Die schlechtesten Filme und schlimmsten Kinomomente 2018

Freddie Mercury in 4D, ein Zungenschnalzer im Stadtpark und viel hysterisches Geschrei: critic.de-Autoren schreiben über die ödesten, furchteinflößendsten und unerträglichsten Kinomomente des Jahres.


Eine aufgeblähte Wasserleiche

Es gibt durchaus Dinge, die ich an Luca Guadagninos Suspiria mag. Zum Beispiel, dass er sich vor Argentos Original verbeugt, indem er sich möglichst weit davon wegbewegt. Auch, wie er nicht das reale Berlin des Jahres 1977 rekonstruieren will, sondern eine mit allerlei Klischees und fremden Versatzstücken angereicherte Fantasie. Oder dass es anscheinend einen ausländischen Regisseur braucht, um die altdeutsche Grandezza von heutzutage viel zu selten besetzten Schauspielerinnen wie der gewohnt trutschigen Angela Winkler oder der mittlerweile in anderen Sphären weilenden Ingrid Caven zu würdigen. Das Ärgerliche an Suspiria ist keineswegs, dass es hier keine interessanten Momente oder Einfälle gibt, sondern wie das alles zu einem Ganzen geformt wird – wobei ich mir selbst noch nicht ganz sicher bin, ob das nun das Resultat bloßer Überforderung ist oder einfach nur ein sehr klinischer Zugang zum Kino.

Nehmen wir zum Beispiel Hexenmeisterin Tilda Swinton, die in dem Film oft Deutsch spricht. Guadagnino zeigt mit seiner internationalen Besetzung am Rande immer wieder, wie schön Fremdsprachen mit Akzent klingen können. Swinton redet aber, als würde sie ihren Text gerade irgendwo ablesen und könnte ihn nicht richtig entziffern. Ich glaube nicht, dass sich diese Leblosigkeit durch eine irgendwie geartete Figurenpsychologie herleiten lässt, und auch nicht, dass Swinton das nicht besser hinbekäme. Eher ist die betont unsinnliche und gestelzte Art, mit der sie ihren Text vorträgt, symptomatisch für einen Film, der so mit seinen Details und seiner Konstruktion beschäftigt ist, dass er dabei völlig vergisst, auf einer sehr grundsätzlichen Ebene zu funktionieren. Das vielleicht Überraschendste für mich war, wie öde Suspiria ist, so als würde man 150 Minuten dabei zusehen, wie eine aufgeblähte (wenn auch zeitweise hübsch zurechtgemachte) Wasserleiche an einem vorüber treibt.

Auf Twitter hat irgendjemand geschrieben, dass Guadagnino Filme über Ideen von Ideen macht. Ich finde, das beschreibt das pränatale Stadium, in dem Suspiria gefangen ist, ganz gut. Stoff hat er eigentlich genug: Zeitgeist-kompatible Motive (wie den Gimmick, fast alle Rollen mit Frauen zu besetzen, oder – mit etwas Fantasie – auch eine feministische Lesart des Hexenzirkels), schwere deutsche Geschichte oder allgemeiner die Frage, wie man mit der Vergangenheit umgehen soll. Guadagnino macht sich jedoch nicht die Mühe, irgendwas davon zuzuspitzen – so als würde es schon reichen, gewisse Themen zu triggern, um sich mit erzählerischer Offenheit und spannender Vieldeutigkeit brüsten zu können. Nicht ganz. Was man bei Suspiria allerdings sehr gut beobachten kann: wie große Ambitionen zu einem grauen Brei zerfließen.

Michael Kienzl

 

Aufgebauschtes Egales

Die Sonne scheint. Das Vaporetto schaukelt. Am Abend ein Spritz. Zwischendurch quäle ich mich durch einen mediokren Film nach dem anderen. Fünf Jahre war ich nicht nach Venedig gefahren, und der Umbau des ehemals (unter Marco Müller) so vielfältigen Festivals ist 2018 beinahe komplett. Alberto Barbera gelingt die zweifelhafte Leistung, ein Programm aufzufahren, das bei der Verkündung und aus der Distanz spannend klingt, sobald man aber vor Ort ist und die Filme sieht, in sich zusammenfällt. Überwiegend geht es, vor allem in der ersten Hälfte des Festivals, bevor das in Toronto beginnt, um bekannte Namen und um Stars neben den Löwen auf dem Teppich, und um betuliche, spießige, aus der Zeit gefallene künstlerische Ansätze, die niemandem weh tun – mich aber schmerzen sie sehr. Kein einzelner Film, der mich ärgert, sondern eine lange Liste egaler Werke, die aufgebauscht wirken (etwa von Mike Leigh, Pablo Trapero, Henckel von Donnersmarck, Julian Schnabel), und ganz wenig Überraschungen, gerade in der Nebenreihe Orizzonti, die einst für Experimente gut war. Ich schau mich um, unterhalte mich mit Kollegen, und fast alle scheinen ganz zufrieden damit zu sein, ein paar Tage rauszukommen und ein paar Filme zu sehen, die sich in Texte verpacken lassen mit Bezug auf Oscar-Chancen. Selten ist das Filmkritiker-Dasein so traurig wie hier.

Frédéric Jaeger

 

Selbstversuch ohne Kaffee

Ich wünschte, ich hätte einen wirklich schlimmen Kinomoment in diesem Jahr gehabt, denn das hätte geheißen, ich wäre häufiger im Kino gewesen. War ich laut Filmtagebuch so wenig wie lange nicht mehr, was ein wenig auch mit fehlender Filmtagebuchdisziplin zu tun haben kann. Beim Scannen der Liste stieß ich auf furchtbare Filme, aber wirklich nochmal die Cannes-Zumutungen Yomeddine und Sisters of the Sun in die Pfanne hauen? Wirklich nochmal Lars von Trier Aufmerksamkeit schenken? Oder über Pressevorführungen mit Synchronfassungen von öden Filmen jammern?

Lieber Flucht ins Performative. Selbstversuch: die Situation des schlimmsten Kinomoments wieder herstellen. Knapp sechs Stunden Schlaf, kein Kaffee, die Lichter runterdimmen. Der Film war Leto, ich hatte mich auf ihn gefreut, die große Strandsequenz am Anfang macht Lust auf mehr. Den Kaffee hatte ich irgendwie vergessen im wieder beginnenden Festivalstress, lieber schnell in die Schlange, wird schon gehen, ging aber nicht. Keinerlei Widerstand leistet der Körper, verfällt in einen komatösen Zustand, der nicht mal ein ordentliches Kinodösen ist, sondern einfach nur anstrengend, so anstrengend wie dann auch der Film, der mir irgendwann so richtig auf den Sack geht mit seinen Schwarz-Weiß-Tableaus, seinen Sonnenbrillenrockern, seinem nostalgischen Erfahrbarmachen vom Rumdriften, seiner verdammten … lassen wir das mit dem Selbstversuch, lieber schnell einen Kaffee trinken. Alles, was ich später über den Film gelesen habe, klang eigentlich ziemlich interessant. Schlimm war die Sache trotzdem.

Till Kadritzke

 

Hinhören als Folter, Wegsehen als Feigheit

Wie in jedem anderen Jahr gab es natürlich auch 2018 einige Filme, die zum Kotzen waren (Utøya 22. Juli), todlangweilig (A Árvore), nervtötend (Serce miłości) oder dämlich (The Dark). Doch warum sich länger mit Werken aufhalten, die keine Aufmerksamkeit verdient haben? Den schlimmsten Kinomoment des Jahres habe ich in einem Film erlebt, von dem ich bis heute nicht sagen kann, ob ich ihn nun gut oder schlecht oder mittelmäßig fand. Fest steht, dass Jan Bonnys (fiktionalisierte) NSU-Verfilmung Wintermärchen mich so sehr durchgeschüttelt und verstört hat, dass ich nah dran war, den Saal zu verlassen – was ich so gut wie nie mache. Dieser Fluchtwunsch war keinesfalls Ausdruck eines Protests, auch wenn der Film viele andere Zuschauer gegen sich aufbrachte. Ich konnte das Geschehen nur einfach nicht mehr ertragen. Ich meine damit nicht etwa die Gewalt unter den Neonazis oder ihre fremdenfeindlichen Parolen, ja noch nicht einmal die brutalen Morde. Was mich schockierte, war die Kommunikation zwischen den Protagonisten. In den 125 Minuten Laufzeit wird geschätzte 80 Minuten (und gefühlte 370) hysterisch geschrien, wütend gekeift und brachial gebrüllt. Diese permanente Aggression aktivierte in mir den natürlichen Fluchtreflex. Sie widerte mich physisch an, penetrierte mein Trommelfell und zermürbte meine Nerven. Das ist keineswegs ein Vorwurf, schließlich will Wintermärchen ja ein Milieu voller Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Rage beleuchten. Es ist menschlich, davon nichts sehen und hören zu wollen – allerdings war ja genau diese Reaktion das zentrale Problem im Umgang der deutschen Gesellschaft mit dem NSU. Geschickt – und unerträglich –, wie Jan Bonny mit seinem Film darauf hinweist.

Martin Gobbin

 

Rhapsodie in 4D

Ich habe das Gefühl, schon ziemlich viele Filme wie Bohemian Rhapsody gesehen zu haben – auf jeden Fall, wenn es um seinen Rhythmus geht: ein dramaturgisches Gerüst aus geschriebenen Dialogsequenzen, die die Entwicklung eines Plots versprechen, und danach dann poppige Montagesequenzen, die genau das im musikunterlegten Schnelldurchlauf einlösen. Prinzipiell habe ich nicht so viel gegen diese Strategie, und gerade hier ist mit dem Queen-Soundtrack und den durchaus sehenswert umgesetzten Montagen auch eigentlich eine gute Voraussetzung geschaffen. Manchmal aber ist es eben gar nicht der Film, der es sich selbst mit mir verspielt, sondern einfach die Kinosituation, in der ich ihn sehe: ein ständig redender Nachbar im Publikum, die eigene Erschöpfung nach einem langen Festivaltag oder in diesem Fall ein 4D-Kino in New York.

Das Prinzip ist so schnell erklärt, wie seine Wirkung mich langweilt. Regnet es im Film in Strömen (was für Filme, die eine 4D-Version bekommen, bestimmt ein Muss ist), tropft es ein bisschen von der Decke. Weht im Film Wind, wird irgendwo in der Nähe des eigenen Platzes ein Ventilator angeschaltet. Bewegt sich die Kamera, bewegt und vibriert der Kinosessel. Das alles ist aber nur so halb richtig, weil diese Maschinerie, die mich zum ersten Mal lieber auf der Treppe eines Kinosaals sitzen lässt, das alles nur in besagten Montagesequenzen tut. Also sitze ich da, schaue mir die Dialoge an und merke, dass sich die gesamte Mechanik unter mir langsam aufwärmt, bis sie gleich wieder loslegen darf. Und dann werde ich wieder ein bisschen hin und her geschleudert, wird nach Popcorn riechende Luft in mein Gesicht geblasen und die Musik mit treibendem Rhythmus in ein monotones Vibrieren an meinem Steißbein übersetzt. Eine Form des Kinos, die den eigentlichen Film so sehr vereinnahmt, dass er seinen organischen Sog komplett verlieren muss. Dass er nichts anderes sein kann, als dieses 4D-Filmtheater in New York es selbst ist: eine lahme, immer gleiche Mechanik, die ab und zu wach wird, um mich für ein paar Minuten wieder kurz durchzurütteln.

Jonas Nestroy

 

Unbehaustheiten

Das Kino war mir in dem Jahr oft Trostspender und selten Ärgernis, und die wenigen schlimmen Momente sprachen meist eher für als gegen die Filme, mit denen sie zu tun hatten. Einer dieser Momente war der nächtliche Heimweg durch den Volkspark am Friedrichshain nach der Sichtung von Hereditary und die Vorstellung, aus dem Dunkeln den Zungenschnalzer eines Kindes zu hören – dank diesem Film für den Rest aller Tage eines der creepigsten Geräusche, die menschliche Münder hervorbringen können. Hätte mich meine Begleitung zum Aufschreien und Wegrennen bringen wollen, sie hätte leichtes Spiel gehabt.

Ein anderer unangenehmer Moment hatte statt mit meiner eigenen mit der Angstlust meines Sitznachbarn zu tun, der in Marie Wilkes tollem Aggregat viele der Unmutsäußerungen nach rechts driftender Bürger mit ungläubigem Auflachen oder „Ist das krass!“-Ausrufen quittierte. Während alles an seiner Reaktion verriet, dass diese Leute für ihn außerirdische Lebensformen sind, schoss mir manchmal der Gedanke „Guck an, wie zu Hause“ durch den Kopf und die schmerzliche Gewissheit, dass mancher der Meinen dieselben Unmutsäußerungen mit „Bravo!“ kommentiert hätte. Später im Film ging’s dann in die taz-Redaktion, ein anderes mir bekanntes Milieu, ein anderer Stern – zwei Welten, zwischen denen ich mühelos hin- und herreisen, aber keine Verbindung herstellen kann. Während Aggregat in seinem so zurückgenommenen wie genauen Blick auf die auseinanderfallenden Subsysteme unserer Demokratie zwar gewiss kein Trost, aber eine Herausforderung war, war es mein in seiner Welt behaust wirkender Sitznachbar, der mich das Auseinanderfallen im eigenen Leib spüren ließ und dass ich in keiner der Teilwelten je zu Hause sein kann.

Selbst bei längerem Nachdenken fällt mir als Film, über den ich mich dieses Jahr geärgert habe, nur HERRliche Zeiten ein, aber beim extra für den Text gewagten Wiedersehen finde ich diesen Ärger kaum noch wieder; was mich provozieren möchte, geht an mir vorbei. Übrig bleibt etwas Ekel im Affekt und eine alte Notiz, dass der Stil, in dem Oskar Roehler hier eine kurz in arge Bedrängnis geratende und am Ende doch obsiegende Herrenmenschenwelt inszeniert, sich selbst als ironisch missversteht, aber mit seinen Überzeichnungen doch nur sein ganz bruchloses Feiern dieser Welt kaschieren will, eines möglichen neuen Zuhauses. „Den Menschen mangelt es an Gespür für Ironie“, legt der Film einer Figur in den Mund – so siehst du aus, deine neurechte Phantasmagorie ist nicht ironisch, sondern kokett.

Maurice Lahde

 

Organisch ist hier nichts mehr

Als ich 2012 das zweite Mal beim Il Cinema Ritrovato in Bologna zu Besuch war, waren Filme zu sehen, die nicht gezeigt wurden, weil sie an sich interessant waren. Vielmehr hatten die vorliegenden Kopien in ihrem chemischen Verfall interessante Effekte entwickelt. In allen Farben des Regenbogens erstrahlte ein viragierter Stummfilm, der nunmehr wie ein lebendiges Kaleidoskop aussah und zeitweise keinen Blick auf das eigentlich aufgenommene Bild mehr zuließ.

Auch dieses Jahr sah ich dort wieder einen Film, der nicht mehr so aussah, wie er es einmal tat. Das Bild der gezeigten DCP war schwammig und ohne Schärfe. Die Grundlage schien mir ein Videoband gewesen zu sein. Die Rekonstruktion sollte das wohl übertünchen, weshalb Filter das Bild zwar glätteten und von allen Anzeichen eines Magnetbands bereinigten, aber ihm auch das letzte Quäntchen Lebendigkeit nahmen. Organisch war hier nichts mehr. Hinzu kam, dass der betreffende Film, Sürü (1978), verzerrt vorgeführt wurde. Von dem möglicherweise zutreffenden Seitenverhältnis 1:1,66 wurde er in die Breite gezogen. Das Ergebnis hatte mehr von einem YouTube-Video mit etwas über 240p.

Es war wie eine kurze Zusammenfassung, was einem heute materialtechnisch an Steinen in den ästhetischen Weg gelegt werden kann. Eklatant schlechte Quellenlage (all die Filme, von denen es keine Kopien mehr gibt), digitale Verschlimmbesserung, Unvermögen … und natürlich gab es jemanden in meiner Reihe, der während der Vorführung telefonierte oder mit seinem Handyflutlicht eine Tasche durchsuchte. An das kaleidoskopische Erlebnis von 2012 denke ich gerne zurück, an diese Vorführung aber öfter. Viel kam zusammen, was sich nicht einfach in Wohlgefallen auflöst.

Vor allem saß ich aber in einem gefüllten Kino mit Leuten, die sich unter diesen Bedingungen doch einen seltenen Film anschauten, den sie so schnell und vor allem besser nicht mehr zu sehen bekommen würden. Die sich für etwas interessierten, dessen Rettung wohl ein Ding der Unmöglichkeit geworden ist und die es lieber so sahen als gar nicht. Und das ist ziemlich viel, denke ich.

Robert Wagner


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