Die Welt zu Gast bei Proleten – Das Ende von "Roseanne"
Nach einem rassistischen Ausfall seiner Hauptdarstellerin beendete der Sender ABC das erfolgreiche Revival seiner langjährigen White-Trash-Sitcom Roseanne. Warum die Absetzung der Serie problematisch ist.

Ein einzelner Tweet reichte aus, um die Zukunft der nach 21 Jahren Pause gerade erst erfolgreich wiederbelebten Sitcom Roseanne zu beenden. Titelheldin und ewige Krawallschachtel Roseanne Barr hatte darin die afroamerikanische Politikerin Valerie Jarrett als ein Baby aus „muslim brotherhood & planet of the apes“ bezeichnet. Zwar bestand Barrs Karriere eigentlich schon immer aus mal mehr, mal weniger gelungenen Provokationen, aber der hässliche alte, von ihr auch nicht zum ersten Mal gezogene Vergleich zwischen Affen und Schwarzen erforderte eine angemessene Reaktion. Für den Sender ABC war dies die Streichung der geplanten weiteren Folgen. Der ebenfalls in die Produktion involvierte, traditionell immer auf sein sauberes Image achtende Disney-Konzern möchte in Deutschland sogar nicht einmal mehr die erste Staffel ausstrahlen.
Das Prinzip Streitkultur

Nun kann man sich grundsätzlich darüber streiten, wie sinnvoll es ist, die Fehltritte einer Person zu bestrafen, indem man eine von ihr verkörperte Figur von den Bildschirmen verbannt, selbst wenn sich beide schon wegen der Namensgleichheit nicht immer leicht voneinander trennen lassen. Wegen einer rassistischen Äußerung jedoch eine Serie mit einer so langen Geschichte und einem derart großen Mitarbeiterstab einzustampfen, erscheint doch etwas unverhältnismäßig. Doch bereits vor seinem Start wurde das Revival kontrovers diskutiert, was vor allem dem Umstand geschuldet war, dass sowohl die reale wie auch die fiktive Roseanne Trump-Anhängerin ist.
Seit der ersten Amtszeit des neuen Präsidenten schlägt in der überwiegend linksliberalen amerikanischen Unterhaltungsindustrie berechtige Empörung oft in eine Hysterie um, die in jedem Trump-Wähler einen zu ächtenden Faschisten sieht. Selbst in ausgewogeneren Texten, etwa von Emily Nussbaum oder Roxanne Gay, zeigt sich, wie die politische Frontenbildung innerhalb des Landes zu rein ideologischen Angriffen führt. Diese leiten sich wiederum aus der streitbaren Annahme ab, man könne einer Serienfigur ohne Weiteres die Absichten ihrer Schauspielerin andichten. Zwischen Sundance, den Oscars und mittlerweile auch dem Mainstream feiert man dagegen gerne ein Kino, das Diversität berechnend als Marke einsetzt und in dem sich vor allem das eigene (tatsächliche oder zumindest behauptete) Wertesystem spiegeln soll. Die Entscheidung, Roseanne abzusetzen, ist symbolisch gemeint, weil sie demonstrieren soll, dass Rassismus sanktioniert wird. Symbolisch ist sie aber noch auf eine andere Weise, weil hier ausgerechnet eine Serie geopfert wird, die für eine schrankenlose Streitkultur steht, für die sich ihre liberalen Kritiker oft zu fein sind.
Eine Serie als vermeintliche Diktatur

Auch wenn sich Roseanne seit ihrem Start im Jahr 1988 stark verändert hat, wird die Serie immer noch von ihrem unerschütterlichen Working Class Pride bestimmt und pflegt dabei klassische Sitcom-Tugenden mit hitzigen Konfrontationen, bei denen die Figuren nie um einen sarkastischen Kommentar verlegen sind. Zwar basiert letztlich jede Familienserie auf Konflikten, aber hier scheinen sie eine größere Rolle zu spielen, ja sogar das Fundament dieser Familie auszumachen; nicht nur, weil lauter geschrien wird, sondern auch weil es oft um existenziellere Probleme geht als in den zumindest früher überwiegend von Figuren der Mittelklasse dominierten Sitcoms.
Nachdem man beim Auftakt des Neustarts noch ein bisschen zu sehr damit beschäftigt war, den Anschluss an die Gegenwart zu finden, schloss die Staffel schon ab der zweiten Folge wieder erfolgreich an alte Zeiten an. Mit eher in sich geschlossenen Episoden statt größeren Erzählbögen und dem geschmacklos eingerichteten Studio-Wohnzimmer als Zentrum widmete sie sich auch weiterhin dem Alltagskampf der „kleinen“ Leute, genauer gesagt, Themen wie ausbleibenden Jobs, zu teuren Krankenversicherungen, finanziell motivierten Leihmutterschaften oder süchtig machenden Schmerzmitteln, also genug aktuellem Brennstoff, um die Serie nach ihrem Ende im Jahr 1997 ohne allzu viel Nostalgie weiter am Laufen zu halten.
Wollte man die Serie mit einem politischen Regime vergleichen, wäre eine Diktatur die nächstliegende Wahl. Zwar gerät die dominante und rechthaberische Protagonistin durch ihre soziale Stellung auch schnell an ihre Grenzen, innerhalb der Familie versucht sie jedoch ihren Willen mit eiserner Faust durchzusetzen. Und während ihr Ehemann Dan (John Goodman) weiß, wann es besser ist, die Klappe zu halten, nehmen Schwester Jacky (Laurie Metcalf) und Tochter Darlene (Sara Gilbert) immer wieder den Kampf auf.

Am Ende geht es aber nie darum, wer einen Streit gewonnen hat. Vielmehr gibt es verschiedene Strategien, den eigenen Standpunkt umzusetzen. Als sich Roseanne und Jackie etwa nach der Wahl aufgrund ihrer unterschiedlichen Parteizugehörigkeit zutiefst verstritten haben, sieht die Versöhnung folgendermaßen aus: Auf Jackys Entschuldigung muss sich ihre Schwester erstmal auf die Lippe beißen, bevor sie ein „I forgive you“ hervorbringen kann. Es ist von beiden ein Schuldgeständnis, es fällt nur, ihren jeweiligen Naturellen entsprechend, sehr unterschiedlich aus.
Was Roseanne in solchen Momenten immer noch großartig gelingt, ist der spielerische Wechsel zwischen komischen und dramatischen Momenten. Wenn etwa mit durchdringenden Blicken und betretener Stille starke emotionale Akzente gesetzt werden, löst sich die Anspannung schnell wieder mit einem treffsicher platzierten Oneliner. Überhaupt ist die Serie von einem ständigen Lavieren geprägt, nicht nur zwischen Spaß und Ernst, sondern auch zwischen Ablehnung und Zuneigung. Nie besteht ein Zweifel daran, dass die Familienmitglieder füreinander da sind, sie können es eben nur nicht immer so gut zeigen. In einer von ständigem Konkurrenzdenken geprägten Alltagswelt und einem von Neurosen durchsetzten familiären Geflecht ist ein Liebesbeweis oft nur dann möglich, wenn er von Beleidigungen flankiert wird. Besonders schön zeigt sich das in der vorletzten Episode der neuen Staffel, wenn Darlene und ihre Schwester Becky (Lecy Goranson, die als dauernervöses, in jeder Hinsicht gescheitertes „Alkoholiker-Flittchen“ zu den Höhepunkten der Staffel zählt) zwischen all der Verachtung, die sie füreinander empfinden, eine rührende Opferbereitschaft entdecken.
Eine weiße Arbeiterfamilie und der Rest der Welt

Die Sturköpfigkeit der Conners und ihr schroffer Umgangston sollten nicht davon ablenken, dass Roseanne auch über den familiären Zusammenhalt hinaus eine maximal inklusive Serie ist. Die Erzählperspektive wird zwar vom Wertesystem einer weißen Arbeiterfamilie geprägt, aber in ihre Welt dringen alles andere als nur Gleichgesinnte. Der vielleicht absurdeste Vorwurf an die Neuauflage ist deshalb auch, dass sie sich an republikanische Wähler anbiedern würde – Nussbaum spricht in ihrem Text gar von Propaganda. Versteht man eine konservative Gesinnung als Wunsch, Traditionen zu bewahren, auch wenn sie im Extremfall nicht mehr viel mit der Wirklichkeit zu tun haben, dann wirkt die Serie eher wie ein immer wieder neu geführter Reality-Check, ein ständiger Abgleich zwischen vorgestellter und tatsächlicher Welt. Gerade die älteren Conners müssen sich etwa erstmal darauf einstellen, dass etwa der Enkel gerne Röcke in der Schule anzieht, aber bald hat man sich auch daran gewöhnt. Man kann sich schwer vorstellen, wie Republikaner für eine Serie brennen sollen, in der die Einheit der Kernfamilie ständig von innen bedroht ist, in der es eine sexsüchtige Großmutter gibt, bis auf die Matriarchin eigentlich sowieso nur alleinstehende bis beziehungsunfähige Frauen und dann auch noch eine schwarze Enkelin – und wenn sie es tun, umso besser.
Der betont unverkrampfte Umgang mit Minderheiten war am Ende zwar nicht immer so locker, wie er zu seiner unbekümmerten Heldin gepasst hätte, aber in der ständigen Konfrontation mit dem irgendwie gearteten Anderen war eine ständige Bereitschaft zur Auseinandersetzung zu spüren – nicht zuletzt auch mit sich selbst. In der 1994er Episode White Men Can’t Kiss weigert sich der damals noch vorpubertäre Conner-Sohn D.J. (Michael Fishman) in einem Schultheaterstück, ein schwarzes Mädchen zu küssen, was erst zu einer Familienkrise und später auch zu einer Reflexion über den eigenen Rassismus führt. Es gab viele solcher Folgen, in denen soziale Realitäten verhandelt wurden und ein Konflikt auch mal über den Abspann hinaus ungelöst bleiben konnte. In der neuen Staffel zieht eine muslimische Familie neben den Conners ein und gerät sofort unter Terrorverdacht. Aus den Nachbarn werden zwar keine Freunde, aber man lernt zumindest miteinander auszukommen.

Gestern wie heute wirkt Roseanne, als würde sich in der kulissenhaften Wohnung das gesamte unterprivilegierte Amerika verdichten. Das Zuhause wirkt dabei wie die Vision einer ganzen Gesellschaft, ein Kräftefeld, das nicht trotz, sondern wegen seiner Spannungen funktioniert. Ohne zu wissen, dass es vermutlich die letzte Szene überhaupt sein würde, findet man sich am Ende der Staffel an jenem Ort, wo jede Folge mit ihrem über die Jahre nur leicht variiertem Vorspann begann: am Esstisch. Dort also, wo man lacht, weint, streitet und oft auch nur zusammensitzt, mit der Gewissheit, dass diese durchaus auch symbolisch zu verstehende Gemeinschaft eine ständige Gratwanderung zwischen Selbstverwirklichung und Kompromiss ist.
Kommentare zu „Die Welt zu Gast bei Proleten – Das Ende von "Roseanne"“
ANDREAS BUSCHE
Das ist doch alles viel komplizierter als hier dargestellt. Und gleichzeitig ganz einfach. Natürlich muss die Zusammenarbeit mit Barr beendet werden. Rausschmeißen kann man sie als Inhaber der Rechte schließlich nicht.
Es hat auch nicht nur ein einzelner rassistischer Ausfall zur Absetzung geführt, sondern eine jahrelange irrationale Hasstirade plus Verschwörungstheorien. Das sollte man schon etwas präziser darstellen.
ABC plant ja schon eine Fortsetzung der Serie, ohne Barr. Reboots hängen wie so oft auch mit Verwertungsrechten zusammen. Es stimmt auch nicht, dass die Serie in den USA von liberalen Medien kritisiert wurde. Im Gegenteil, alle haben die family politics der neuen Staffel begrüßt.
Die Entscheidung hat mit Politik wenig zu tun, eher mit gesundem Menschenverstand.
Wobei die Reaktion von ABC natürlich wohlfeil war. Trotzdem richtig, wenn auch aus den falschen Gründen.
Michael
Der Text soll keine umfassende Analyse der „Roseanne“-Debatte sein (und erst recht keiner über Probleme mit Verwertungsrechten). Es geht mir vor allem um die Frage, wie sinnvoll es ist, Rassismus zu sanktionieren, indem man eine Serie absetzt, die immer für den Dialog stand. Ob man Roseanne Barr unbedingt hätte rausschmeißen müssen, bezweifle ich (und dieser Rausschmiss erfolgte ja nicht wegen ihres Twitter-Gesamtwerks, sondern tatsächlich wegen einem einzelnen Tweet). Natürlich muss es eine Reaktion darauf geben und ich will auch nicht behaupten, dass ich da einen befriedigenden Gegenvorschlag hätte, aber wie sich große Sender und Studios mit solchen Entscheidungen selbst die Absolution erteilen, finde ich etwas problematisch. Die Gespräche über die Fortsetzung sind mir bekannt. Man muss aber abwarten, wie so ein Spin-Off sich auf den Pluralismus der Serie auswirkt, wenn die einzige Figur verschwindet, die offen Trump wählt.
Und ich muss schon auch darauf bestehen, dass einige Dinge im Text komplizierter dargestellt sind als das hier wiedergegeben wird. Es steht z.B. nirgendwo, dass liberale Medien nicht auch den inklusiven Charakter der Serie betont hätten. Sie haben ihn bei ihrer Gesamtbewertung der Serie aber oft stark vernachlässigt, weil sie ein Problem mit der Hauptdarstellerin haben. Und die Behauptung, liberale Kritiker hätten kein Problem mit der Serie gehabt, lässt sich durch eine kurze Google-Recherche widerlegen.