das parallel zur Berlinale stattfindet, internationale filmische Positionen, die Sehgewohnheiten herausfordern. Ebenso wichtig wie diese gezeigten Filme sind hier die anschließenden Diskussionen, in denen die Filmemacher*innen mit anderen Künstler*innen und Expert*innen, Filmkritiker*innen und dem Publikum ins Gespräch kommen.

Jahr für Jahr nimmt die Woche der Kritik damit in den Blick, wie sich über die unterschiedlichen Erfahrungen sprechen und streiten lässt, die bei einem Besuch im Kinosaal gemacht werden können. Sie feiert das mäandernde Denken und Sprechen über Film und Kino, das nicht der Produktivität verpflichtet ist. Gerade in der gemeinsamen, allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden kann dieses Sprechen – je nach eingeladenem Personal – äußerst fruchtbar sein.
Fetische und politische Setzungen

Debattenanlass bietet in diesem Jahr unter anderem Venus in Nykes von André Antônio, eine philosophische-therapeutische Abhandlung zum Fetisch im Kino aus selbstironischer, queerer Perspektive, dem die Woche der Kritik einen Beitrag des Experimentalfilmers Júlio Bressane an die Seite stellt. Dabei werden über die Kombination von Bressane und Antônio Fragen zu einer experimentellen, explizit brasilianischen Filmbewegung aufgeworfen: inwiefern sie sich in den letzten Jahren aus sich selbst heraus aktualisiert hat, und wie ergiebig Nationalgrenzen eigentlich noch sind, um über Filmkultur zu diskutieren.
Außerdem lassen sich im bunten Programm der Animationsfilm Inu-Oh (Masaaki Yuasa) zu den Ursprüngen des japanischen No-Theaters und der trippy antikolonialistische Kurzfilm Nosferasta: First Bite finden. In letzterem kombiniert ein Trio von Filmemachern dokumentarisches und fiktionales Material, um eine Vampir-Erzählung um Christoph Kolumbus zu spinnen und die Versklavung der indigenen Bevölkerung ins Metaphorische zu übersetzen. Unter der hübschen Überschrift „The Proof is in the Pudding“ ergänzen die beiden Regisseur*innen Ute Adamczewski und Zelimir Zilnik das Programm um zwei Beiträge, die sie in Zusammenarbeit mit dem Team der Woche der Kritik auswählten und als politische Setzungen verstehen wollen: Rights of Man von Juan Rodrigánez und Triple Chaser, einen Film der künstlerisch-wissenschaftlichen Recherchegruppe Forensic Architecture.
Das Kino als sozialer Ort

Es hat möglicherweise mit pandemischen Erfahrungen und der temporären Unverfügbarkeit des Kinos zu tun, dass das Filmprogramm der diesjährigen Woche der Kritik sich aus unterschiedlichen Perspektiven den Zugangsmöglichkeiten zu Räumen (wie eben dem Kino) widmet: mal ganz explizit in struktureller, machtkritischer Hinsicht wie Azul Aizenbergs The Stonebreakers; mal mit jener humorvollen Alltäglichkeit, die Jan Soldats Friday Night Stand besonders macht, in dem sich zwei schwule Männer in einer österreichischen Wohnung auf Sex und Käsebrot treffen.
Die Woche der Kritik wiederum ist selbst noch hungrig und arbeitet mit Eifer daran, das Kino als einen sozialen Ort zu erkennen und zu einem solchen zu machen. Denn als solcher verändert sich dieses Kino zwar immer wieder. Doch ist es, so zeigt es die Woche der Kritik mit cinephiler Hingabe, ob seiner politischen Relevanz und ästhetischen Faszination einfach nicht tot zu kriegen.
Hier geht's zum kompletten Programm: https://wochederkritik.de/
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