Dokumentarfilme

Studenten der Universität Regensburg haben im Rahmen einer Übung zum Filmjournalismus das Filmfest München besucht und sich individuell oder in Kleingruppen den verschiedenen Sektionen gewidmet. Einige der Texte finden hier auf critic.de ihre Publikation.

Die Dokumentarfilme des Filmfests München 2009 deckten ein breites Spektrum ab, dennoch hatten viele eines gemeinsam: einen Einblick in für uns fremde Kulturen.

Begeben wir uns doch auf eine kleine Weltreise. Wir landen in Süd-, Zentral-  sowie Nordamerika, machen einen Schwenk nach Afghanistan und Afrika, nach Eurasien und zu  guter Letzt endet der Trip in Deutschlands Surfhauptstadt München.

Erster Halt: Die Vereinigten Staaten: Eine Zelle im Gefängnis in Florida. Ein 91 Jahre alter Großvater wird interviewt:„Es macht Spaß Banken auszurauben. Ich hasse Banken.“  Das Regie-Duo Lucas Janson und Adam Kurland hat mit This is not a Robbery (2008) ein Portrait über den ältesten Bankräuber der Welt gedreht. Es ist eine der besten Dokumentationen, die das Filmfest in München 2009 zu bieten hat. Die Lebensreise eines Mannes der alles hatte, alles verlor und in seinen 80ern beschließt, Banken auszurauben. JL „Red“ Rountree ist eine Legende und seine Kino-Autobiographie ein mit Illustrationen und wunderbarer Musik aufgepeppter Unterhaltungsfilm.

Fahren wir von Texas nach New York: Es erwartet uns eine komplett gegensätzliche Lebensgeschichte. Evan Perry, der Boy interrupted (2008), leidet unter der Bipolaren Krankheit. Seine Eltern, Dana und Hart Perry, beide Filmemacher und auch Regisseure dieser Dokumentation, begleiten ihn das ganzes Leben mit der Kamera. Dies alles ohne genau zu wissen, welch Zeitbombe im Kopf des Sohnes tickt, schließlich explodiert und mit Evans Selbstmord durch einen Fenstersprung endet. Der Junge war 15 Jahre alt. Ergreifend sind die Bilder, die eine hilflose Mutter, Freunde, Familie zeigen, die durch den Tod eines geliebten Menschen zusammengeschweißt werden und mit dem Film versuchen, das Erlebte zu verarbeiten.

Mit dem Auto zum Flughafen, durch die Passkontrolle und in den Flieger nach Afghanistan. In Fixer – The Taking of Ajmal Naqshbandi (2009) von Ian Olds lernt man einen jungen Afghanen kennen, der Journalisten mit den Taliban in Verbindung bringt und  sich selbst in sehr große Gefahr. Man erlebt hautnah das kriegsgebeutelte Afghanistan, Ajmals Familie, Freunde, die Brutalität seiner Mörder, die unerbittlichen Taliban. Der Film geht unter die Haut.

Zurück ins Flugzeug und nach Südamerika: Brasilien. Zwei Teenager lungern an einer Tankstelle herum um Essen aufzutreiben und Geld zu verdienen. Der Versuch zu überleben, ohne in den Drogensumpf abrutschen zu müssen. Because we were born (2008) des Franzosen Jean Pierre Duret zeigt zwei Halbwaisen aus dem armen Nordosten Brasiliens deren Gedanken schon zu erwachsen für ihr Alter sind. Ihr Traum? Als Fernfahrer der Misere zu entkommen, jeden Tag Essen auf dem Tisch zu haben. Die Szenerie wird immer wieder von brotlosen Wahlversprechen brasilianischer Politiker begleitet.

Lassen wir den Nordosten hinter uns und begeben uns in den nicht nur von der Himmelsrichtung aus entgegen gesetzten Südosten Brasiliens.

Nachwuchsregisseur Gabriel Mascaro gewährt mit High-Rise (2009) einen etwas ungewöhnlichen Blick auf Rio de Janeiro, denn es stehen nicht die armen Favelas oder die Kriminalität im Fokus, sondern die pompösen Penthäuser, in denen die Reichen der Stadt mit einem traumhaften Panorama über allem thronen. In den gezeigten Interviews wird klar, was die luxuriösen Wohnungen so attraktiv macht und dabei offenbaren sich doch ein paar kritische Töne zu bekannten Problemen. Deutlich wird dies unter anderem bei einem Akteur, der sich gar einmal fragt, ob dieses Leben überhaupt zum ursprünglichen Charakter seines Landes passt.

Auftanken und weiter nach Argentinien. Wir sind in der Hauptstadt. Lucia-Milena Bonses Film Avenida Argentina (2009) zeigt die Schattenseiten der Großstadt Buenos Aires. Sammeln die einen die ganze Nacht Müll um vom Verkaufserlös etwas Essbares zu erstehen, Feiern die anderen in der Disko, andere sprayen Wahlparolen an die Wände, kleben Plakate um ihre Überzeugung kund zu tun oder ziehen sich nachts im Internet in einem Videochat für Geld aus. Buenos Aires hat viele Seiten, wird regiert von Korruption die von ganz oben bis nach ganz unten reicht. Wer seine Rechte nicht kennt, hat schlechte Karten.

Auf zum Flughafen und ab nach Israel. Kurz vor der Wüste nehmen wir die Ausfahrt auf einen Rastplatz. Verschnaufpause. Wir sind nun mitten in The Journey of an Olive Tree (2009) von Anton Pilcher. Eine total bunt zusammen gewürfelte Gruppe unterschiedlicher Religionen und Nationen will gemeinsam einen Olivenbaum für den Frieden pflanzen. Es wird viel gelacht, diskutiert, geschrieen, gefahren. Die Wüste zollt ihren Tribut, die Nerven sind gespannt, es gibt viele Konflikte doch irgendwie schaffen es die Expeditionsteilnehmer als Gruppe zu funktionieren und „Oliver the olive tree“ findet seinen Weg durch Israel, Jordanien und Ägypten, wenn auch anders als geplant.

Wir lassen nun das Land der Pyramiden hinter uns und reisen in das ferne Ruanda.

Späte Gerechtigkeit, Aufarbeitung und vor allem die Frage ob und wie sich Täter und Opfer begegnen sind Thema von Anne Aghions My Neighbor, My Killer (2009). Fast zehn Jahre lang hat diese die Folgen des Völkermordes von 1994 in Ruanda begleitet. Gerechtigkeit alleine wird nicht reichen um die unmöglich erscheinende, aber dennoch nötige Aussöhnung und das Zusammenleben der Konfliktparteien zu ermöglichen. Die Erinnerungen der Dorfbewohner an den Genozid sind nur ein Teil des Portraits von Afrika, welches Aghions hier zeichnet, denn am Ende gibt es noch Hoffnung auf eine Zukunft.

Noch einmal zieht es uns nach Amerika, Zentralamerika diesmal.

Auch in La aurora 8 de octubre (Die Morgenröte des 8. Oktober), einem Dorf in Guatemala, dreht sich alles um Gerechtigkeit und den langen Weg dorthin. Andrea Lammers und Ulrich Miller berichten in Auf halbem Weg zum Himmel (2009) von einem Massaker der Armee an Zivilisten, bei dem 11 Menschen starben. Die anschließende Suche nach der Gerechtigkeit gestaltet sich auch aufgrund von Politik langwierig und hart, doch am Schluss steht ein Vorbild auch für andere Kulturen.

Auf nach Eurasien, nach Russland. Ein Land, das sich gewandelt hat. Doch ein Wahrzeichen aus vergangenen Zeiten ist heute noch präsent: Der Lada. Andreas Maus nimmt uns in seiner Hommage an die Geliebte Russlands  mit auf eine interessante und amüsante Reise durch das Zarenreich. Zentral ist der Kontrast zwischen Tradition und Moderne. Wie hat sich Russland verändert und inwieweit die Bevölkerung? Einen Lada besitzt man, weil man ihn liebt, die teueren Exportautos nur zum Angeben, heißt es einmal in Ballada (2009).

Unser letztes Ziel heißt München. Doch hier geht es diesmal nicht um Oktoberfest oder Schickeria, sondern um Surfen. Mitten in München am Eisbach. Keep Surfing (2009) erzählt von Menschen, die ihren Weg gefunden haben, frei zu sein, nämlich auf dem Brett. Es ist egal, woher man kommt oder was man ist, denn auf dem Eisbach sind alle eine Gemeinschaft. Da spielen weder Karriere noch Alter eine Rolle. Sie leben ihre Leidenschaft, der eine mehr, der andere weniger und ein bisschen gegen das System sind die alle. Ein außergewöhnlicher Blick auf eine Subkultur, die großen Wert auf Individualität legt und sich selbst als Teil einer Selbstfindung versteht.

Nun sind wir am Ende unsere Reise und zurück in der Stadt, in der alles seinen Anfang nahm: München. Wir sind müde, der Geldbeute ist leer, der Kopf voller Emotionen, voller Eindrücke, voller Bilder die es noch zu verarbeiten gilt. Es war die Reise wert.

 

Nina Vollweiler und Mark Oreskovich


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