Die Ungeheuerlichkeit weiblicher Körper - Die Filme von Catherine Breillat

Lust und Selbsthass machen den Figuren einen Strich durch die Rechnung, Entsetzen und Befreiung fallen zusammen. Mal sind die Filme der Französin Catherine Breillat explizit und drastisch, mal bleibt alles der Fantasie überlassen.

Der Sommerausflug eines Mädcheninternats endet an einem See. Die jungen Frauen ziehen sich nach und nach aus und springen ins Wasser. Weichzeichner und Sonne präsentieren ihre Körper dabei wie auf Samtkissen. Sie lachen und planschen ungezwungen, die sie begleitende Lehrerin macht es sich mit einem Buch im Schatten gemütlich. Die Marker, dass hier nichts Ungewöhnliches geschieht, dominieren. Tatsächlich ist der Altherrenblick von Bilitis (1977) bestenfalls seltsam.

Während der Planschszene sitzt die Titelfigur auf einem Steg und beobachtet ihre Mitschülerinnen lediglich. Mehr noch, gegenüber einer Freundin drückt sie ihre Verachtung für die Badenden aus. In diesem Moment erscheint die Information aus dem Vorspann, dass das Drehbuch von Catherine Breillat stamme, nicht mehr völlig abwegig. Denn der davor zelebrierte Einklang von Frauen mit ihrem Körper wollte sich so gar nicht in das Werk der Regisseurin und Autorin einfügen.

Bilitis ist durchzogen von sexueller Gewalt. Dass eine Frau wiederholt von ihrem Ehemann vergewaltigt wird und die Geräusche nachts an das Fenster von Bilitis geweht werden, erscheint hier für niemanden abnorm. Männer sind entweder brutal, bedrängend oder unnahbar. Für Bilitis gibt es keine Heterosexualität ohne körperlichen und seelischen Schmerz. Die sanften Bilder und die melancholische Musik versuchen aber all die Brutalität und Qual auf der Handlungsebene in zärtliche Jugenderinnerungen zu übersetzen. In verträumte Nostalgie nach dem zwangsläufigen Unschuldsverlust. Für die Regie zeichnete nämlich nicht die Drehbuchautorin verantwortlich, sondern David Hamilton. Viel lässt sich in diesem Widerstreit zwischen seelischen Vernarbungen und deren Verklärung über das Kino Catherine Breillats ablesen – und darüber, was es nicht ist. Aber in einem gleicht Bilitis doch ihren eigenen Regiearbeiten: Innerlich sind sie zerrissen.

Identitäten lassen sich nicht feststellen

In Romance 2 – Anatomie einer Frau (Anatomie de l’enfer, 2004) entdeckt ein Mann eine Frau dabei, wie sie sich im Klo eines Gayclubs die Pulsadern aufschneidet. Kurz darauf wirft sie ihm vor, er sei ihr nur hierher gefolgt, weil er, wie alle Männer, einen geblasen haben wolle. Wenig später ist sie es, die die Initiative ergreift und den immer wieder als schwul gekennzeichneten Mann unvermittelt oral befriedigt. Immer wieder wird er mit ihr schlafen, sie misshandeln und hinterher weinen, während sie ihn dafür bezahlt, dass er sie und ihren Körper ohne jegliches Verlangen betrachtet. Sie möchte ganz objektiv wissen, was ihre Weiblichkeit ausmacht. Der Mann wird von Rocco Siffredi gespielt, einem ikonischen Pornodarsteller, der in seinen Filmen auch mal das Gesicht seiner Partnerinnen ins Klo drückt und spült, während er ihren Anus penetriert. Seine Gedanken werden im Off von Catherine Breillat selbst eingesprochen.

Der Film ist ein einziges Karussell an Zuschreibungen, ihrer Subversion und sich überlagernden Identitäten. In seiner surrealen, hermetischen Selbstbefragung, in der es keine Realität außerhalb eines symbolischen Geschlechterdiskurses gibt, verdichtet sich ein entscheidendes Merkmal in Breillats Werk. Die Ambivalenz gegenüber der eigenen Weiblichkeit und die Ratlosigkeit gegenüber dem Verhältnis der Geschlechter sind allgegenwärtig. Identitäten werden beständig angestrebt oder behauptet, lassen sich aber nicht feststellen. Dem von Moral, Taktik, (oft unzulänglicher)Logik, Wunschbildern, Schmerz und Angst bestimmten Bewusstsein steht die Direktheit des Körpers entgegen und zieht den Spiegelfechtereien des Geistes immer wieder den Teppich unter den Füßen weg.

Unüberwindliche Grenze der Sprache

„Worte sind der beste Keuschheitsgürtel“, postuliert in Sex Is Comedy (2002) eine Regisseurin (die Breillat nicht nur äußerlich ähnelt, sondern auch eine Szene dreht, die Meine Schwester (À ma soeur, 2001) erinnert). Das verbale Kreisen der Figuren um die eigene Identität verhindert, dass die Filme trotz aller Freizügigkeit übermäßig erotisch sind. Vielmehr sind die kaum versiegenden Worte eine Trennwand. Weder kommen sich die Leute durchs Reden näher, noch findet irgendeiner von ihnen damit zu sich. Eine unüberwindliche Grenze ist in der Sprache spürbar. Statt ausgearbeiteten Gesellschaften gibt es in den Filmen lediglich Individuen, die an sich und ihrem Umfeld scheitern.

In Kurze Überfahrt (Brève traversée, 2001) geht es um die Frage, ob die Frau den jungen Mann, mit dem sie während einer Schiffsfahrt von Le Havre nach Portsmouth eine Affäre hatte, angelogen hat oder doch viel mehr sich selbst. Was in dem Film explizit dargestellt wird, findet sich sonst oft implizit in den Dialogen und Monologen. Immer wieder postulieren die Figuren, wie Männer und Frauen eigentlich seien: die Männer brutal, kalt und triebgesteuert, die Frauen mit ihren obszönen, dreckigen Körpern nachgiebig und verachtenswert. Aber ihre fast zwanghafte Rückkehr zu solchen Behauptungen spricht eher von Verletzung und Ratlosigkeit als von einer vermeintlich wirklichen Beschaffenheit der Geschlechter. Die Figuren werden von der Gesellschaft nicht geschützt, sondern sind deren Ideologien ausgeliefert.

Immer wieder wird von Amour fous erzählt, mal in impressionistisch beobachtenden Filmen voller Ellipsen und endloser Gegenwärtigkeit (Meine Schwester, Kurze Überfahrt,Blaubarts jüngste Frau (Barbe bleu, 2009)), mal in expressiven, verklausulierten, stickigen Essayfilmen, die nur an der Oberfläche Spielfilme sind (Romance (1999),Romance 2, der nur in Deutschland zur Fortsetzung gedeutet wurde). Leidenschaft überkommt die Figuren und lässt sie gegen ihr besseres Wissen handeln. Lust und Selbsthass machen ihnen einen Strich durch die Rechnung und lassen Entsetzen und Befreiung zusammenfallen.

Eine Form von Bodyhorror

Für die dabei zutage tretende Körperlichkeit sind die Filme berüchtigt. Mal ist sie allgegenwärtig, mal der Höhepunkt, auf den sie sich zuarbeiten. Manchmal sind Breillats Filme äußerst explizit und drastisch, beispielsweise wenn regelmäßig (erigierte) Penisse ins Bild gesetzt sind, Schamlippen in Großaufnahme mit Lippenstift bemalt oder Rechen in Vaginas gesteckt werden. Dann bleibt wieder alles der Fantasie überlassen, etwa wenn wir in Meine Schwester dem ersten Sex einer 16-Jährigen beiwohnen, dabei aber nur die Schmerzenslaute beim Analverkehr vernehmen – dieser würde nicht zählen, versichert die 23-jährige Urlaubsbekanntschaft –, während wir die jüngere Schwester sehen, die am anderen Ende des Zimmers in ihrem Bett alles miterlebt.

Der Ausgangspunkt für das (Selbst-)Verständnis von (weiblicher) Körperlichkeit findet sich in Breillats Debütfilm Ein wirklich junges Mädchen (Une vraie jeune fille, 1976) – der Film kam erst 2000 in die Kinos, da er genau wie ihr mit 16 Jahren geschriebener Debütroman (1968) für seine Entstehungszeit zu explizit war. In diesem Film fehlt die Sprache größtenteils. Dafür sehen wir Alice (Charlotte Alexandra), wie sie sich auf einen äußerst schmutzigen Abort ohne Klobrille setzt, wie sie mit ihrem runtergezogenen Schlüpfer über eine vermüllte Weide watschelt, bis der weiße Stoff zwischen ihren Knöcheln völlig verdreckt ist, oder wie sie von ihrem Vater betatscht wird. Wir sehen, wie Hühnern die Eingeweide herausgezogen werden. Und noch vieles mehr. Während in den späteren Filmen die empfundene Ungeheuerlichkeit weiblicher Körper zumeist beredet wird, findet sie sich hier in den Bildern. Mal mehr, mal weniger sind die Filme Catherine Breillats eine Form von Bodyhorror.

Sehr spezielle gute Laune

Dabei kann schnell übersehen werden, wie viel Witz auch in ihnen steckt. In einem Interview anlässlich Blaubarts jüngste Frau erzählte die Regisseurin lachend, dass ihr die Rahmung des Märchens durch zwei Geschwister, die es lesen, neben der autobiografischen Note und der Dopplung der Geschichte auch die Möglichkeit gab, ihre ältere Schwester sterben zu lassen. Ein makabrer Spaß von der Sorte, wie er sich in ihren Filmen immer wiederfindet. Romance oder Meine Schwester sind auch Beispiele für schwarze tongue-in-cheek-Komödien, in denen die Seelenpein der Figuren derart übersteigert ist und die (Auf-)Lösungen derart radikal sind, dass das Ergebnis nur noch absurd scheint. So leicht in den Filmen von Catherine Breillat verbal mit absoluten Kategorien über Männer und Frauen um sich geworfen wird, so sehr es um drastische Auswirkungen von Geschwisterkonkurrenz und Machtungleichgewichte geht, so sehr sie Ausdruck davon sind, wie kompliziert die Existenz mit sich selbst ist, so wenig lassen sie sich auch ihre sehr spezielle gute Laune verderben.

Weitere Texte unserer Catherine-Breillat-Reihe:

Blaubarts jüngste Frau (2009)

Kurze Überfahrt (2001)

Die letzte Mätresse (2007)

Schmutziger Engel (1991)

Romance (1999)

Ein wirklich junges Mädchen (1976)

Romance 2 - Anatomie einer Frau (2004)

Meine Schwester (2001)

Abuse of Weakness (2013)

Im letzten Sommer (2023)

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