Drei Kurzfilme und eine Niete – Locarno 2018 (II)

Gegen die Serie La Flor, die jeden Tag ein bisschen besser wird und schon jetzt uneinholbar das Ereignis des Festivals ist, müssen andere Filme erst mal ankommen. Drei Kurzfilmen gelingt das erstaunlich gut, ein erster Komplettreinfall ist aber auch zu sehen.

Einen besonderen Höhepunkt im wieder bereichernd heterogen kuratierten Festival bildet ein sehr anregendes Kurzfilmprogramm in der experimentelleren Schiene „Signs of Life“ mit Werken von Eugène Green (u.a. La Sapienza, Le fils de Joseph) und Hu Bo, der im diesjährigen Berlinale Forum mit An Elephant Sitting Still ein düsteres Meisterwerk und einen der Filme des Jahres bot. Man könnte das Programm auch doppelt zählen, weil gleich drei jeweils auf eigene Weise betörende Filme darunter waren, und ihr jeweiliger Versuchscharakter ist ohnehin keine halbe Sache. Hu Bo hat mit Man in the Well (Jing li de ren), der vor seinem letzten Langfilm unter Betreuung von Béla Tarr entstand, einen noch um einige Ecken deprimierenderen 16-Minüter gedreht, in dem eine dreckige Apokalypse in engen Räumen und unter ständiger, kraftzehrender Bewegung stattfindet. Die inszenierte Unmittelbarkeit ist gleichzeitig roh und einnehmend.

Gürcan Keltek hat mit Gulyabani den letzten Film in dem Programm beigesteuert, nachdem 2017 in Locarno sein Langfilm Meteorlar lief. Wieder wird deutlich, wie gut er Bilder modulieren kann. Er verbindet dafür einen ganzen Reigen an unterschiedlichen Sequenzen, von grobkörnigen Landschaftspanoramen über ins Impressionistische tendierende Nachtaufnahmen bis hin zu stärker dokumentarisch konnotiertem Material. Der Off-Kommentar verhält sich dazu eigenartig, geht mal mit, bleibt oft quer, und die Geschichte, die die Stimme erzählt, steht oft sogar im krassen Gegensatz zu den Aufnahmen, mit beeindruckendem Effekt.

Tableaus menschlicher Stereotype

Eugène Green hat den sichtbar aufwändigsten Kurzfilm gedreht, jedenfalls einen, der nach klassischen Kinoproduktions-Methoden finanziert und hergestellt ist – der Vor- und Abspann zusammen nehmen gefühlt ein Drittel der Laufzeit ein, was den komödiantischen Effekt der Pointe seines Beitrags sogar noch verstärkt. Green hat in Portugal gedreht und den aus Filmen von Miguel Gomes sowie zuletzt Diamantino bekannten Schauspieler Carloto Cotta in der Hauptrolle besetzt. In How Fernando Pessoa Saved Portugal (Como Fernando Pessoa Salvou Portugal) spielt er einen einfachen Angestellten und Hobbypoeten, der 1927 beauftragt wird, einen Slogan für die portugiesische Werbekampagne von Coca-Louca zu erfinden. In extrem properen Bildern und übertrieben sauberen, minimalistischen Settings sucht Green nach Tableaus menschlicher Stereotype. Gleichzeitig eingefroren und im Spiel hoch lebendig sorgt er sehr schnell für das Gefühl, dass die 27 Minuten nur zu kurz sein können.

Zwei Tage liegen noch vor mir, und genauso klar wie die überwältigende Stärke von La Flor, über den noch mehr zu schreiben oder zu sagen sein wird, ist auch jetzt schon, dass kein Film mehr Glaubenberg wird unterbieten können. Klingt hart, es macht mich aber eher ratlos: Wie gelingt es Thomas Imbach bloß, ein so durchgehend frustrierendes, mich zur Weißglut treibendes Werk vorzulegen? Klar, in der Anlage ist schon einiges Potenzial zur Kontroverse vorhanden, daran aber, dass hier ein Schweizer Mädchen kurz vor der Volljährigkeit in ihren nur wenig älteren Bruder verliebt ist und das immer ernster auch konkret sexuell verfolgen will, liegt es nicht, oder nur halb. Zu den Problemen des Films gehört, dass er die Perspektive seiner Protagonistin absolut setzt und fast nichts daneben zulässt. Sehr unangenehm versucht sich Imbach an einer ständigen Affizierung durch eine ununterbrochen bewegte Kamera und kaum auszuhaltende Nähe zu seinen Protagonisten, ohne das aber mit Leidenschaft oder Intensität in Handlungen und Träumen zu füllen. Im Gegenteil ist das meiste hier lahme Leerstelle.

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