„Die Subversion beginnt, wenn das Licht ausgeht“: Hommage an Amos Vogel

Der Filmclub als Wunderkammer und sozialer Ort: Zum 100. Geburtstag von Amos Vogel stellt sich das Berliner Arsenal in die Tradition seines legendären Cinema 16. Zu sehen sind unter anderem Filme von Maya Deren, Peter Weiss, Kenneth Anger und Hans Richter.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Amos Vogel in diesem Jahr veranstaltet das Berliner Kino Arsenal eine umfangreiche Programmreihe als Hommage an den 2012 verstorbenen Filmkritiker, Theoretiker, Kurator und Begründer des einflussreichen New Yorker Filmclubs Cinema 16. An wechselnden Spielstätten zeigte der von Maya Derens Avantgardefilm-Vorführungen tief beeindruckte Vogel, der nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938 aus Wien in die USA emigrieren musste, gemeinsam mit Ehefrau Marcia dialektisch aufgebaute Sichtungsprogramme. Darin wurden Experimental- und Dokumentar-, Spiel- und gelegentlich auch wissenschaftliche Filme miteinander kombiniert. Cinema 16 galt als Plattform für internationale experimentelle und nicht-kommerzielle Filme der amerikanischen Nachkriegskultur, wo Werke von Kenneth Anger, John Cassavetes, Yasujirō Ozu, Agnès Varda oder Roman Polanski nebeneinanderstehen konnten und teils ihre Premieren feierten, bis 1963 Vogel die Leitung des von ihm mitinitiierten New York Film Festivals übernahm.

Die von Tobias Hering kuratierte Reihe im Arsenal konzentriert sich auf diese erste Phase in Vogels Schaffen und auf das Cinema 16, für November ist jedoch bereits eine Fortsetzung angedacht. Unter dem Titel „The gatekeepers exist to be overthrown“ wirft das Programm in Anlehnung an Vogel prinzipielle Fragen auf nach dem Gestus des Auswählens und Zeigens von Filmen, nach der Kreativität, die im Kuratieren wohnt, sowie nach institutionellen Rahmungen, innerhalb derer Filme gezeigt werden können, ohne dass sie ihr Potenzial einer subversiven Kunst verlieren – Letzterem widmete Vogel nicht umsonst seine berühmteste Publikation (Film als subversive Kunst; Film as a Subversive Art, 1974). Für Jonas Mekas und andere Vertreter*innen des New American Cinema gehörte derweil schon damals das, was Vogel im Filmclub probierte, zum Establishment.

Wunderkammer Filmclub

Im Arsenal sind unter anderem Arbeiten von Peter Weiss, Gregory Markopoulos, Herbert Vesely zu sehen, Hans Richters hypnotisch-surrealistischer Dreams That Money Can Buy (1947), bei dem es sich um den ersten abendfüllenden Film handelte, den Cinema 16 präsentierte, und Jean Genets queerer Klassiker Un chant d’amour (1950), der Homosexualität und Foucault’sche Machtverhältnisse thematisiert. Einen großen Platz nehmen die Kurzfilme von Maya Deren ein, nicht zuletzt durch einen eigenen Gedenkabend zum Abschluss der Reihe, wo Meshes of the Afternoon (1943) und At Land (1944) nicht fehlen dürfen. Zudem gehört The Private Life of a Cat (1945) von Deren und Alexander Hammid zum Programm, der zur Zeit seiner Veröffentlichung wegen der Aufnahme mehrerer Katzenbaby-Geburten mit einer Altersbegrenzung der Zensurbehörde versehen und als „obszön“ deklariert wurde. So kann das Filmprogramm „The gatekeepers exist to be overthrown“ auch als Betrachtung vermeintlicher Geschmacksgrenzen und visueller Tabus rund um die Felder Nacktheit/Sitte, Pornografie/Erotik, Fantasie/Begierde, Geburt/Tod verstanden werden, die Vogel in Film als subversive Kunst ironisch zu „verbotenen Themen des Films“ erklärte.

Lebte die Idee vom Filmclub als Wunderkammer noch davon, Raritäten und Innovationen zu versammeln, Arbeiten, die es selten bis so noch nie zu sehen gab, haben sich durch das Internet solche exklusiven Verhältnisse wenn nicht aufgelöst, dann zumindest verschoben. Viele der bekannteren Filme im Programm der Reihe (Buñuels Las Hurdes von 1933 bis Angers Fireworks von 1948) gibt es frei verfügbar im Netz. Das, was das Kino Arsenal versucht, stellt sich aber insofern in eine Tradition dessen, was bei Cinema 16 passierte, als es darum geht, gemeinsam im sozialen Ort Kino zusammenzukommen und in context zu schauen, weil es sich nur in context schauen lässt. Die Magie des Kinos bedeutet bei Vogel, sich zu positionieren, sich selbst zu einer Umwelt, die eben schon eine Filmprojektion sein kann, ins Verhältnis zu setzen. Vogel schreibt: „Die Subversion im Kino beginnt, wenn im Zuschauerraum das Licht ausgeht und die Leinwand hell wird.“ Und weiter: „Die Macht des Bildes ist real, ebenso unsere Angst davor und die Faszination, die von ihm ausgeht. Nur wenn wir die Augen schließen – was im Kino nicht allzu sinnvoll wäre –, kann man sich vor ihr schützen.“

Die Reihe „The gatekeepers exist to be overthrown.“ Amos Vogel – Reprisen und Repliken ist vom 23. bis 30. September 2021 im Berliner Kino Arsenal zu sehen.

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